Ein knappes Vierteljahr später erläßt die finnische
Regierung eine Einladung an deutsche Segelflieger, um das finnische Volk
mit dem Segelflug vertraut zu machen. Die Expedition wird von Graf Ysenburg
geleitet. Neben anderen prominenten Segelfliegern gehört auch Hanna
Reitsch zu den Eingeladenen.
Hanna und ihre Kameraden sind zutiefst beeindruckt von der unendlichen
Weite der finnischen Landschaft mit seinen dunklen Wäldern und den
unzähligen Seen. Und ebenso vom finnischen Volk. "Schweigsam.
stolz, wahrhaftig und gewissenhaft, vor allem aber gesund," beschreibt
sie diese Menschen.
Ihre Schüler sind Zivilisten und Soldaten. Hanna widmet sich ihrer
Aufgabe mit ihrem üblichen Enthusiasmus und Pflichtbewußtsein.
Jede freie Stunde steht sie außerhalb der Lehrzeiten ihren Schülern
zur Verfügung. In Finnland verläuft alles glatt. In der ganzen
Zeit kein Unfall, kein Absturz!
Vom Luftfahrtministerium wird Hanna eine Auszeichnung angetragen. Doch
auf Dekorationen legt sie keinen besonderen Wert. Statt dessen erbittet
sie sich die Teilnahme an der Verkehrsfliegerschule in Stettin, um auch
das Fliegen mit großen Maschinen zu erlernen.
Die Schule für Verkehrsflieger wird straff männlich, fast militärisch
geführt. Einem Mädchen scheinen hier wenig Chancen offenzustehen.
Die Ordnung ist in der Tat so stramm soldatisch, daß Hanna bei jedem
Schritt Angst hat, alles falsch zu machen. Und genau das tut sie auch.
Es gibt Anpfiffe, es gibt sogar Strafexerzieren. Sie hat den Eindruck,
daß man einen Grund sucht, sie nach Hause zu schicken. Mehr aus Schalk
als aus Böswilligkeit hecken Offiziere wie Mannschaften ständig
etwas aus, um sie irgendwie reinzulegen. Doch sie nimmt nichts übel
und zeigt ihr stets gleichbleibendes Gemüt. So kommt sie letzten Endes
gut mit ihren Fliegerkameraden aus. Die spartanisch strenge Disziplin in
diesem Betrieb hatte auch durch die Anwesenheit einer jungen Frau nicht
gelitten. Alle merken, daß sie sich mit dem gleichen Ernst und der
gleichen Hingabe dem Fliegen verschrieben hat wie sie.
Vor Abschluß des Lehrgangs hat sie noch ein ebenso peinliches wie
belustigendes Erlebnis. Nach einem Kunstflug mit ihrem Fluglehrer im Doppeldecker
"Stieglitz" fordert er sie auf, es anschließend allein
zu versuchen. Glücklich über dieses Vertrauen tollt sie sich
in allen erdenklichen Kapriolen: Loopings, Turns, Rollen nach Herzenslust.
Sturzflug, dann wieder steil nach oben, bis es ihr plötzlich schlecht
wird. Auf gar keinen Fall will sie die Maschine verschmutzen. Die Sticheleien
ihrer Kameraden hätten kein Ende gefunden. In ihrer Verzweiflung nimmt
sie erst ihren linken, dann als der Brechreiz unvermindert anhält,
auch den rechten Handschuh als "Abfalltüte" zu Hilfe. Rauswerfen
kann sie die fatalen Dinger nicht. Ein Finder hätte sie garantiert
als die ihren erkannt. Kurz entschlossen steckt sie sie in ihre Manteltaschen.
Nach der Landung geht sie frisch und unbekümmert und nun wieder mit
Appetit zum Kasino, wo Berge von Kuchen auf sie warten. Ihren Mantel hatte
sie im Flur aufgehängt. Alle Anwesenden blicken sie erwartungsvoll
an. Sie freuen sich schon auf den Spaß, daß sie nach diesem
tollen Flug doch noch "madig" geworden sein muß. Aber Hanna
tut als sei nichts vorgefallen und langt munter zu.
Als der Kommandeur in Begleitung einiger Offiziere den Raum betritt, setzt
es einen gehörigen Anpfiff: "Welch ein entsetzlicher Gestank
im Flur! Sofort für Beseitigung sorgen!" Stillschweigend macht
Hanna sich bei der ersten besten Gelegenheit mit ihrem Mantel aus dem Staube.
Erst bei der Abschiedsfeier beichtet sie ihren Kameraden diese Geschichte,
die natürlich ein unbeschreibliches Gelächter auslöst.
Ihren ersten Nachtflug führt Hanna mit der Motormaschine He 46 aus.
Er verläuft ohne Zwischenfälle. Anders geht es bei ihrem Flug
über Genf, Lyon, Avignon nach Lissabon zu, wo im Mai 1935 die "Festivas
Lisboa" stattfinden. In diese Festspiele soll auch ein internationaler
Flugtag und dabei zum ersten Male ein Segelflugzeug eingeschoben werden.
Hanna soll Deutschland im Segelflug vertreten. Mit einem Segelfliegerkameraden
startet sie in einer kleinen Sportklemm. Deutschland hatte gerade die Allgemeine
Wehrpflicht wieder eingeführt, und die internationale Lage ist gespannt.
Hanna ist sich bewußt, daß ein gutes Abschneiden bei den Festspielen
und auch ein reibungsloser Anflug durch die Nachbarländer unbedingt
wichtig sind. Die deutsche Teilnahme soll zum friedlichen Völkerverständnis
und zu internationaler Fliegerkameradschaft beitragen.
Doch eine unfreiwillige Zwischenlandung auf einem Militärflughafen
in der Nähe von Lyon wird ihr beinahe zum Verhängnis. Trotz strengen
Verbotes hatte ihr Fliegerkamerad (seinen Namen verschweigt sie fairerweise)
eine Leica in seinem Gepäck mitgeschmuggelt. Sie werden vom französischen
Flugplatzkommandanten als Spione angesehen und entsprechend hart behandelt.
Erst durch einen deutschfreundlichen jungen Franzosen gelingt es, heimlich
mit dem deutschen Konsul in Lyon Verbindung aufzunehmen. "Wir Jungen,"
sagt der unerwartete Helfer, "verstehen Euch, die Ihr jung seid in
Deutschland. Diese da sind alt und blind."
In der Nähe von Avignon, wo eine weitere Zwischenlandung stattfindet,
sehen sie am Horizont den deutschen Zeppelin auftauchen. "Kein Deutscher,
der sein ruhiges majestätisches Dahinziehen in fremdem Land erlebt
hat," schreibt Hanna, "wird diesen Anblick vergessen können,
auch nicht das Gefühl des Stolzes und Beglücktseins in der Verbundenheit
des gemeinsamen Vaterlandes."
Die Flugtage in Lissabon werden ein voller Erfolg für Veranstalter,
Teilnehmer und Besucher. Von den sich auf den Straßen abspielenden
bunten Szenen verdient ein spannungsgeladenes Begebnis festgehalten zu
werden. Das Tragen von langen Hosen war in Portugal für Frauen streng
verpönt. Als Hanna einmal im Fliegerdress nichtsahnend auf die Straße
geht, wird sie plötzlich von zwei "Landsknechten" gestellt
und festgenommen.
Man führt sie in eine Art Gefängnis und anschließend vor
ein Richtertribunal in einem großen Zelt. Zuerst ergreift ihr Verteidiger
das Wort. Er hält eine Lobrede auf die berühmte deutsche Fliegerin.
Noch immer ist Hanna sich nicht sicher, ob hier Ernst oder Scherz gespielt
wird. Dann spricht der Richter. Und jetzt wird ihr klar, daß hier
ein Schauspiel abläuft. Der Richter wendet sich nicht allein an Hanna
Reitsch. "Sein Lob galt vor allem Deutschland, den deutschen Menschen,
die nach einem verlorenen Krieg Tatkraft und Mut zu neuem Aufstieg gefunden
hatten. War es ein Wunder, daß ich mich glücklich und stolz
fühlte?" Auf seine Aufforderung muß sich dann das Publikum
erheben, um das deutsche Volk und Hanna Reitsch als Fliegerin zu begrüßen.
Und als sie das Zelt verläßt, wird ihre Hand fast lahm von all
dem Drücken und Schütteln.
Als Angehörige des von Hans Jacobs geleiteten Instituts für Segelflug
findet Hanna sich 1936 in der Rolle des Einfliegers. Wieder einmal war
ein Zufall am Werk gewesen. Der für diese Aufgabe vorgesehene Ludwig
Hoffmann war durch eine plötzliche schwere Erkrankung verhindert.
Hanna fühlt sich zwar auf dem Gebiet der technischen Konstruktion
gänzlich unerfahren. Dafür verfügt sie jedoch um so mehr
über Fluggefühl und genaue Beobachtungsgabe, ganz zu schweigen
von ihrem Interesse und ihrer Begeisterung.
Der Einflieger muß ein in seinen Flugeigenschaften und seiner Flugsicherheit
noch unbekanntes Flugzeug bis an die äußerste Grenze seiner
Leistungs- und Belastungsfähigkeit erproben. Das erfordert begreiflicherweise
nicht nur ungewöhnlichen Mut, sondern darüber hinaus ein systematisches
Durchspielen aller zu erwartenden Flugmanöver. Dazu ein lückenloses.
genaues Aufzeichnen sämtlicher durch Auge, Ohr und Gefühl wahrnehmbarer
Reaktionen des Flugzeuges. Die hohe Zahl der oft tödlichen Unfälle
redet eine beredte Sprache über den gefahr- und opfervollen Beruf
des Einfliegers.
In dieser nervenaufreibenden Zeit, als Hanna mehr als einmal ihr Leben
in die Schanze schlägt, erhält sie jeden Morgen einen Brief ihrer
Mutter. Wie alle Mütter bangt sie um das Leben ihres Kindes, obwohl
sie weiß, daß Hanna nicht leichtsinnig ist. Sie möchte
aber auch verhindern, daß ihre Tochter durch ihre unbestreitbaren
Erfolge der Gefahr der Eitelkeit erliegt. Und noch etwas anderes drückt
sie in ihren am späten Abend geschriebenen Briefen aus: Daß
jeder Versuchsflug dem Leben anderer und dem Namen Deutschlands dient!
Es naht ihre bisher schwerste und gefährlichste Prüfung. Nach
anfänglichen hochriskanten Versuchen des Sturzflugs hatte Hans Jacobs
zur Stabilisierung der Maschine spezielle Bremsklappen entwickelt. Der
nächste Test mit diesen "Bremsen": ein senkrechter Sturz
aus 6.000 m Höhe! Kein Mensch wird in solchen Augenblicken frei von
Angst und Zweifel sein, ob die Maschine dabei diesem ungeheuren Druck standhalten
wird und nicht auseinanderfällt. Hanna bezwingt diesen Anflug von
Furcht. Wieder und wieder setzt sie zum Sturz in die Tiefe an. Beim letzten
Versuch stürzt sie senkrecht aus einer Höhe von 3.000 m, und
erst 200 m über dem Boden fängt sie die Maschine ab und landet.
Das Blut hämmert ihr noch in den Schläfen.
Diese Versuche mit Sturzflugbremsen werden namentlich für die junge
deutsche Luftwaffe von grundlegender Bedeutung. Die neue Erfindung wird
Ernst Udet, General v. Greim und anderen Generalen der Luftwaffe auf dem
Flugplatz von Darmstadt-Griesheim vorgeführt. Hanna wird nach den
gelungenen Vorführungen von Udet zum Flugkapitän ernannt, das
erste Mal, daß dieser Titel einer Frau verliehen wird.
Nach der triumphalen Überquerung der Alpen von fünf deutschen
Segelfliegern, darunter auch Hanna Reitsch in ihrem "Sperber Junior",
wird sie im September 1937 von Ernst Udet an die Flugerprobungsstelle für
Militärmaschinen nach Rechlin berufen. Ihr Auftrag ist, mit den neuen
Bremsvorrichtungen ausgestattete Kriegsflugzeuge auszuprobieren. Sie ahnt
damals noch nicht, daß sie für die folgenden Jahre unauslöslich
in die Militärfliegerei einbezogen wird. Die Erprobung von Stukas,
Bombern, Jagdmaschinen usw. wird für sie eine patriotische Aufgabe,
die sie als größere Ehre empfindet als Titel und Auszeichnungen.
Doch auch hier spürt sie zunächst wieder die schlecht verhohlene
Ablehnung des "stärkeren Geschlechts". Nicht nur wegen ihres
überlegenen Könnens, sondern seltsamerweise auch wegen ihres
selbstlosen Idealismus.
Wer ihr heute vorwerfen möchte, daß sie damit zur "Vorbereitung
eines Angriffskrieges" beitrug, sollte ihre eigenen Worte beherzigen:
"Wir jungen Menschen wollten den Frieden, aber den gerechten, der
uns leben ließ. Das deutsche Volk wollte ihn, auch wenn es die Welt
heute nicht mehr wahrhaben will. Ein Volk, das in der Mitte zwischen anderen
Völkern einen engen Wohnraum hat und jetzt, nach den Jahren der Armut
und Unsicherheit, wieder Brot sah und einen Aufstieg erlebte und wußte,
daß in der Welt stets der Schwache bedroht sein wird, und weil es
glaubte, wie alle ein Recht auf Schutz zu haben, sah es in der wehrmässigen
Erstarkung ein Erstarken seiner Kraft und die Möglichkeit, den Frieden
zu wahren. Welches andere Volk in der Welt hätte dabei nicht berechtigten
Stolz empfunden?" ... 'Wenn Du den Frieden willst, sei für den
Krieg vorbereitet' "So sah ich sie, ohne daß ich an dieses Wort
der Römer gedacht hätte: die Stukas, die Bomber, die Jäger
- Wächter vor den Toren des Friedens.
Und so flog ich sie, jeden Flug mit dem Gefühl, mit meiner Vorsicht
und Zuverlässigkeit jene zu schützen, die nach mir als Piloten
in der Kanzel sitzen würden, und daß wiederum jeder einzelne
von ihnen allein durch sein Dasein jenes Land schützen würde,
das ich eben im Flug unter mir sah: Land mit Äckern und Feldern, mit
Bergen und Hügeln, Wäldern und Wassern. Land, das es auf der
Erde vielleicht großartiger gab und doch nur dieses eine für
mich, weil es meine Heimat war. War es nicht wert, dafür zu fliegen?"
So mußten sich auch in Rechlin jene, denen "Weiber" ein
Greuel waren, an ihr Wirken gewöhnen. Leistung imponierte letztlich
immer.
Bei den exotischen, unter dem Reklamewort KISUAHELI stattfindenden Festlichkeiten
im Februar 1938 in Berlin stand auch Hannas Name als letzte Nummer auf
den Plakaten: "Hanna Reitsch fliegt den Hubschrauber." Vor diesem
grellen Hintergrund, inmitten von allerhand Varieteevorstellungen schien
manchem ihr Auftreten eines Flugkapitäns unwürdig zu sein. Doch
es handelte sich dabei - die Idee kam von Udet - um eine sehr ernsthafte
Angelegenheit. Zum ersten Mal in der Welt sollte in der Deutschlandhalle
ein Hubschrauber vorgeführt und gezeigt werden, daß diese Lösung
von Deutschen gefunden worden war (entwickelt von Professor Focke in Bremen).
Nach den ersten, von Karl Franke aus Rechlin und Hanna durchgeführten
Versuchsflügen mit dem noch gänzlich unbekannten Hubschrauber
stattete der berühmte amerikanische Flieger Charles Lindbergh, bekannt
durch seinen wagemutigen Transatlantiksoloflug, Deutschland einen Besuch
ab. Dieser sympathische, schlicht-natürliche Mann nannte den ihm vorgeführten
Hubschrauber sein bisher stärkstes technisch-fliegerisches Erlebnis.
Vor ihrem Auftritt treten noch einmal alle Widersacher gegen diese "billige
Revue" auf den Plan. Auch Hannas Eltern sind zunächst ehrlich
entsetzt, daß ihre Tochter in einem Milieu von Clowns, Fakiren und
Seiltänzern erscheinen soll. Aber der Gedanke, durch ihren Flug mit
dem Hubschrauber, den Namen DEUTSCHLAND groß auf dem Rumpf, das Ansehen
ihres Landes zu heben, läßt sie ihre Abneigung überwinden.
"Denn meine Eltern liebten Deutschland mit der Innigkeit von Menschen,
die - der Welt gegenüber großzügig in Auffassung und Geist
- in der Heimat den Widerhall ihres eigenen Herzens fanden und ihr zugetan
waren, wie Kinder es natürlicherweise Vater und Mutter gegenüber
sind. Der Dienst an diesem Vaterland war ihnen deshalb eine so hohe Pflicht,
daß sie ihn ganz in den Vordergrund stellten. Diese Einstellung gab
den Ausschlag."
Die Berliner sind anfangs - nach den Schlagworten der Reklame von "300
Sachen" - vom langsamen Hubschrauber enttäuscht. Doch die Erregung
und Bewunderung aller Fachleute pflanzt sich schließlich auch auf
das breite Publikum fort. Zudem gibt es ein erfreuliches Echo in der Presse
aus aller Welt. "So wurde die Vorführung des Hubschraubers zuletzt
doch noch, was sie hatte werden sollen: Ein Lob deutschen Geistes und deutscher
Technik. Der Flug in der Deutschlandhalle war eine geschichtliche Festlegung
des Anspruchs auf ein Erstrecht."
August 1938. International Air Races in Cleveland, Ohio. Ernst Udet, der
die Amerikaner schon bei früheren Veranstaltungen mit seinem Können
begeisterte, soll wieder dabei sein. Doch er ist dienstlich verhindert
und schlägt daher seinen amerikanischen Freunden vor, an seiner Stelle
Hanna Reitsch herüberzuholen. Neben Hanna gehen noch zwei deutsche
Fliegerkameraden, Graf Hagenburg und Emil Kropf mit nach Amerika.
Wie so viele Bekannte sind auch Hannas Eltern besorgt, daß ihre Tochter
als Europäerin in diesem wesensfremden Land Schwierigkeiten haben
wird. Nur Ernst Udet ist anderer Meinung. Mit seinem Humor und seiner Ursprünglichkeit,
neben seinem als früherer Kunstflieger ausgesprochenen Sinn für
"publicity" , hatte er sich bei den sportbegeisterten Amerikanern
immer wie zu Hause gefühlt. Auch Hanna ist von dem Erlebten und der
Freundlichkeit der Amerikaner beeindruckt. (Was sie, wie jeder Kurzbesucher
nicht wissen kann, ist, daß amerikanischer Beifall und Ekstase zumeist
Eintagsangelegenheiten sind). Den amerikanischen Humor erlebt sie schon
in den ersten Tagen ihres Aufenthalts, als den deutschen Fliegern zu Ehren
ein Empfang in New York gegeben wird.
Da Hanna von den drei Deutschen das beste Englisch spricht, fällt
ihr die Rolle zu, sich für all die Reden und Trinksprüche zu
bedanken. In ihrer lebhaften Art sprudelt sie ihre Begeisterung für
Amerika heraus. Sie kommt mehr und mehr in Fluß und endet zuletzt
mit einem bei ihrer Ankunft von den Hafenarbeitern immer wieder gehörten
Wort: "What the hell goes on..." Die Wirkung ist wie eine Bombe.
Donnerndes Lachen und rasender Beifall! Denn was sie nicht wußte
- dieser Ausspruch war einfach nicht "ladylike"!
Bei den "Air Races" findet ein für die deutsche Mannschaft
beinahe tödlicher Unfall statt. Graf Hagenburg, ein vorzüglicher
Kunstflieger, wird beim Rückenflug in Bodennähe plötzlich
durch eine Böe nach unten gedrückt. Die Maschine überschlägt
sich beim Aufprall in einer Riesenstaubwolke. Atemlose Stille, die Musik
bricht ab, Fahnen gehen auf Halbmast. Doch den Trümmern entsteigt
plötzlich - Graf Hagenburg. Er läßt seine Verletzungen
von Sanitätern verbinden, steigt in eine andere Maschine und fliegt
weiter (wie Frh. v. Wangenheim bei der Olympiade 1936 in Berlin trotz Schlüsselbeinbruch
weiterritt und damit den Sieg der deutschen Military-Mannschaft sicherte!).
Graf Hagenburg ist mit einem Schlag der populärste Mann der Veranstaltung.
Nichts hätte größere Bewunderung hervorrufen können.
Nach dem Zielabspringen mit Fallschirmen muß Hanna zum Schluß
der Veranstaltungen den von Hans Jacobs konstruierten "Habicht"
vorführen, das ein Segelflugzeug, mit dem man Kunstflüge ausführen
kann. Es war nicht einfach, nach dem Donnern und Heulen der Motoren auf
dem Abstellen aller störenden Geräusche zu bestehen. Denn der
lautlose Segelflug kann in seiner Schönheit nur in Abwesenheit allen
ablenkenden Lärms empfunden werden. Einen größeren Gegensatz
als den zwischen dem lautlosen Flug des schimmernden schlanken Vogels und
dem vorhergegangenen Dröhnen der Hochleistungsmotoren konnte es nicht
geben. Hanna fliegt alle nur möglichen Kunstflugfiguren und landet
schließlich mitten im Zielkreis unter dem tosenden Jubel der Menge.
Alle folgenden Einladungen des gastlichen Landes müssen abgesagt werden,
da die deutsche Mannschaft wegen der Krise in der Tschechoslowakei telegraphisch
zurückgerufen wird.
Im Februar 1939 startet abermals eine Segelflugexpedition unter Prof. Georgii.
Diesmal geht es in das italienische Nordafrika. Die Expedition hat strenges
Verbot, in die Wüste zu fliegen. Die Teilnehmer müssen sich an
die alten Karawanenstraßen halten. Aber es bleibt nicht aus, daß
sie den Saum der Wüste streifen. Hanna ist fasziniert von der Unendlichkeit
des Sandmeeres unter ihr. Einmal bekommt sie den Auftrag, eine der mitgeführten
Motormaschinen nach Garian zu verlegen, einem westlich Tripolis in Richtung
Tunis gelegenen Ort. Beim Start ist der heiße afrikanische Himmel
wolkenlos. Stundenlang genießt sie beim monotonen Summen des Motors
die wie tote, flimmernde weiße Fläche unter ihr. Noch immer
kein Wölkchen am Himmel.
Da, wie urplötzlich ein grelles Fanal am Himmel, der sich in Minutenschnelle
schwefelgelb färbt. Fast im gleichen Augenblick setzt der Sturm ein.
Die Wüste ist in Aufruhr. Sturmfluten von Sand werden hochgejagt,
greifen nach dem Motor und dem Gesicht des Piloten. Bald sind Nase, Ohren
und Augen mit feinem Flugsand verstopft. Der Motor fängt an zu stottern,
und plötzlich streikt er ganz. Im Gleitflug geht es inmitten der wirbelnden
Sandmassen nach unten. Zu Hannas Glück auf einen Platz, der nicht
mehr weit von Garian entfernt ist. Am nächsten Tag herrscht wieder
Stille. Auch die anderen Maschinen und Transportwagen treffen ein. Über
der Wüste dehnt sich wie zuvor der seidenblaue Himmel.
Ihr für eine Frau bedenklichstes Abenteuer erlebt sie nach einem mehrstündigen
Segelflug in Buerat el Sun, wo sie von der Dunkelheit überrascht wird.
Zwei plötzlich auftauchende Karabinieri bieten ihr Schutz in einer
nahen Steinhütte an. Zunächst beobachten die beiden mit südländischem
Charme die einer Dame gegenüber angebrachten Formen. Aber mit dem
Fortschreiten der Nacht nimmt das italienische Temperament zunehmend Überhand
über die männliche Ritterlichkeit. Hanna muß ihre bei ihren
Flügen so oft erprobte Geistesgegenwart einsetzen. Ihr ständiger
Redestrom, ein Gemisch aus italienischen, französischen und lateinischen
Brocken, vermag nicht länger die immer deutlicher werdenden Aggressionsgelüste
der beiden Männer abzuwehren. Nun erzählt sie ihnen, daß
sie zu Marschall Balbo weiterfliegen muß. Sie lobt ihr vorbildliches
Betragen und verspricht, es bei Balbo vorzubringen. Sicherlich wird er
sie dafür mit einem Orden beehren. Das Zauberwort "Orden"
versetzt die Italiener in Entzücken. Sie benehmen sich wieder mustergültig,
und Hanna ist durch diese kleine Notlüge gerettet.
Zwischen 1937 und 1939 stellt Hanna einen Streckenweltrekord von der Wasserkuppe
nach Hamburg, einen Weltrekord im Zielflug mit Rückkehr zum Startplatz
von Darmstadt zur Wasserkuppe und zurück auf. Daneben wird sie als
einzige weibliche Teilnehmerin Sieger beim großen Zielstreckensegel-
flugwettbewerb von Westerland auf Sylt nach Breslau. Und im Juli 1939 fliegt
sie einen Weltrekord im Zielflug von Magdeburg nach Stettin.
Nach den Versuchen mit den Sturzflugbremsen geht das Institut nun daran,
sich mit der Konstruktion eines Großsegelflugzeuges zu befassen.
Die Idee des Lastenseglers wird geboren.
Das erste Großsegelflugzeug wird im Schleppflug hinter einer dreimotorigen
Ju 52 erprobt. Hanna ist am Steuer. Es stellt sich heraus, daß der
völlig geräuschlose Lastensegler sich auch im steilen Sturz bewährt.
Da er in der Lage ist, Menschen und Material zu befördern, gewinnt
er mit diesen Eigenschaften auch militärische Bedeutung. Die sich
ergebenden vielseitigen Möglichkeiten erwecken das Interesse der deutschen
Luftwaffenführung.
Bei der Vorführung vor der Generalität sind u.a. Udet, Kesselring,
Ritter v. Greim und Milch zugegen. Mit einer kriegsmäßig ausgerüsteten
Gruppe Infanterie läßt Hanna sich auf eine Höhe von 1,000
m schleppen. Dann stürzt sie im Steilflug nach unten, landet zwischen
den Büschen hinter der Generalität, während die Soldaten
aus dem Segler springen und sofort in Stellung gehen.
Die Generale sind hingerissen. Wie ein Mann bestehen sie darauf, diesen
Sturzflug sofort zu wiederholen. Diesmal mit den hohen Herren daselbst
als Besatzung! Hanna schlägt bei diesem Ansinnen und dieser Verantwortung
das Herz zum Halse heraus. Doch ihre Einsprüche werden beiseite geschoben.
Auch dieser zweite Flug klappt ohne Zwischenfälle. Nur die Fallschirmtruppe
ist von der neuen Konkurrenz wenig begeistert. Bei einem "Wettbewerb"
zwischen Lastenseglern und Fallschirmjägern, die beide ein bestimmtes
Ziel anzusteuern haben, erweisen sich die Lastensegler als eindeutig überlegen.
Sie landen genau am Ziel, und ihre Mannschaften sind im Nu einsatzbereit.
Die Fallschirmjäger dagegen werden an diesem sehr windigen Tag teilweise
weit vom Ziel abgetrieben.
Der erste Kriegseinsatz der Lastensegler erfolgte bekanntlich gleich zu
Beginn des Frankreichfeldzugs. Mit ihrer Hilfe wurde das bis dahin als
uneinnehmbar geltende belgische Fort Eben Emael ohne nennenswerte Verluste
erstürmt.
Nur die besten Segelflieger werden als Piloten der Lastensegler ausgewählt.
Ihr Gefreitendienstsgrad entspricht allerdings keineswegs ihren Fähigkeiten.
Ihre Vorgesetzten können zwar auf ihren Rang pochen, haben aber so
viel wie keine Ahnung vom Segelfliegen. Die Piloten sind tief deprimiert,
weil ihre Forderung nach den notwendigen Übungsflügen für
künftige Einsätze glatt abgewiesen wird. Sie wissen, daß
dieses Versäumnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu katastrophalen Folgen
führen wird.
In ihrer Verzweiflung wenden sie sich an Hanna Reitsch. Hanna zerbricht
sich den Kopf darüber wie sie, eine Frau, in der militärischen
Hierarchie etwas für ihre Kameraden bewirken kann. Ein Brief an General
v. Richthofen bleibt erfolglos. Auch bei weiteren Vorstößen
läuft sie wie gegen eine Mauer. Doch das drohende Schicksal ihrer
Kameraden, die Gefahr von Fehlschlägen mit hohen Verlusten wegen ungenügender
Vorbereitung, lassen sie nicht los. Endlich, sie hat schon fast die Hoffnung
aufgegeben, gelingt durch einen Fürsprecher eine Besprechung mit General
v. Greim. Er bewilligt einen großangelegten Probeeinsatz. Das befürchtete
Ergebnis: Nur wenige Lastensegler erreichen das befohlene Ziel, und dazu
noch um Stunden zu spät! In einem umfangreichen Trainingsprogramm,
auch bei Nacht, können solche Pannen gerade noch rechtzeitig beseitigt
werden.
Fortsetzung hier . . .