Hanna Reitsch schreibt dazu: "Daß ich eine Frau war, störte
viele, denen das Privileg des Mannes wichtiger war als die Not der Stunde.
Mir hat diese Einstellung viele Kämpfe eingebracht, und sie hätte
auch die Erfüllung wichtigster Aufgaben oftmals verzögert, wenn
nicht einige verantwortungsbewußte Männer wie Udet und Ritter
v. Greim, denen die sachliche Aufgabe mehr galt als der Kampf der Geschlechter
um den Vortritt, kraft ihres Amtes und ihrer militärischen Stellung
meinen Einsatz durchgesetzt hätten. Ich selbst litt natürlich
unter dieser Einstellung, jedoch hätte sie mich nie von der Erfüllung
meiner Pflicht abbringen können. Und so sind die Jahre des Krieges,
dessen Schrecken und Grauen sich mir unauslöschlich eingeprägt
haben, für mich Jahre schwerer und ernstester Arbeit geworden."
Und weiter, im Zusammenhang mit der gefährlichen Erprobung eines unbemannten
Benzinträgers: "Diese Versuche kosteten aber nicht nur Überwindung
der körperlichen Schwäche, von der ich angefallen wurde, sondern
auch der Angst - häßlicher, primitiver Angst. Doch wenn sie
mich überfiel, dann dachte ich an die Männer draußen und
schämte mich, weniger bereit zu sein als sie."
Eine neue Versuchsserie läuft an. Mit Hilfe von Seilen soll auf dem
kleinsten Deck eines Kriegsschiffes gelandet werden. Die Versuche bleiben
erfolglos und werden eingestellt. Es folgt ein sehr gefährliches Experiment:
Das Kappen von Ballonseilen. Diese Drahtseile hatten den deutschen Maschinen
über England manche Verluste beigebracht, indem sie die Tragflächen
durchsägten. Hans Jacobs konstruiert einen die Motoren schützenden
"Abweiser". Mit seiner Hilfe sollen die Seile abgedrängt
und dann abgeschnitten werden. Hanna sagt dazu: "Diese Erprobungen
hatten mich wie kaum eine Aufgabe zuvor innerlich erfüllt und mitgerissen;
denn ich wußte, daß ich jeden Versuch für das Leben meiner
Kameraden flog, die im Einsatz standen. Es war ein harter Kampf mit der
Gefahr."
Bewundernswert, wie sie in diesen Tagen trotz heftiger Kopfschmerzen und
Fieber dennoch weiter fliegt, bis sie mit Scharlach nach Berlin ins Virchow-Krankenhaus
eingeliefert werden muß! Zum Scharlach gesellt sich Gelenkrheumatismus.
Auch ihr Herz ist in Mitleidenschaft gezogen. Die Angst ergreift sie, nie
wieder fliegen zu können.
Doch es geht gut. Drei Monate später kann sie aus dem Krankenhaus
entlassen werden. Sofort nimmt sie die gewagten Anflüge wieder auf.
Bei ihrem letzten Versuch, bei dem auch Udet zugegen ist, hat sich der
Ballon quer zum Wind gestellt. Das Ergebnis ist, daß das Seil durch
die Abtrift viel zu flach ansteht. Mit gemischten Gefühlen fliegt
sie den Draht an. Und schon kracht es. Splitter des Metallpropellers fliegen
in die Kabine. Sie hat Glück, daß der Motor nicht durch die
Unwucht herausgerissen und damit unweigerlich den Absturz verursacht hätte.
Ein Wettlauf mit dem Tod beginnt. Es gelingt ihr jedoch, ihre Do 17 im
Gleitflug zu halten und nach unten zu bringen. In höchster Erregung
erwarten die Beobachter die Detonation des Aufschlags. Udet begibt sich
sofort in seinem Fieseler Storch zur vermeintlichen Bruchstelle. So bleich
hatte Hanna ihn noch nie gesehen. Ohne ihr ein Wort zu sagen, fliegt er
nach Berlin, wo er Hitler berichtet. Daraufhin erhält Hanna das Eiserne
Kreuz 2. Klasse.
Am 27. März 1941 wird Hanna von Göring in seinem Haus empfangen.
In Anerkennung für ihre gefahrvollen Versuche überreicht er ihr
das goldene Militärfliegerabzeichen mit Brillanten. Wegen ihrer geringen
Körpergröße hatte Göring die Eintretende zuerst glatt
übersehen, bis Udet ihn schmunzelnd darauf aufmerksam macht, daß
der erwartete Gast schon vor ihm steht. "Wie? Das soll unser großer,
berühmter Flugkapitän sein? Ist das alles? Wie können Sie
kleine Person überhaupt fliegen?" Hanna ist etwas pikiert, aber
keineswegs eingeschüchtert. Mit einem Arm Görings Körperfülle
beschreibend, antwortet sie schlagfertig: "Ja, muß man denn
dazu so aussehen?"
Für einen Moment ist sie erschrocken über ihre impulsive Geste.
Aber noch bevor sie sich erholt hat, gibt es ein großes Gelächter,
in das auch Göring einstimmt.
Am folgenden Tag wird sie von Hitler zur Verleihung des EK II in der Reichskanzlei
empfangen. Hitler unterhält sich eingehend mit ihr über ihre
Versuche, und Hanna ist beeindruckt von seiner höflichen Art und seinen
Kenntnissen auf fliegerisch-technischem Gebiet.
Die Anteilnahme des deutschen Volkes an dieser Auszeichnung ist überwältigend.
Seit seiner Stiftung im Jahre 1813 war das EK II nur einmal einer Frau,
der Krankenschwester Johanna Krüger, verliehen worden. "Meine
Heimat Schlesien vergaß nicht, daß ich ihr Kind war... so erlebte
ich es in diesen Tagen und fand darin ein tiefes Glück, das nur der
verstehen kann, der sein Volk liebt... Die Dörfer hatten geflaggt,
Menschen säumten die Straßen und warfen uns Blumen zu, standen
an den Türen und grüßten, und noch vor Hirschberg mußten
wir oftmals halten, um die Lieder der Schulkinder an- zuhören... Aus
jedem und allem sprach Schlesiens Liebe! Aus den Kinderaugen, die uns entgegenleuchteten,
aus den dankbaren Blicken greiser Männer und Frauen, die uns mit welken
Händen zuwinkten, aus den Begeisterungsrufen der Jungen, den Blumen
und Fahnen, die Hirschberg schmückten."
Nach dem ersten Empfang berichtet sie weiter: "Der Jubel... bestätigte
mir, daß es im deutschen Volk eine Liebe gab, deren Kraft aus Quellen
stammt, welche die Vernunft nicht berechnen kann. Aus den Bergen, die hier
auf uns niederschauten. Aus den Wiesen und Äckern, die sich vor der
Stadt ausbreiteten. Es waren die Bilder, welche die Seele des einfachen
Soldaten füllten, der vorn im Graben stand, es waren die Träume
der Frauen und Mütter, welche die Entbehrungen des Krieges allein
zu tragen hatten: es war Heimat!"
Im Ratsherrensaal wird ihr der Ehrenbürgerbrief der Stadt verliehen.
"Es war nicht die Ehre, die mich an diesem Tag zutiefst bewegte, sondern
die Verbundenheit mit meiner Heimat, deren Liebe mich umschloß...
Sie würde mich, wenn ich nun zu meiner Arbeit zurückging, wie
ein Kraftquell begleiten."
Im Oktober 1942 fliegt Hanna für die Firma Messerschmidt in Augsburg
die Me 163a und b, ein schwanzloses Flugzeug mit Raketenantrieb, das sich
bewährt hat und als Einsatzmaschine weiterentwickelt werden soll.
Die dem Raketenflugzeug zugedachte Aufgabe ist, feindliche Bomberpulks
zu zersprengen, um den Abschuß zu erleichtern.
Nach Abheben vom Boden erreichte die Rakete eine Geschwindigkeit von 400
km/St. Nach Abwurf des Fahrwerks in 8-10 m Höhe stieg die Geschwindigkeit
in wenigen Sekunden auf 800 km. Bei einem Steigwinkel von 60-70° konnte
die Maschine in 1 Minuten eine Höhe von 10,000 m erklimmen. Die Me
163 besaß zudem noch hervorragende Flugeigenschaften. Ihr großer
Nachteil war, daß sie wegen des enorm hohen Brennstoffverbrauchs
nur 5-6 Minuten in der Luft bleiben konnte. Eine weitere Komplikation ergab
sich aus der sehr hohen Landegeschwindigkeit - nach verbrauchtem Brennstoff
im Gleitflug bis zu 240 km! Heini Dittmar, der Einflieger dieser Maschine,
hatte mit ihr die 1,000 km Grenze überschritten. Da Dittmar wegen
einer Verletzung der Wirbelsäule im Krankenhaus gelandet war, fallen
die weiteren Probeflüge Hanna Reitsch und einem Kameraden zu.
Bei einem Probeflug ohne Triebwerk im Schlepp einer 2-motorigen Me 110
passiert es. Als Hanna in niedriger Höhe versucht, das Fahrwerk abzuwerfen,
läuft plötzlich ein starkes Zittern und Brummen durch die ganze
Maschine. Von unten rote Leuchtkugeln. Gefahr! Gleichzeitig Signale aus
dem MG-Stand der vorausfliegenden Me 110. Etwas war mit ihrem Fahrwerk
nicht in Ordnung. Der Pilot der Me 110 begreift sofort, daß sie schnell
Höhe gewinnen muß. Er schleppt sie bis zur Wolkenbasis, wo sie
in 3,500 m Höhe ausklinkt.
Trotz waghalsiger Flugmanöver gelingt es ihr nicht, das leidige Fahrwerk
abzuschütteln. Das Vibrieren in ihrer Maschine verstärkt sich.
Aber sie verwirft den Gedanken, mit dem Fallschirm abzuspringen und die
kostbare Maschine abschmieren zu lassen. Sie vertraut ihrem Stern und hofft,
doch noch auf dem vorgesehenen Landeplatz aufsetzen zu können. Doch
plötzlich sackt die Maschine durch und reagiert auf keine Steuermanöver
mehr. Instinktiv duckt sie sich zusammen, als die Me mit hoher Fahrt auf
einen Acker zusaust und sich krachend überschlägt.
Sie hat noch die Kraft, das Kabinendach zu öffnen. Vorsichtig tastet
sie ihr Gesicht ab. Wo vorher die Nase saß, ein breiter blutiger
Spalt! Bei jedem Atemzug quellen Luft- und Blutblasen hervor. Als sie versucht,
ihren Kopf seitwärts zu drehen, wird es ihr schwarz vor den Augen.
Unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte geht sie daran, auf einem Notizblock
Ursache und Verlauf des Sturzes festzuhalten. Es ist die Pflicht des Einfliegers,
die beim Probeflug gemachten Erfahrungen nicht verloren gehen zu lassen.
Erst jetzt verbindet sie ihr Gesicht mit einem Taschentuch, um den herbeieilenden
Mannschaften dessen Anblick zu ersparen. Dann verliert sie das Bewußtsein.
Die Röntgenaufnahmen im Krankenhaus zeigen einen vierfachen Schädelbasisbruch,
zwei Gesichtsschädelbrüche, einen verschobenen Oberkiefer, eine
Gehirnquetschung und die gespaltene Nase. Am nächsten Morgen kniet
ihre Mutter an ihrem Bett. Die Ärzte betrachten ihren Zustand als
sehr bedenklich, aber beim Anblick der geliebten Mutter fühlt sie
sich geborgen.
Die folgenden Wochen und Monate zählen zu den qualvollsten ihres Lebens.
Nicht wegen der Schmerzen, sondern weil sie hilflos liegen muß, während
die Nachrichten von den Fronten sich laufend verschlechtern. Ohne ihre
Mutter wäre sie verzweifelt. Über fünf Monate verbringt
sie in diesem Lazarett. Und bei dem aufopfernden Bemühen der Ärzte
und Schwestern, und nicht zuletzt dank der Liebe ihrer Mutter, kommt sie
langsam, für sie viel zu langsam, wieder zu Kräften. Wenige Tage
nach ihrem Absturz war ihr das EK I verliehen worden.
Da sie um nichts in der Welt ihre Flugversuche aufgeben will, zwingt sie
sich mit eiserner Energie, ihre heftigen Kopfschmerzen und Schwindelanfälle
zu bekämpfen. Vorsichtig klettert sie auf das Hausdach. Sie muß
sich am Schornstein festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Diese Übung wiederholt sie Tag für Tag. Anfangs ist sie von diesen
Kletterpartien völlig erschöpft. Doch allmählich lassen
die Schwindelgefühle nach, und vier Wochen später gelingt es
ihr, schwindelfrei über den Dachfirst zu rutschen. Danach verlegt
sie ihre Kletterübungen auf in der Nähe stehende Bäume wie
sie es in ihren Kindertagen getan hatte. Eines Tages - die Ärzte dürfen
auf keinen Fall davon erfahren - überredet sie den Kommandeur der
Luftkriegsschule Breslau-Schöngarten, sie eine Segelmaschine fliegen
zu lassen. Mit diesem Erlebnis, das Herz voll Dankbarkeit, daß sie
wieder Höhenluft schmecken kann, ist ihr das Leben neu geschenkt.
Es dauert nicht lange, und sie fliegt wieder alle Kunstflugfiguren wie
in alten Zeiten.
"Denn mein Ziel war, in den Einsatz zurückzukehren. Die Ungewißheit
über Deutschlands Schicksal wuchs täglich angesichts der immer
schwächer werdenden deutschen Front und lag wie ein schwerer Druck
auf mir. Die Gedanken bewegten mich Tag und Nacht. Ich hatte mich niemals
mit strategischen oder politischen Fragen befaßt. Ich wollte nur
bis zur letzten Stunde meiner Heimat helfen; denn ein verlorenen Krieg
bedeutet für ein Volk furchtbares Unglück. Deshalb fragte ich
auch nicht danach, ob die Überlegenheit des Gegners noch entscheidend
zu schwächen war. Ich fragte mein Gewissen. Und nach meinem Gewissen
handelte ich, wenn ich alles daran gesetzt hatte, wieder in den Einsatz
zurückkehren zu können."
Nachdem sie mit ihren Probeflügen an der Heimatfront unentwegt im
Einsatz gewesen war, wird sie von Generaloberst v. Greim gebeten, ihn an
der Ostfront aufzusuchen. Von Greim ist im Mittelabschnitt als Flottenchef
eingesetzt. Nach ihrer Gesundung hatte Hanna sich bei Göring zurückgemeldet.
Er lädt sie in sein Haus auf dem Obersalzberg ein. Das Gespräch
kommt bald auf das Raketenflugzeug und Hannas Absturz. Hanna ist entsetzt,
daß Göring, in völliger Verkennung der wirklichen Lage,
diesen Typ bereits in Serienherstellung wähnt. Er will damit die Terrorangriffe
der Anglobomber zurückschlagen. Als Hanna ihn korrigiert, verläßt
Göring zornig das Zimmer. Er wollte sich also lieber belügen
lassen als den Realitäten ins Auge sehen!
Zutiefst deprimiert in Anbetracht seiner offensichtlichen Unbedarftheit
verläßt Hanna Görings Haus. Welch ein Unterschied zwischen
dem zu Großmannssucht neigenden Göring und v. Greim! Von Greim
ist wahrlich ein Ritter ohne Furcht und Tadel, hochverehrt von seinen Männern
wie von seinen Offizieren. Er vereinigt in seiner Person Tapferkeit und
Lauterkeit der Gesinnung. Von seinen Soldaten verlangt er nichts, was er
nicht selber zu geben bereit ist. Er hätte nie jemand sinnlos in den
Tod geschickt.
Im November 1943 trifft Hanna in v. Greims Hauptquartier in der Nähe
von Orscha ein. Die Frontlage ist äußerst ernst. Von Greim hofft,
die Moral seiner Truppen durch den Frontbesuch einer Frau zu stärken,
die das Ehrenzeichen des Soldaten trägt.
In der ersten Nacht liegt Hanna lange schlaflos unter dem Eindruck des
unaufhörlichen Geschützdonners von der nahen Front. Im Morgengrauen
des folgenden Tages fliegt sie mit v. Greim in einem Fieseler Storch zu
seinen in vorderster Linie eingesetzten Flakbatterien. Ein sowjetischer
Angriff steht bevor. Bei eisiger Kälte erlebt Hanna den Krieg unmittelbar
aus der Sicht des deutschen Russlandkämpfers. In einem Panzerwagen
geht es von der Landestelle bis dicht an die HKL. Gerade haben sie ihr
Ziel erreicht, als das Trommelfeuer der Sowjets einsetzt. Die Einschläge
der russischen Granaten brüllen, die eigene Flak mischt sich in den
ohrenbetäubenden Lärm. Sowjetische Schlachtflieger stoßen
auf die deutschen Gräben mit Bomben und Bordwaffen. Dazwischen das
Schreien von Verwundeten. Hanna scheint es, daß keiner hier lebend
herauskommen kann. Die Angst würgt sie. Doch der Gedanke an die Soldaten,
die dies alles fast täglich miterleben müssen, läßt
sie ihre Angst überwinden.
Der Angriff der Sowjets wird abgeschlagen. Während der anschließenden
Feuerpause hilft Hanna die Verwundeten betreuen. Zu den benachbarten Flakstellungen
will man Hanna nicht mehr mitnehmen. Doch sie liest in den Augen der Männer,
was ihre Gegenwart ihnen gegeben hat. Sie besteht darauf, trotz der Gefahren
mitzugehen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und so kann sie bald, von
einem Unteroffizier unterwiesen, die Art der Artilleriegeräusche,
Abschüsse, das Heranheulen der Granaten, dann naher und entfernter
Einschläge unterscheiden und sich danach verhalten.
Unauslöschlich ist für sie das Zusammensein mit ihren "Frontkameraden",
die ihr ihre Sorgen und Hoffnungen mitteilen. Wie gern hätte sie ihnen
einen Hoffnungsschimmer gegeben! Aber es widerstrebt ihr, die Propagandaparolen
aus der Heimat zu wiederholen, die mehr und mehr die Wirklichkeit verkennen.
Sie versucht, das rechte Wort über den Sinn des Ausharrens zu finden.
Auch das englische Volk hatte nach Dünkirchen nicht verzweifelt (Und
noch weniger Stalin nach den schweren Niederlagen im Sommer 1941), sondern
den Kampf mit um so größerer Entschlossenheit weitergeführt.
"Drei Wochen war ich fast täglich zu Besuch bei den im Kampf
stehenden Verbänden mit dem Fieseler Storch. Überall wohin ich
kam, erlebte ich die Freude einer inneren Verbundenheit, wie sie in gemeinsamer
Not entsteht. Die Flüge unter grauem Himmel über weite, mit Partisanen
besetzte Strecken, die Gespräche und das Zusammensein in primitivsten
Unterkünften und Erdlöchern, der Händedruck, den ich von
dem Landser erhielt, - dies alles verdichtete sich von Tag zu Tag zu einem
einmaligen Erlebnis, dessen Aussergewöhnlichkeit ich gerade als Frau
empfand."
Schon vor ihrem Russlandbesuch hatte Hanna nach ihrer Genesung im Haus
der Flieger in Berlin eine Unterredung mit zwei alten Freunden. Das Gespräch
der drei ergab sich aus den Sorgen um die Zukunft Deutschlands. Sie wußten,
daß die Zeit nicht Deutschlands Verbündeter war - daß,
als die Fronten ständig zurückwichen und eine deutsche Stadt
nach der andern in Schutt und Asche sank, etwas geschehen müsse, um
die drohende Vernichtung des Reiches zu verhindern. Der Morgenthauplan
war bekannt geworden. Diese und zahlreiche andere junge Menschen waren
willens, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dieses für jeden
Patrioten entsetzliche Verhängnis zu verhindern. Aber was konnten
sie tun?
Mit dieser Frage hatte Hanna sich schon monatelang auf ihrem Krankenbett
befaßt. Es war erstaunlich, daß ihre Kameraden etwa zu der
gleichen Erkenntnis gekommen waren wie sie.
"Deutschland war nach unserer damaligen Meinung aus einer ausweglosen
Situation nur dann zu retten, wenn es gelingen würde, eine günstige
Verhandlungsbasis für ein schnelles Kriegsende dadurch zu schaffen,
daß man die wichtigsten Schlüsselpositionen des Gegners und
die Zentren seiner Widerstandskraft in schnell aufeinander folgenden Schlägen
unter Schonung der feindlichen Zivilbevölkerung (im Gegensatz zu den
Methoden unserer Gegner! d. Hsg.) zerstörte. In Frage kamen u.a. große
Elektrizitätsanlagen, Wasserkraftwerke, wichtigste Produktionsstätten
und, im Falle einer Invasion, Schiffseinheiten.
"Unsere Überlegungen sagten uns, daß das nur zu erreichen
war, wenn sich Menschen fanden, die bereit waren, sich mit einem technisch
geeigneten Mittel auf das Punktziel zu stürzen, um es in seinem Zentrum
zu treffen und damit jede Ausbesserung und Wiederinstandsetzung unmöglich
zu machen. Bei einem solchen Einsatz würde es keine Chance für
das eigene Leben geben. ...Der Selbstopfereinsatz verlangte Menschen, die
bereit waren, sich selbst zu opfern in der klaren Überzeugung, daß
kein anderes Mittel mehr Rettung bringen konnte.
"Mit falschem Idealismus hatte diese Einstellung nichts zu tun; denn
sie war nicht allein eine Frage der inneren Bereitschaft, sondern zugleich
auch der nüchternsten Berechnung. Der Gedanke durfte nur dann verwirklicht
werden, ... wenn erwiesenermaßen eine Waffe vorhanden war, die den
Erfolg garantierte. Es hätte der Idee dieses Einsatzes widersprochen,
wenn nur ein einziges Menschenleben leichtfertig und sinnlos aufs Spiel
gesetzt worden wäre."
Von den japanischen Kamikazefliegern ist den Deutschen zu dieser Zeit noch
nichts bekannt.
Zu Hannas Erstaunen gibt es in Deutschland inzwischen zahlreiche Menschen,
die von ähnlichen Gedanken bewegt sind. Keine hirnlosen Fanatiker,
sondern durchweg glückliche, kerngesunde Menschen, die jedoch davon
überzeugt sind, daß nur durch ihr Opfer Land, Frauen und Kinder
gerettet werden können. Sie sind überzeugt, daß eine solche
Selbstopferung, selbst wenn sie das Leben von Hunderten fordern würde,
Hunderttausende, wenn nicht Millionen unserer Soldaten und der dem Terror
alliierter Bomber und der Roten Armee ausgesetzten Zivilbevölkerung
das Leben retten könnte.
Fortsetzung hier . . .