Immer bestrebt, die Herde seiner Argumente zusammenzuhalten, meint Pressac,
von >>Sonderaktion<< (ein Wort, mit dem in der Militär--
und Verwaltungssprache jener Zeit nahezu alles und jedes gemeint sein konnte)
sei gesprochen worden, um von Berlin die Genehmigung zum Bau des Krematoriums
III zu erhalten, welches laut Pressac einer >>vocation sanitaire<<,
also hygienischen Zwecken diente. Indem sie dieses Wort verwendeten, hätten
die Schlauköpfe der SS in Berlin glauben lassen, daß dieses
Krematorium für die Vernichtung der Juden gebraucht würde, während
es doch ganz normalen Bedürfnissen des Lagers entsprach. Eine gewiß
kunstvolle Kombination - vielleicht hätte sich Pressac statt
auf der Militärakademie von Saint- Cyr bei den Kunstreitern von Saumur
bewerben sollen.
Mit den Open- Air- Verbrennungen, die Pressac Gelegenheit zu harscher Kritik
am Bericht von Höß geben (S. 58), will ich mich nicht weiter
aufhalten und nur darauf hinweisen, daß Pressac hier die Zahl von
50.000 Leichen, die während zweier Monate verbrannt worden sein sollen,
erfindet; ein Kalkül, das sich auf eine Angabe >>getötete
Juden während des Sommers<< stützt, welche er allenfalls
dem >>Kalendarium<< entnommen haben kann, das er an dieser
Stelle aber nicht anführt. Um die 100.000 Kubikmeter Holz, die hierfür
(mindestens) nötig gewesen wären und irgendwelche Spuren in den
Archiven hätten hinterlassen müssen, macht er sich keine Sorgen.
Es ist bekannt, daß Pressac mit dem Auschwitzthema in Berührung
kam, weil er einen Roman schreiben wollte, von dem einige Szenen dort angesiedelt
sein sollten. Man weiß auch, daß diese romanesken Anfälle
rund um Auschwitz schon mehrere Bücher verursachten. Pressacs dichterische
Berufung kommt immer mal wieder an die Oberfläche, so zum Beispiel
auf Seite 65, wo Pressac Gespräche zwischen Ingenieuren und der Firmenleitung
von Topf & Söhne - jenem Unternehmen, das die Öfen für
die Krematorien gebaut hat - schlicht und einfach erfindet. Auch die
folgenden Seiten sind wahrscheinlich jenem unbekannten Roman entnommen,
denn Pressac, der Apotheker aus der Vorstadt, schlüpft in die Haut
der schrecklichen SS, die nach einem Weg zur rationellen Vergasung sucht.
Die Einzelheiten kommen dann auch nicht aus den Archiven, sondern von einem
gewissen Tauber, einem von Pressac hochgeschätzten Zeugen (Anmerkung
203).
Auch wenn er die >>erste Vergasung auf industrieller Stufenleiter<<
behandelt (im Krematorium II), bezieht er sich nicht auf die Archive, sondern
auf das >>Kalendarium<< und auf den Zeugen Tauber (Seite 73/74).
Auch die zweite Vergasung stützt sich auf das >>Kalendarium<<
(S. 77).
Muß ich fortfahren? Ich denke, die Technik der Injektion ist verstanden.
Man muß immer ein Auge bei den Anmerkungen haben, um dem Wechsel
der verschiedenen Ebenen der Erzählung folgen zu können. Dies
bliebe immer noch ein annehmbares Verfahren, wenn die Quellen vergleichbar
wären. Aber das >>Kalendarium<< wird von den Historikern
schon seit langem nur noch mit spitzen Fingern angefaßt. Pressac
selbst sagt darüber:
>>Danuta Czechs Arbeit bietet, indem sie manchen Zeugenaussagen
auf Kosten anderer Gewicht beimißt, ohne dies zu erklären, Anlaß
zur Kritik. Diese besondere Ausrichtung der Geschichtsdarstellung, die
mit der dritten Ausgabe des "Kalendarium " [...] von Czech fortgefahrt
wird, welche eben auf polnisch erschien, und den Aktenbestand in den Moskauer
Archiven noch nicht berücksichtigt, schränkt den Wahrheitsgehalt
dieses grundlegenden, unglücklicherweise ein wenig zu sehr aus dem
Blickwinkel der politisch angespannten 60er Jahre geschriebenen Werkes
stark ein.<< (Anmerkung 107, S. 101)
Was Pressac nun wirklich sagen will, weiß Gott allein. Für viele
Menschen aber ist das eine Arbeit, die direkt vom Auschwitz- Museum herkommt,
das der Nutzung von Auschwitz als Instrument des russisch- polnischen Stalinismus -
um zur Zeit des kalten Krieges die Sympathien der Antifaschisten im Westen
zurückzugewinnen - entspricht. Was die von der Bewußtseinsindustrie
hergestellten >>Zeugnisse<< wert sind, ist hinreichend bekannt.
Würde Pressac dieser Art von Quellen vertrauen, wäre es nur logisch,
sie zu verwenden. Indes tut er äußerstes Mißtrauen kund,
stützt aber seinen Bericht über die Vergasungen ausschließlich
auf jene, von ihm selbst als von sehr beschränktem Wert beurteilten
Quellen. Diese Geschichten sind schon tausendfach veröffentlicht worden.
Die ihnen eigenen Schwachstellen haben mit Paul Rassinier den Revisionismus
hervorgebracht. [6] Wenn
er diese wieder aufnimmt - so wie sie sind, oder mit ein paar kosmetischen
Korrekturen -, bleiben große Widersprüche, paßt vieles
nicht. Vielleicht ist das der Stoff, aus dem die >>Geschichten eines
Apothekers<< gemacht sind?
Das Ungeheuerlichste aber ist es, glauben zu machen, das Buch von Pressac
wäre von Zeugenaussagen vollkommen frei. Er selbst sagt es den Journalisten
mit Nachdruck. Und die schlucken es; denn sie vertrauen dem Kommentar mehr
als dem Text selbst. Indem er den Rückgriff auf die abgetragensten
Stücke aus dem polnisch- stalinistischen Fundus in seinen Anmerkungen
geschickt verbirgt, kann Pressac als jemand gelten, der den Revisionisten
auf ihrem ureigensten Gebiet - jenem der überprüfbaren Tatsachen,
falls man akzeptiert, daß die heute gültigen physikalischen
Gesetze auch 1944/45 wirksam waren - antwortet.
Was den Katalog der Nichtübereinstimmung betrifft, so sei hier vermerkt,
daß ich es sorgsam vermieden habe, frühere Schriften Pressacs
mit der soeben erschienenen zu vergleichen. Aber es ist klar, daß
andere Leser weniger nachsichtig sein könnten und sich eventuell den
bösen Spaß machen, Variationen, Kehrtwendungen und Schrittwechsel
der verschiedensten Art, die solch eine Lektüre an den Tag bringt,
aufzudecken. Auf jeden Fall wird man sich fragen: what next?
Ich erspare dem Leser auch die Wiedergabe der Auseinandersetzung um
einen zentralen Aspekt der Diskussion, die sich der Bestimmung der realen
Kapazität der Krematorien, deren Leistungsdaten (das ist genau das
Wort, das man für eine Industrieanlage gebraucht) widmet. Es versteht
sich, daß bezüglich der Leistungsdaten eine Differenz zwischen
den Angaben der Verkäufer von der Firma Topf & Söhne und
der im tatsächlichen Betrieb mit allen Pannen, Fabrikations-- und
Planungsfehlern erreichten Grössen besteht. Pressac aber schert sich
um realistische Zahlen nicht besonders und hält die Leser, wenn er
für die Krematorien II und III eine Kapazität von 1.000 Kremierungen
pro Tag schätzt, zum Narren. Selbst in modemen Anlagen kommt man aufnicht
mehr als 5 bis 7 Verbrennungen pro Tag und Muffel. Wenn man für die
größte der Anlagen, das Krematorium II mit 15 Muffeln, eine
Verdreifachung oder Vervierfachung der Taktiolge annimmt, so kommt man
auf 300 Körper pro Tag, - bei dem Risiko eines entsprechend hohen
Verschleißes. Auf diesem Feld der Technik enthält Pressac sich
aller Ausflüge. Und meint im übrigen, daß es sich bei diesen
Angaben um (von der SS gegenüber Berlin) geschönte Zahlen handelt;
gleichwohl seien sie verwendbar. Pressac hütet sich, in diesem Buch
wieder die in dem vorhergehenden, bei Klarsfeld Follies veröffentlichten
Werk genannten Zahlen anzugeben, in denen er den Kohlebedarf der Krematorien
nach unten rechnete. Ist es doch einigermaßen schwierig, zu glauben,
daß zwei oder drei Kilogramm Kohle für die Verbrennung eines
Körpers genügen sollten. Sollte er in Moskau weitere Rechnungen
gefunden haben, die seine Schätzungen etwas weniger unwahrscheinlich
machten, so hätte er uns das gewiß mitgeteilt.
Derart makaber buchgehalten wird in dem Text nur gelegentlich. Das ändert
sich erst mit dem Anhang 2, S. 144 bis 148, >>Die Zahl der Toten
im KL Auschwitz- Birkenau<<, wo Pressac sich wie in einem Prokustesbett
fühlt: Die Schätzung der Einäscherungskapazität der
Krematorien berechtigt ihn, die in den >>Zeugnissen<< des >>Kalendarium<<
genannten Zahlen etwas abzuschleifen und ohne weitere Umstände zu
erklären, es habe entweder weniger Transporte gegeben, oder jene hätten
weniger Menschen umfatt. Als ob die Ankunft der Transporte letztendlich
vom technischen Zustand der Krematorien abhängig gewesen wäre.
Eine absurde Vorstellung. Was in der Folge dieses Ansatzes sonst noch alles
nicht zusammenpaßt, lasse ich hier beiseite. Hinsichtlich der ungarischen
Juden, für die schon Rassinier das zwangsläufig Unrichtige der
polnisch/offiziellen Quellen nachgewiesen hatte, verwirft Pressac die entsprechenden
Hirngespinste Wellers. Und teilt uns so nebenher mit, daß sich in
Israel, in Yad Vashem, ein Verzeichnis mit den Namen von 50.000 Juden befände,
die über Auschwitz nach Stutthof gelangt sind (und, da in Auschwitz
angekommen, aber dort nicht registriert, üblicherweise als >>vergast<<
betrachtet werden); es sei hier noch Forschungsarbeit zu leisten. Hinsichtlich
der Deportationen polnischer Juden spricht er >>vom Hypothetischen
dieser Frage infolge mangelnder Dokumentation<<.
Aber um auf die ungarischen Juden zurückzukommen: Pressac bringt sich
in eine unhaltbare Lage. Beispielsweise akzeptiert er die Berichte über
die Verbrennungsgruben, deren Unstimmigkeit aus den Luftaufnahmen der Alliierten,
die zu der fraglichen Zeit das Lager mit allen Einzelheiten fotografiert
hatten, hervorgeht. Denn die theoretische Verbrennungskapazität muß
sich entsprechend erhöht haben, wenn man in Auschwitz schließlich
438.000 ungarische Juden ankommen läßt (das wären mehr
als das Zweifache der bisherigen Belegung). Pressac kalkuliert also ziemlich
abstrakt, die SS habe innerhalb von 70 Tagen 300.000 Menschen umbringen
können (S. 148). Aber dann stellt sich die Frage, wo die 300.000 Menschen,
tot oder lebendig, während dieser zwei Monate, der für die Einäscherung
benötigten Zeit, verblieben sein sollten.
Pressac kam in der französischen Ausgabe seines Buches auf eine Zahl
von 630.000, die im Gas umgekomrnen sein sollen. In der deutschen Ausgabe
reduzierte er die Zahl weiter auf 470.000 bis 550.000. [7]
Die Millionen Toten von Auschwitz sind keine Millionen mehr. Vor einigen
Jahren haben die Polen ihre Zahlen gesenkt. Hilberg hat seine Zahlen gesenkt.
Bédarida hat seine Zahlen gesenkt. Pressac senkt diese gleich zweimal
weiter ab. Aber unter uns gefragt: Aus welchen Gründen und auf welche
Weise reduziert man derartige Zahlen? Weiß man irgendetwas mehr?
Keineswegs. Man pokert nur ein wenig anders. Pressac, der in gewisser Weise
verschlagen, vor allem aber über alle Maßen naiv ist, zeigt
uns, wie man spekuliert. Da es sich bei den Ausgangsdaten meist um Schätzungen
handelt, werden diese variiert. Wellers >>belädt<< seine
polnischen Züge mit 5.000 Menschen, was Hilberg nicht gefällt,
ihm sind 5.000 zu viel. Also bucht er 2.000. Bei 120 Transporten gibt das
eine respektable Differenz. Pressac gelangt nicht über die Eisenbahntechnik
zu dem, was ihm nicht gefällt; er macht es thanatotechnisch. [8]
Und senkt dabei die Transportstärke auf 1.000 bis 1.500 (Seite 146
bis 147). Wenn er eines Tages bemerkt, daß seine Schätzungen
der Kremierungskapazitäten Phantasterei und die Freiluftverbrennungen
vom Flugzeug aus sichtbar sind, wird er seine Preise nochmals senken. Keine
dieser Kalkulationen (beruft) sich auf ein Archiv. Das ist ins Blaue hinein
gerechnet; man ist immer nur der Nase nach gegangen. Und wenn diese Zahlen
jetzt geändert werden, so nicht, weil man Ordnung in die Akten bringen
will, sondern weil der Zeitgeist aus einer anderen Richtung weht und man
diesen erschnuppert hat.
(Sleipnir no 5)
Die Haltung der Presse ist meiner Meinung nach - wie immer in den
nun fünfzehn Jahren, seit Faurissons Thesen in der Öffentlichkeit
sind - der interessanteste Punkt. Deren Rolle ist bei dem Versuch,
das öffentliche Bewußtsein zu produzieren, bestimmend. In der
Tat ist, um sich ein einigermaßen sicheres Urteil zu verschaffen -und
dies zu einer Zeit, da das letzte Licht noch längst nicht aufgesteckt
ist - eine beträchtliche persönliche Anstrengung erforderlich.
Die Journalisten und die >>Fachleute<< fungieren daher gegenüber
dem Publikum als Autoritäten, die berufen sind, kraft ihres Wortes
Wahres von Falschem zu trennen. Ich habe in zwei Büchern eine Chronik
dieser medialen Agitation geliefert, deren letztes Kapitel der gegenwärtige
Rummel um das Buch von Pressac ist. [9]
Man muß sagen, daß die Medien nach allen Regeln der Kunst
vorgegangen sind. Pressac, der bislang eher im Schatten stand, ist diesmal
gefördert worden, als hätten die besten PR- Agenturen sich zu
seiner Unterstützung vereinigt. L Express 10
eröffnete den Reigen mit einem ganzseitigen Foto und großen
Lettern auf der Frontseite: >>Auschwitz: die Wahrheit<< [11]
Der Nouvel Observateur folgt bald darauf mit >>Ein Wochenende
in Auschwitz in Begleitung von Pressac<< [12]
und der schweren Artillerie der >>besten Fachleute<<. Liberation
stößt mit einer Doppelseite, mit weiteren Fotos und Dokumenten
dazu. [13 ]Le Monde
bringt eine halbe Seite aus der Feder von L. Greilsamer, der die gerichtlichen
Auseinandersetzungen um Faurisson seit langem verfolgt. [14]
Und auch Radio und Fernsehen lassen die Wogen hochgehen. In Pressacs kleinem
Dorf hat man seit dem Hundertjährigen Krieg solche Aufregung nicht
mehr erlebt.
>>Ein Werk, das den Historikern der ganzen Welt als Nachweis dienen
wird<<, schreibt der Express. Dank der sowjetischen Archive
>>ist die erste Zusammenfassung unserer Kenntnisse über eines
der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts gelungen<<, meint
eben jener Express. [15]
Die Besprechung stammt von einem gewissen Conan und einem gewissen
Peschanski, Geschöpfe Bédaridas, Forscher am CNRS. [16]
Die hohen Kommentatoren bekräftigen, daß die Entscheidung und
die Ausführung des >>Judeozides<< (ein neuerdings aufgetauchter
Begriff, der noch nicht näher betrachtet wurde) von >>absoluter
Geheimhaltung<< umgeben war, wobei gesagt werden muß, daß
dieses Geheimnis bis heute nicht gelüftet ist. Warum aber hat man
die Archive so lange schlummern lassen?
>>Weil sich ein wichtiger Strom des jüdischen Gedächtnisses
der verstandesmäßigen Näherung an die Endlösung, die
als "unaussprechbar" und "undenkbar" qualifiziert wurde,
widersetzte.<<
Man wünschte, diese Erklärung wäre etwas weniger dunkel
ausgefallen, daß Namen und Quellen genannt worden wären, aber
beim Express ist man wie immer sehr vorsichtig. Die idyllische
Ruhe ist durch die >>Schriften der Leugner<< gestört;
diese machten sich daran, >>die logischerweise zahlreichen Fehler
in den Berichten der Zeugen und in den sowjetischen Texten aus der Nachkriegszeit,
in denen Auschwitz als ein Thema ideologischer Propaganda genutzt wurde<<,
aufzuzeigen. Daß alle Ausführungen Pressacs über die Gaskammem
unmittelbar auf diese sowjetischen oder polnischen Texte zurückgreifen,
ist den Spürnasen vom Express nicht aufgefallen; aber das ist
wohl auch zuviel verlangt. Pressac selbst aber hat entdeckt, daß
>>die technologische Geschichte der Endlösung noch zu schreiben
ist<<. Unmöglich für die blitzgescheiten Joumalisten vom
Express, darauf zu kommen, daß der Vater dieser >>Entdeckung<<
Professor Faurisson ist. Denn man kann nicht zugeben, daß seit geraumer
Zeit jeder Fortschritt auf diesem Gebiet in irgendeiner Weise mit ihm verbunden
ist. Den grundlegendsten Prinzipien in der Geschichte der Ideen, so wie
sie an der Sorbonne gelehrt werden, muß unbedingt das Lebenslicht
ausgeblasen werden, so schaut die intellektuelle Ehre der bedaristischen
Fußstapfentreter aus.
Mit seinem 1989 bei der Beate Klarsfeld Foundation in New York erschienenen
Werk (Sieh. Anmerk. 2) - Ergebnis seiner Sichtung von wohl 50.000
Dokumenten in polnischen und deutschen Archiven - hat Pressac >>den
Weg gebahnt<<. So, wie Pressac und die Klarsfelds es seinerzeit behaupteten,
das Problem endgültig gelöst zu haben, war es offenbar nicht.
Mit den 80.000 Dokumenten der Sowjets würde man mehr darüber
wissen. Immerhin, im Buch von 1989 steht noch vieles über viele Dinge.
Hätten die Joumalisten ihre Hausaufgaben gemacht, wäre ihnen
aufgefallen, daß der Themenkreis sich 1993 sehr eingeschränkt
hat und selbst auf diesem Restgebiet noch viele Behauptungen von 1989 zurückgenommen
wurden.
Nachdem wir also an der erstaunlichen Entdeckung haben teilnehmen dürfen,
daß die Verwaltung verwaltete, die Bauabteilung Konstruktionspläne
entwarf, Kostenvoranschläge und Rechnungen erbat, kommen die subtilen
Exegeten zu dem Schluß, Pressac habe >>die Beweise für
die Organisation des Mordes aufgefunden<<. Das sind Taschenspielertricks.
Pressac, das ist sicher, hält sich im Unverbindlichen. Er behauptet
niemals direkt, er habe die >>Beweise<<; er spricht von >>Spuren<<
oder >>Indizien<<, die Beweisen gleichkämen. Für
Journalisten sind derlei Feinheiten des Ausdrucks offenbar kein Hindernis;
und Pressac protestiert nicht. Nicht er ist es, der es gesagt hat -
sie waren es. Er kann sich gegenüber ernstzunehmenden Kritikern stets
auf diese infantile Position zurückziehen. Denn diese >>Beweise<<,
das sind >>präzise Indizien<<, die >>geheime Anweisungen
verraten<<; diese Geheimnisse sind dann dermaßen geheim, daß
sie nicht einmal existieren: Pressac selbst hat erklärt, es gebe keinerlei
Verschlüsselung...
Das lächerlichste auf der Liste der zu Beweisen mutierten Indizien
findet sich zwar nicht im Buch, ist aber typisch Pressac:
>>In einer wirklichen Leichenhalle werden Desinfektionsmittel wie
Chlorwasser oder Kresol verwendet, nicht aber ein zur Entlausung bestimmter
Stoff.<< [17] Der
Hausapotheker von Frau Müller ist sich offenbar der Größenordnung
der Probleme nicht bewußt: Auf dem Höhopunkt der Typhusepidemie
(und die Krematorien sind im Hinblick auf diese sehr gegenwärtige
Gefahr errichtet worden) brachte man täglich 250 bis 300 Leichen, [18]
deren Körper von Läusen, den Überträgern dieser Krankheit,
wimmelte. Stellt er sich vor, man hätte diese einfach so in der Leichenhalle
gestapelt, ohne etwas zu unternehmen? Und ein Kommando geschickt, diese
mit Chlorwasser oder Kresol zu waschen? Während in allen anderen Einrichtungen,
einschließlich der Baracken, Zyklon B gegen die Läuse eingesetzt
wurde?
Von diesen Leichenhallen wäre, wenn man nicht etwas unternommen hätte,
eine ungeheure Ansteckungsgefahr ausgegangen, es wären geradezu biologische
Bomben gewesen. Pressac mit seinem Chlorwasser ist eine Gefahr für
die öffentliche Gesundheit. Man sollte ihm seine Apothekerlizenz im
Hinblick auf derartige Äußerungen wieder wegnehmen. Warum diese
Eselei? Weil unter allen Umständen der Eindruck erweckt werden muß,
daß einzig in den Leichenkellem der Gebrauch von Zyklon B nicht üblich
gewesen wäre. Da der SS die Existenz des Chlorwassers bekannt war,
hätte sie - im Namen einer ebenso närrischen wie von der
Logik geforderten Verordnung - die Leichenkeller nicht mit Zyklon
B entwesen dürfen. [19]
Denn die Logik der Geschichte liegt auf einer höheren - und verborgenen -
Etage. Hätte die SS Zyklon B zum Schutz des Personals (und zu ihrem
eigenen) in den Krematorien eingesetzt, wäre dies, so wie die Krematorien
anfangs geplant waren, nur einmal möglich gewesen. Ohne Entlüftung
wäre das Gas in den Räumen verblieben. Es war also eine Entlüftung
für die halb in der Erde gelegenen Räume notwendig. Und genau
das belegt Pressac im einzelnen. Da er aber im voraus, und ohne jede Stützung
durch seine umfangreichen Akten (130.000 Dokumente!) entschieden hat, daß
in diesen Einrichtungen der Beweis für mörderische Absichten
zu erblicken sei, gilt es, jede mögliche andere Interpretation beiseitezuschieben.
Deshalb ist das Chlorwasser den beiden Paten vom Express auch so
kostbar. Geweihtes Wasser für die Gläubigen. [20]
Die Wannsee- Konferenz wird von den flinken Federn ohne ein Blinzeln
beerdigt: Sie schlucken alles, was Pressac sagt, so wie sie vor 5 oder
10 Jahren genau das Gegenteil geschluckt haben. Etwas anderes ist auch
nicht zu erwarten, akzeptieren sie doch auch die Idee, zwischen Ende Mai
und Anfang Juni 1942 habe ein im Ursprung bislang nicht identifizierter
>>politischer Wille<< in den [dank des Herrn Dipl.- Ing. Prüfer]
in Auschwitz entwickelten technischen Neuerungen [sehr schlichter Natur,
die technisch gesehen - Pressac sagt es - eher einen Rückschritt
darstellen] das Mittel für eine industriemäßige Vernichtung
erblickt. >>Welch ein Glück!<<, werden sich die hohen
Nazis (Wer eigentlich? Himmler selbst?) gesagt haben, und dies dank dieses
kleinen Ingenieurs, Vertreter einer Ofenbauerfirma, der für jeden
verkauften Ofen Prozente bekam. Hoch lebe Prüfer nun werden wir die
Juden töten können. Auch einem nicht unmäßig kritischen
Geist fallt es schwer, sich vorzustellen, daß ein >>Völkermord<<
sich unter solchen Umständen vollzieht... Für die Historiker
vom Express aber hat diese neue Wahrheit ebenso den Charakter einer
Offenbarung wie die alte, und bereitet daher als Glaubensangelegenheit
keine besonderen Schwierigkeiten.
Sie können somit die von Pressac vorgestellten Zahlenspielereien auch
ehrlichen Herzens als >>Berechnungen<< auftischen. Man kommt
von 5,5 Millionen Toten (der sowjetischen Zahl von 1945) auf etwa 500.000,
ohne zu wissen warum. Conan der Barbar und Peschanski der Gemäßigte
sehen zudem voraus, man werde auch die Zahlen der anderen Lager, ebenso
wie die Sterblichkeit in den Ghettos, nach unten revidieren. (Haben sie
etwa schon ein paar Zahlen im Ärmel?) Das aber habe im Grunde keine
alllzu große Bedeutung, fügen sie abschließend hinzu:
>>Der Charakter der Endlösung bleibt unverändert<<.
Nach meiner persönlichen Kenntnis sind einzig die Dogmen von unveränderlicher
Natur. Und selbst die...