Der Express bringt einen Aufsatz Bédaridas, des Schutzgewaltigen
jenes Buches von Pressac. [21] Bédarida
gehört zu einer noch ungenügend erforschten Art von Riesenkraken,
die, in der Kultur- Suppe schwimmend, sich mit hoher Geschwindigkeit auf
alle Direktorenstühle zubewegen, an welchen sie sich mit ihren Saugnäpfen
festhalten. Sich immer in Verteidigungsposition befindend, spritzt er mit
Tinte nur so um sich, auf diese Weise die Umgebung vollkommen benebelnd.
Als Autor eines bedeutsamen Büchleins über die >>Vernichtungspolitik
der Nazis<< erkennt er mutig an, daß man zu diesem Gegenstand
noch nicht >>über alle notwendige Kenntnis verfügt<<.
Nachdem er Pressac als Mutanten akzeptiert hat (ist der doch >>zum
Historiker mutiert<<, - was so nebenher beweist, daß Kraken
keine Historiker sind), meint er, dieser sei zu einem >>unangreifbaren,
geradezu einzigartigen Fachmann<< geworden. Angegriffen wird er gleichwohl,
und keineswegs nur von den Revisionisten. Einzigartig ist er schon; - falls
man die offizielle Geschichte, wie sie von all den Bédaridas und
unter dem Eindruck der verschiedenen, gegen die Revisionisten verabschiedeten
Gesetze, geschrieben wurde, für die einzige hält. Zu meinen,
Pressac habe die Dokumente einer >>unbarmherzigen kritischen Prüfung<<
unterzogen, kann den kundigen Leser nur herzlich lachen lassen. Eine Arbeit,
die sich mit Konstruktionsplänen, Fragen der Entlüftung, der
Heizung und anderen Problemen beschäftigt, mit denen jeder für
einen öffentlichen Dienst arbeitende Ingenieur täglich zu tun
hat, >>erschreckend<< zu nennen, scheint mir auf einen unmäßigen
Hang zum Pathos bei den Kraken zu deuten, - es sei denn, mit dieser >>erschreckenden
Arbeit<< wolle er insgeheim auch sagen: >>die ohne Antwort
bleibt<<.
Wie kommt es, fragt sich der Saugnapf, [22]
daß man sich derartigen Fragen nicht schon früher zugewandt
hat? Er könnte die Wahrheit sagen: Weil man auf Professor Faurisson
nichts zu antworten wußte, nachdem man solange erklärt hatte,
daß keine Antwort nötig sei. Aber nein, er bevorzugt die Erklärung,
man habe sich um >>Täter und Opfer<< gekümmert. Wie
aber erklärt er die allzu große Verzögerung (fünfzehn
Jahre nach Faurisson)? Mit der Öffnung der Moskauer Archive. Reines
Geschwätz: das furchterliche, bereits alles enthaltende Medley
Pressacs erschien 1989, also vor der Öffnung der russischen Archive.
Der einzige Beitrag der 80.000 Dokumente Moskaus ist die Geschichte eines
Apparates der Firma Siemens, der per Kurzwelle Läuse töten sollte
und in Auschwitz vermutlich erprobt worden ist. [23]
Das wußte man noch nicht. Wird dieses Gerät nun das umfangreiche
Arsenal mythischer industrieller Einrichtungen vermehren, als da sind:
die Anlagen zur Umwandlung von Juden in Seife, die Elektrobäder, die
Vakuum-- oder Dampfkammern, die Heizplatten, die Züge mit den Kalkwagen,
usw.; alles Dinge, fur die zahlreiche, genaue und übereinstimmende
Zeugenaussagen vorliegen, und die gleichwohl dem Dunkel des Vergessens
anheim gefallen sind, aus welchem sie nur das immense Talent eines Claude
Lanzmann eines Tages noch zu ziehen vermöchte? Da dieser Kurzwellenentlausungsapparat
nicht im Verdacht steht, Menschen getötet zu haben, sondern im Gegenteil
dazu dienen sollte, auch jüdischen Menschen das Leben zu retten, wird
er wohl unbekannt bleiben. Das sind also die Moskauer Errungenschaften,
die vom KGB 45 Jahre lang verborgen gehalten wurden.
1979 fragte ich nach dem >>Wie des Warum<<. [24]
Der Krake ist 1993 immer noch >>auf der Suche nach dem Wie und dem
Warum<<. Die Historiker haben bislang kaum Fortschritte gemacht;
wohl aber sind verschiedene Steine aus dem Weg geräumt, künstlich
errichtete Hindernisse abgebaut worden. Noch immer ist der Weg nicht frei,
- wird es eines Tages aber sein müssen.
Für den Nouvel Observateur berichtet Claude Weill. Dieser muß
über geheime Informationen verfügen, denn er schreibt:
>>Die Existenz der Gaskamrnern und die Realität der Politik
der Vernichtung gegenüber den Juden sind im Überfluß bewiesen
worden. Die Beweise stehen jedermann, der lesen kann und willens ist, die
Augen zu öffnen, zur Verfugung<<.
Ich bitte Herrn Weill also sehr herzlich, mir die Augen öffnen zu
wollen, indem er diese Beweise veröffentlicht, was die diversen Nachtarbeiten
Pressacs dann auch überflüssig machte, so daß ein auf seinen
Beruf konzentrierter Pharmazeut sich wieder stärker dem Wohl der Kranken
widmen kann.
Der Journalist erzählt seine kleine Geschichte von bekannter Sorte.
Er folgt Pressac und seinen technischen Überlegungen. Zum Schluß
hin aber bricht er zusammen. Diese Diskussionen seien abscheulich; ob Pressac
sich denn dessen bewußt sei. Wer die wissenschaftliche Diskussion
behindere, meint unser Gelehrter, >>bereitet das Bett für Faurisson<<.
Der Journalist ist gewarnt. Ein wenig niedergeschlagen sagt er sich, die
Geschichtsschreibung werde das Thema meistern, die richtige Zeit dafür
sei gekommen, >>die Schoa wird dem grausamen Blick der Historiker
nicht entgehen<<. Ich wußte bislang nicht, daß die Historiker
einen grausamen Blick haben. Grausam für wen? Der Satz hat es in sich,
habe ich das Gefühl. Der Böse aber ist Pressac: Er nimmt sich
die von verschiedenen Seiten genannten Todeszahlen von Auschwitz vor und
nennt diese unsanfterweise >>Enten<<. Vor solchen auf Tafeln
geschriebenen >>Enten<< haben sich Willy Brandt, der Papst
und viele andere verneigt. Zieht man in Betracht, auf welche Weise diese
offiziellen Zahlen zustande kamen, so muß man sich fragen, warum
das, was Pressac heute liefert, nicht demnächst ebenfalls zur Kategorie
>>Ente<< gehören sollte.
Zum Schluß hin läßt der Journalist ein gewisses Mißtrauen
erkennen. Er empfindet verschiedene Folgerungen als etwas >>schnell<<,
hält die Begründung für die Beseitigung der Wannsee- Konferenz
für >>nicht vollkommen überzeugend<<, meint, daß
Pressac bei der Reduzierung der Opferzahlen >>ein wenig unklug vorgegangen<<
sei und die >>Debatte nicht abgeschlossen habe<<. Alles in
allem ist der Observateur nur zur Hälfte bedarisiert.
Aber man hält sich bedeckt. Und gibt den Großmeistern der Offiziellen
Wahrheit das Wort, allen voran Pierre Vidal- Naquet, dem Erfinder von Pressac.
Wie gewöhnlich stellt dieser sogleich klar, daß er nicht lesen
kann: Er meint, die von Pressac vorgenommene >>Präzisierung<<
hinsichtlich der >>ersten Vergasungen<< stünde mit den
sowjetischen Archiven in Zusammenhang. Das ist ganz offensichtlich falsch; [25]
diese Korrekturen sind rein Pressac'sch, was zu erklären mir der Herr
Doktor gestatten wird: Pressac entnimmt den Archiven, daß die Gebäude
zu dem bislang gültigen Datum (dem Gegenstand der Erinnerung) noch
nicht fertig waren. Er wartet also den Tag der Fertigstellung des Krematoriums
ab, und bezieht sich auf das >>Kalendarium<< (ein weiterer
Gegenstand der Erinnerung), um jenen Tag der ersten Vergasungen nach diesem
(laut Pressac nur beschränkt wahrhaftigen) Werk zu >>präzisieren<<.
In den Moskauer Archiven findet sich darüber offenbar kein Wort. Was
die Berechnungen Pressacs betrifft, so urteilt Hoch [??] würden Schnellrichter
ein wenig herum, es sei >>nicht so einfach<<, >>wahrscheinlich<<,
... Der Ritter von der Ehrenlegion zieht die Zahlen Hilbergs vor, die ihm
>>ziemlich solide<< vorkommen. Unser griechischer Held zeigt
weiche Knie. Er schlägt mehr Haken als üblich. Er muß sich
langsam fragen, ob es richtig war, Pressac zu fördern, der inzwischen
auf eigenen Bahnen schwebt und eine Bruchlandung riskiert.
Danach ist Hilberg dran. Der Polit- Prof hat seit seinem ersten Auftritt
im Prozeß gegen Ernst Zündel in Toronto mächtig dazugelernt.
Er ziert sich, der Raul. Er nuschelt etwas, Pressac wäre kein Geschichtsschreiber,
er spräche nicht >>das letzte Wort zu dem Gegenstand. [26]
Er knirscht etwas von >>wichtigen Recherchen, die noch zu leisten<<
seien, daß es >>noch besser die deutschen Quellen zu studieren<<
gelte, daß die Sache >>noch lange nicht erschöpft<<
wäre. Man fragt sich, was ihm schiefgelaufen ist, dem Raul, seit 1948,
daß er nun so in der Tinte sitzt. Er muß schon ziemlich faul
gewesen sein, so viel den anderen zu überlassen. Vielleicht ist er
aber auch großzügig, knabbert absichtlich nur herum, um den
anderen auch etwas Brot zu lassen. Aber er sagt schon etwas sehr Seltsames:
Da man keinen Befehl von Hitler gefunden hat, wird man auch keinen von
Himmler mehr finden. Himmler und Höß hätten sich >>während
der fraglichen Zeit<< nicht einmal gesehen. Was heißt das?
Hätte Höß demnach alles ganz alleine entschieden? Oder
war der etwa auch nicht informiert? Es gibt auch keinen Befehl von Höß
an seine Untergebenen. Eine merkwürdige Geschichte. Man sollte Vidal-
Naquet fragen. In solchen komplizierten Fällen weiß Dottore
immer Rat.
Das Meisterstück aber liefert, wie immer, Lanzmann. Von brutaler Radikalität,
stumpfsinnig, einer jeden Argumentation unzugänglich, aber mit dem
Instinkt eines Tieres ausgestattet. Bei seinem Film auf nahezu jeden Quellennachweis
zu verzichten, das ist schon eine beachtenswerte Eingebung. Gewiß
kennt er die Quellen, wenn er auch nicht versteht, was dort geschrieben
steht, aber er verfügt über ein fotografisches Gedächtnis
und sagt mit vollem Recht, daß der ganze Pressac schon längst
bekannt sei. Und verteidigt seinen hohlen Hamburger geradezu mit der Wortgewalt
Célines: Gefühl, nichts anderes (>>Ich ziehe die Tränen
des Friseurs von Treblinka dem Dokument Pressacs über die Gasprüfer
vor<<). Lanzmann gehört zur Moderne, vom Scheitel bis zur Sohle;
die Droge an Stelle des Denkens, Wühlen im Makabren: Pressac aber
>>vertreibt das Gefiihl, das Leiden, den Tod<<. Lanzmann tritt
Vidal- Naquet, der ihm Jahre hindurch regelmäBig die Stiefel geleckt
hat, mit Macht ans Schienbein:
>>Das Traurige aber ist, daß ein Geschichtsschreiber, der sich
in seinem Sein gewiß von der Wahrhaftigkeit, von der Kraft, der Deutlichkeit
der Zeugenaussagen auf die Probe gestellt sieht, nicht zögert, sich
für eine derartige Perversität zu verbürgen. Ein Historiker
kapituliert vor einem Apotheker. [...] <<
Die beiden Männer verbindet ein Sado- Maso-Drama; ob damit schon tiefere
Schichten des >>Seins<< berührt sind, da bin ich nicht
sicher.
Lanzmann hat Pressac erschnüffelt. Er versteht besser als die ganze
universitäre und journalistische Traube, die sich in der Hoffnung
an Pressac hängt, mit dem Revisionismus abrechnen zu können:
>>[...] Faurisson ist der einzige Gesprächspartner, der in den
Augen dieses Konvertiten zählt. Um von diesem erhört zu werden,
muß er dessen Sprache sprechen, dessen Fragestellung zu der seinen
machen, diese erschöpfend beantworten und den entscheidenden Beweis
liefern, die ultima ratio, die seinen ehemaligen Meister
überzeugen wird. [...] Selbst in der Zurückweisung legitimiert
man damit die Argumente der Revisionisten, weil man ihre Fragestellung
akzeptiert.<<
Man kann den armen Mann schon verstehen, er muß sich schon ein bißchen
einsam vorkommen, mit seinen Filmrollen unter dem Arm. Er hätte noch
etwas warten und seinen Film in Anbetracht der Fragestellung Faurissons
vollständig umarbeiten sollen. Es sind nicht die allerorten verfolgten
Revisionisten, die das Terrain besetzen, es sind die Bruchstücke in
sich zusammenstürzender Gläubigkeit, deren professioneller Vorsänger,
deren Kantor zu später Stunde Lanzmann war. Es war nicht Faurisson
Frage, nicht sie allein, die diese Implosion verursacht hat. Die Zeit selbst
zerstört die Mythen: fugit irreparabile tempus. Denn die modernen
Zeiten benötigen moderne Mythen. Lanzmann ist dabei, in Staub zu zerfallen.
Bald wird nicht viel mehr als ein vom Wind zerfetztes Schweißtuch
von ihm übrigbleiben. Jack Lang [27]
wird an der Stelle, da es gefunden wurde, dann jedes Jahr Feldblumen niederlegen.
Zu dem Artikel in Liberation ist nicht viel zu sagen. Philippe Rochette,
der ihn unterzeichnet hat, hält sich at dem Trockenen. Er bleibt bei
dem Spruch Vidal- Naquets von 1979: das, was geschah, war technisch möglich,
den es ist geschehen. Dieser aber hatte sich mit diesen Worte kräftig
auf die Zunge gebissen. [28] Den romanesken
Teil de Pressacschen Buches schluckt er perfekt herunter: Die Techniker.
die Meister der kleinen am Bau des Krematoriums beteiligten Privatfirmen,
>>haben gesehen<<. Dieser unbestimmte Gebrauch des Verbes >>sehen<<
verdient näher Betrachtung. In diesen drei Worten >>sie haben
gesehen<< ist die ganze Geschichte enthalten, einschließlich
der Gründe für deren Zurückweisung. Dabei handelt es sich,
wie man sehen wird, um eine reine Spekulation Pressacs. Nichts in den Dokumenten
läßt den Schluß zu, jemand hätte etwas >>gesehen<<,
was auch immer unter solch knapper Formulierung zu verstehen ist. In dem
Interview, das Pressac Rochette gibt, tritt er diesem weniger unter dem
Tisch auf den Fuß, sondern sagt in aller Ruhe:
>>lch war ein Vertrauter Faurissons, der mich Ende der siebziger
Jahre ziemlich gut in die Argumentation der Leugner eingeführt hat.<<
Später kommt er auf eine wohl kaum ernstzunehmende Passage aus seinem
Buch zurück, in welcher er meint: Die einzigen Mitglieder der Bauleitung,
die nach dem Krieg vor Gericht gestellt wurden - Dejaco und Ertl in
Österreich 1972 -, hat man freigesprochen, da die Österreicher
weder einen Bauplan noch eine technische Zeichnung lesen konnten. Und dabei
haben dem Gericht Dokumente aus den Moskauer Archiven vorgelegen. Was sind
diese Österreicher doch für Schwachköpfe, daß sie -
ohne es zu ahnen - auf das Licht aus der Apotheke von Ville-du- Bois
warten mußten. Übrigens scheint Pressac sich in diesem Zusammenhang
den Prozeß gegen den Ingenieur Prüfer von der Firma Topf &
Söhne, der die Krematorien entworfen hatte und im April 1948 vor einem
sowjetischen Gericht stand, nicht näher angesehen zu haben. Eigentlich
müßten sich in den sowjetischen Archiven die Protokolle der
Verhöre befinden. Die Sowjets, zu dieser Zeit wahrscheinlich ebensolche
Dummköpfe wie die Österreicher, sind nicht darauf gekommen, daß
Prüfer der Motor der Vernichtung war, wie Pressac es vorschlägt.
Also, wer schaut in Moskau noch mal nach?
Den Artikel von Le Monde habe ich zum Nachtisch aufgehoben. Sein
Autor, Laurent Greilsamer, verfolgt die Saga der gerichtlichen Auseinandersetzungen
seit langem mit gleichbleibendem Haß. Es ist daher - auch im
Zusammenhang mit dem in Gang gekommenen großen Kleiderwechsel -
interessant zu bemerken, daß er an Pressac eben das lobt, was er
Faurisson vorgeworfen: daß dieser ein Amateurforscher sei; daß
er eine Art Pionier sei, indem er angefangen habe, die Tatwaffe zu untersuchen;
daß er sich für alles und jedes interessiere, sich mit Ruinen
und Dokumenten befasse und den Zeugnissen der Überlebenden bewußt
den Rücken kehre. Für >>elementar<< hält er
das. Dieses >>Elementare<< ist etliche Tonnen Gerichtsakten
schwer! Und die Schlußfolgerungen Pressacs (achten wir auf die Wortwahl)
>>revidieren im ehrenhaften Sinn des Wortes das, woran die Gemeinde
der Geschichtsschreiber bislang glaubte<<. Welch ein Glück,
daß solch eine ehrenhafte Revision gelungen ist! Kein Versteckspiel,
keine Sklavensprache; alle Welt soll es ruhigwissen: Glasnost ist angesagt.
Warum aber, fragt ängstlich unser Tartüff im Dienst der Perestrojka,
warum hat man von all dem nicht schon früher gesprochen? >>Aus
Angst, einen Skandal zu provozieren<<. Und Pressac ergänzt:
>>Weil die Menschen noch nicht reif waren. Der Gegenstand war zu
sensibel und die Berliner Mauer noch nicht gefallen. Vergessen Sie nicht,
daß die Geschichte von Auschwitz in Polen von den Kommunisten geschrieben
wurde und in Frankreich das Gesetz Gayssot die freie Meinungsäußerung
verbietet.<<
Die Revision mußte also in >>homöopathischer Dosierung<<
verabreicht werden. Wie man gesehen hat, verabscheut Doktor Pressac aber
auch die Schulmedizin nicht: Auf eine gute Dosis Revision folgen intravenöse
Injektionen von Sedativa aus dem >>Kalendarium Polonorum<< -
um die Schmerzen der Erinnerung, der diverse lllusionen amputiert wurden,
zu lindern. Sich aber zu fragen, was Pressac vielleicht schriebe, gäbe
es das Gesetz Gayssot nicht, ist der Journalist nicht helle genug.
Dafür bläht Pressac sich Le Monde gegenüber um so
mehr auf. Da es unter seiner Würde ist, die Suppe auszulöffeln,
spuckt er hinein: >>Die Forscher haben alle geschwiegen, um ihre
kostbaren Sessel nicht zu gefahrden [der Krake wird unruhig!]. Die Revisionisten
nutzten die universitäre Feigheit zum Leugnen. Ich selbst habe eine
Art Basisarbeit geleistet. Jeder mit einem gesunden Menschenverstand Ausgestattete
kann das tun.<< Respekt!
Höchst vorsichtig geht Pressac mit den falschen Zeugen um: >>Man
sollte nicht sagen, die Leute hätten gelogen. Es gilt, ein bestimmtes
persönliches Gefühlsmoment zu berücksichtigen.<< So
spricht Tartüff; der genau weiß, daß bewußt, organisiert,
bezahlt gelogen wurde, was mit einem >>Gefühlsmoment<< -
welches für sich genommen, wie bei jeder Zeugenaussage zu welchem
Gegenstand auch immer, gewiß existiert - nichts zu tun hat.
Wo Lanzmann recht hat, hat er recht. Ohne Faurisson gäbe es keinen
Pressac. Pressac besteht zu 90% aus Faurisson, mit gelegentlichen, leicht
identifizierbaren Injektionen Vidal- Naquet. Und die gesamte Presse folgt
im Gänsemarsch. Fragt sich nur, wer der Scheinheiligere ist: Pressac,
der -mit dem Rückgriff auf Höß und dem >>Kalendarium<< -
den Ast, auf dem er sitzt, schon zur Hälfte durchgesägt hat;
oder die Journalisten, die Pressac dasselbe freudig und dankbar abnehmen,
was sie bei Faurisson, als er es ihnen darlegte, zurückwiesen?
Aber vielleicht gibt es doch noch eine Lösung. Eine Bemerkung Bédaridas
im Express weist den Weg aus dem Dilemma. Er meint, Pressac sei
zunächst der Anziehungskraft der revisionistischen Arbeitsweise erlegen,
habe dann aber dieser kleinen Bande (diese als >>niederträchtig<<
zu bezeichnen, wie der vorzügliche Doktissimus es tut, unterläßt
er) >>auf dem Weg der Verleugnung<< die Gefolgschaft verweigert.
Der unglückliche Umberto Eco hat sich von Roger- Pol Droit, einem
Kommissar der ideologischen Brigade bei Le Monde, gefangennehmen
lassen; er erklärt, der Revisionismus sei gut, sei natürlich,
man könne in aller Ruhe über die Dokumente diskutieren, nur möge
man doch nicht in die Negation verfallen und alles den Juden während
des Zweiten Weltkrieges zufügte Leid leugnen wollen.
Womit also eine Art Scheidelinie gezogen wäre zwischen dem guten und
richtigen Revisionismus, wie Pressac und der ganze Haufen hinter ihm, ihn
vorführen - die sich der Arbeitsweise der Revisionisten beugen
müssen, weil dies ganz einfach das übliche Vorgehen wissenschaftlicher
Geschichtsschreibung ist -, und den Leugnern, den Negationisten (ein
hierfür neu erfundener Begriff), für die das letzte Tabu, die
Gaskammer, reserviert ist, (verziert und vermehrt mit phantasierten Leugnungen,
wie etwa der Konzentrationslager, der Deportationen, der Eisenbahnen usw.).
So daß der Revisionismus schließlich, zitierfähig geworden,
seinen teuflischen Charakter verliert und die Existenz der Gaskammern Pressacsch
beweisen darf (mittels verschiedener "Schnitzer"). Die Opferzahlen
können dann noch weiter gesenkt werden, ohne daß sich am Wesen
der Schoa [??] Die Revisionisten sähen sich ihrer wissenschaftlichen
Waffen beraubt, deren sich jetzt ihre Gegner bedienen, und würden
ins Nichts des Gesetzes Gayssot [bzw. des 21. Strafrechtsanderungsgesetzes]
zurückgestoßen. Und die zu 90% verwandelten Kraken können,
frisch eingekleidet die Schulanfänger, von ihren fetten Pfründen
aus weiterhin zur Académie Française oder zum
Panthéon hinüberschielen. 29
1
J.- C. Pressac,Les Crématoires d 'Auschwitz. La Machinerie du
meurtre de masse, CNRS Editions, Paris 1993.
2 J.- C . Pressac, Auschwitz: Technique and Operation of
the Gas Chambers, Beate- Klarsfeld Foundation, New York 1989.
3 D. Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager
Auschwitz- Birkenau 1939 - 1945, Rowohlt, Reinbek 1989.
4 >>De nos jours [...] durée anormale de ce gazage<<.
5 >>Courant mai [...] sans plus de précision<<.
6 Besonders: P. Rassinier, Das Drama der Juden Europas, Pfeiffer,
Hannover 1965.
7 J.- C. Pressac, Die Krematorien von Auschwitz. Die Technik
des Massenmordes, Piper, München 1994, S. 202.
8 Von thanatos - der Tod (gr.).
9 S. Thion, Vérité historique ou vérité
politique?. La Vieille Taupe. Paris 1980; (dt.): Historische
Wahrheit oder Politische Wahrheit? Die Macht der Medien: Der Fall Faurisson,
Verlag der Freunde, Postfach 217, 10182 Berlin,1994; ders.,
Une Allumette sur la banquise. Le Temps Irréparable, 1993.
10 L 'Express vom 23-29 September 1993. 11 S. Text und
Fotos.
11 Von Orwell klassisch übersetzt mit >>Die Lüge<<.
12 Le Nouvel Observateur vom 30. Sept. - 6. Okt.
1993, acht Seiten werden dieser Reise gewidmet, die unwillkürlich
an die von irgendeinem bekannten Archäologen geleiteten Kreuzfahrten
im Mittelmeer denken läßt. Die Situation kommt durchaus ins
Bewußtsein: >>Pressac rennt durch die Ruinen wie ein englischer
Archäologe durch die Anlage von Ephesos<< (S. 92). Das Bild
ist interessant: in der Tat haben die Engländer 1863 als erste in
Ephesos gegraben. Wir befinden uns also in einer Lage, die an das 19. Jahrhundert
erinnert. an den Beginn der wissenschaftlichen Archäologie, an die
Entdeckung bzw. Wiederentdeckung der großen Zivilisationen der Vergangenheit.
Pressac enthüllt uns im Gewand eines Edelmannes aus einem Roman von
Jules Verne eine unbekannte Welt. All unser bisheriges Wissen wird durch
diesen Triumphritt des Entdeckers entwertet, der, indem er uns die Vergangenheit
entschleiert, fast einem Weltschöpfer gleicht.
13 Libération vom 24. September 1993. S. 28 -
29.
14 Le Monde vom 26. - 27. September 1993. S. 7.
15 L 'Express vom 23. - 29. September 1993, S. 77.
16 Das Buch ist unter der Schirmherrchaft Bédaridas im
Verlag des CNRS erschienen. Das Kardinalprinzip in der Welt der Pariser
literarischen Kritik ist bekannt: >>Am besten wird man von sich selbst
bedient - aber es darf nicht herauskommen.<<
17 Le Nouvel Observateur vom 30. Sept. - 6. Okt., S.
84
18 Angabe nach Pressac. der auf Seite 145 seines Buches die
entsprechenden Zahlen der Sterbebücher von Auschwitz wiedergibt.
19 Wo in diesen 130.000 Dokumenten sind die Rechnungen für
das Chlorwasser?
20 Man hat von den berühmten Puderkammern bei Dr. Kahn
gehört. Nun erhalten wir eine Chlorwasser-Läusetod-Garantie von
Pressac.
21 L 'Express vom 23. - 29. September 1993, S. 80
22 Derzeit im Sessel des Generalsekretärs beim Internationalen
Komitee der Geschichtswissenschaft.
23 J.- C. Pressac, Les Crématoires d'Auschwitz,
a. a. O., S 83 ff.
24 Serge Thion: Historische Wahrheit oder Politische Wahrheit?
a.a. O., Erster Abschnitt, Anm. 10.
25 Wie man seit dem unvergänglichen Aufsatz Vidal- Naquets
1980 Esprit (Sept. 1980. Nr. 8) weiß, ist jemand, der irgendetwas
Falsches schreibt, ein Fälscher.
26 Die Presse bezeichnet ihn gleichwohl als Historiker. dies
aber nicht sein Beruf. Auch er ist ein >>Amateur<<.
27 Zehn Jahre lang Minister für Kultur in der sozialistischen
Regierung Frankreichs.
28 In der Zeitschrift L'Histoire vom Juni 1992,
S. 51, heißt es in bezug auf diese berühmte Sentenz: >>Wir
hatten, zumindest in der Form, gewiß unrecht; selbst wenn unsere
Frage im Grunde richtig war.<<
29 Ob diese Besprechung bereits unter das Gesetz Fabius-Gayssot
fällt, weiß ich nicht: sicher ist nur, daß dessen Wirksamkeit
vom Buch Pressacs erheblich beeinträchtigt ist. Ebenso von einer jeden
Besprechung dieses Buches. Sollte es zu Anzeige und Gerichtsverfahren kommen,
gäbe es auf der Anklagebank jedenfalls eine Menge Wäsche zu waschen.
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