Napoleon, der neue Herr Deutschlands


Am 2. Dezember 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte in Paris selbst zum erblichen "Kaiser der Fanzosen" und erklärt, er trage nun die Krone Karls des Großen! Die meisten deutschen Potentaten beglückwünschen den Korsen als neues Mitglied der europäischen Fürstenfamilie - mit ausgesuchter Höflichkeit und Herzlichkeit alle anderen noch übertreffend; der preußische König Friedrich Wilhelm III. Der Papst kommt persönlich nach Paris, um Napoleon in der Kathedrale Notre Dame zu salben. Den Goldlorbeer setzt sich der neue Kaiser der Franzosen selbst aufs Haupt, damit für jedermann deutlich machend, daß er keine fremde Macht über sich duldet.

In Wien ist man sich über die Gefährlichkeit der neuen Lage im klaren. Auch in Petersburg gibt man sich keiner Täuschung über Napoleons Pläne hin. Die Engländer sind, getreu ihrer Tradition , von vornherein gegen jede das Festland beherrschende Macht. Nur in Berlin träumt Friedrich Wilhelm - bei entsprechendem preußischen Wohlverhalten - von friedlichem Zusammenleben mit dem ehrgeizigen Emporkömmling.

Nachdem es mit England und Rußland zu einer Koalition gekommen ist, erklärt Österreich am 3. September 1805 Frankreich den Krieg. Gleich zu Beginn tritt die deutsche Zerrissenheit deutlich zutage. Nicht nur bleibt Preußen neutral. Die Fürsten von Bayern, Württemberg und Baden gehen sogar Bündnisverträge mit dem französischen Kaiser ein, obwohl es jedem einleuchten sollte, daß Napoleons Sturz im gesamtdeutschen Interesse liegt! Die Folge ist, nach einem der kürzesten Feldzüge der Kriegsgeschichte, Napoleons Sieg in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz. Die vereinigten russischen und österreichischen Armeen werden vor den Toren Wiens geschlagen.

Napoleon weiß die deutschen Fürsten da zu packen, wo sie sterblich sind. Am 1. Januar 1806 dürfen sich der bayrische Kurfürst und der Herzog von Württemberg zu Königen von Napoleons Gnaden erklären. Wenig später treten sie zusammen mit etlichen anderen deutschen Fürsten formal aus dem Reich aus. Sie gründen den sogenannten" Rheinbund" und "auf ewige Zeiten" (heute "unumkehrbar"!) ein Bündnis mit Frankreich, das sie im Kriegsfall zur Gestellung von Truppen unter dem Oberbefehl des französischen Kaisers verpflichtet!

Am 6. August 1806 zieht Kaiser Franz die Folgerung aus dieser Entwicklung. Er legt unter Druck die Kaiserwürde des Deutschen Reiches nieder, das damit zu bestehen aufgehört hat.

In einem überraschenden Entschluß fordert Friedrich Wilhelm III. jetzt, ein Jahr zu spät, ultimativ von Napoleon den Abzug aller fremden Truppen aus Deutschland. Die erwartete russische Hilfe bleibt aus. Statt dessen hat Napoleon auch noch den sächsischen Kurfürsten gnädigst zum König erhöht und in seinen Rheinbund aufgenommen. Voller Hohn bezeichnet Napoleon das verspätete Aufbegehren des nun völlig isolierten Friedrich Wilhelm als "einfach lächerlich".

Die preußische Armee ist nicht mehr die Armee Friedrich des Großen. Sie wird in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt entscheidend geschlagen. Königin Luise, die tapfere und beherzte Gattin des ängstlichen, in verknöcherten Traditionen gefangenen Königs, wird die Hoffnung vieler deutscher Patrioten. In einem Brief an ihren Vater zieht sie das Fazit aus den Geschehnissen: "Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen."

Am 26. August 1806 wird in Braunau am Inn der Buchhändler Palm auf Befehl Napoleons erschossen, weil er die Schrift "Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung" verbreitet, den Urheber aber nicht verraten hatte. Die Franzosen waren irrigerweise der Ansicht, Arndt sei der ungenannte Verfasser gewesen.

Erste Zeichen einer deutschen Wiedergeburt


Nach der Niederlage Preußens ist Napoleon der unumschränkte Herr Europas. Man stöhnt zwar unter der Härte der Besatzung, aber - wie die Massen sich zu allen Zeiten zu ducken und anzupassen verstehen - man "arrangiert" sich und macht gute Miene zum bösen Spiel. Man bemüht sich, einfach aus der Geschichte des Reiches "auszusteigen". Selbst die noch jüngst erlebte ruhmreiche Zeit Friedrichs des Großen will man vergessen, da gegen einen Mann wie Napoleon doch "kein Kraut gewachsen ist", und man sich also besser bescheiden müsse.

"Geld machen und dem Bauch leben" sollen das Gewissen einschläfern, die nationale Ehre vergessen machen. Ja, schon unter Napoleons hartem Zepter wurden Idealisten und unbeugsame Patrioten , die nicht bereit waren, eines privaten Glücks wegen ihrem Land den Rücken zu kehren, beargwöhnt und mit giftigem Eifer verfolgt.

Napoleon kennt die Schwächen der Menschen, und er nutzt sie skrupellos aus. Einerseits durch Terror wie beim Buchhändler Palm, andererseits durch das Spiel mit der Eitelkeit und der Charakterlosigkeit seiner Vasallen. Er beläßt die deutschen Fürsten und frischgebackenen Könige in der Furcht, daß sie jederzeit ihre Throne verlieren könnten, und er erinnert sie daran, daß sie nur noch entbehrliche Überbleibsel einer entschwundenen Zeit sind.

Der Widerstand einiger weniger, der sich im Anschluß an die deutsche Katastrophe zu regen beginnt, ist zunächst planlos, ohne konkrete Ziele und ohne einen führenden Kopf. Die "Träumer" einer schließlichen Befreiung vom napoleonischen Joch machen sich hauptsächlich in der Literatur bemerkbar. Die Idee des Nationalstaates war aus der französischen Revolution herübergeweht. Und während ansonsten "Ruhe als erste Bürgerpflicht" herrscht, gärt und brodelt es im geistigen Bereich. "Das Abenteuer der deutschen Befreiung hat GEISTIG begonnen - in einer Zeit, in der es schien, als sei alles verloren!"

Zu Beginn des Jahres 1806 tritt Ernst Moritz Arndt mit dem ersten Band vom "Geist der Zeit" an die Öffentlichkeit, einem der damals seltenen Bücher, die in der Sprache des Volkes geschrieben sind. Leidenschaftlich bäumt er sich gegen das scheinbar unabwendbare Schicksal der Unterdrückung auf. Es muß dabei festgehalten werden., daß Arndt nicht der Mann ist, der seinen Mut nur mit der Feder beweist. Am 12. Juli 1806 fordert er einen schwedischen Offizier zum Duell auf, nachdem dieser beleidigende Bemerkungen über Deutschland gemacht hatte. Arndt erleidet bei diesem Zweikampf eine Wunde, die nur langsam heilt.

Im ersten Band vom "Geist der Zeit", dem noch drei weitere folgen sollen, setzt Arndt sich auch mit dem "Kosmopolitismus" (dem heutigen "Internationalismus") auseinander, und der damals bezeichnenderweise gerade im deutschen Raum gängigen Ansicht, die "Menschheit" sei erhabener als das Volk, also "möge das Volk verschwinden, auf daß die Menschheit werde." Arndt stellt diesem rein persönlichen Freiheitsbegriff den übergeordneten nationalen Freiheitsbegriff gegenüber. Da Völker in Sklaverei stets verderben, ruft er nach einem Großen, der den "trüben und schlappen europäischen Dunsthimmel durch Donnerwetter erheitert".

Schonungslos legt er die Dinge offen. "Deutsche kämpfen auf Wunsch und Befehl des großen Feindes gegen Deutsche und halten ihm als seine gehorsamen Knechte die Völker zu Diensten. Die deutschen Fürsten wählten das Unwürdige und vernichteten den Rest des Gemeingefühls der deutschen Nation."

Durch den "Geist der Zeit" ist Arndt auf einen Schlag bekannt, aber auch gefürchtet und gehaßt. Er ist gewarnt und muß seine Vorsichtsmaßnahmen gegen die Häscher Napoleons treffen. In seinem Buch greift er "die Lauen und Leisetreter, die Überängstlichen und Drückeberger" an. Offen ruft er das Volk auf, sich zur Rettung des Vaterlandes gegen die Unterdrücker zusammenzuschließen. Gerade die Jugend wird von seiner leidenschaftlichen Anklage mitgerissen, und Arndts früherer Lehrer und späterer Freund Johann Gottlieb Fichte wird von ihm zu seinen kühnen "Reden an die deutsche Nation" angeregt, die das Feuer weiter schüren helfen.

Erbarmungslos greift Arndt die Vertreter des öffentlichen Lebens an, Diplomaten und Pffffen, Fürsten und Edelleute, vor allem aber Schreiber und Redner, bei denen "der Journalismus triumphiert": "Diese feigen und wohlfeilen Seelen führen das große Wort und tun gar laut und wichtig, als seien sie die Auserwählten, um die Zeitgenossen zu bilden und zurechtzuweisen. Humanität, Bildung, Edelmut sind die ewigen Klänge. Alles wird in dem Jargon der Modesprache mit einer Menge unreifer Sentenzen oder Halblügen aufgetischt. Nichts hat die alte Kraft und den alten Verstand mehr aus der Welt gejagt, nichts die Leerheit, Pinselei und Mattigkeit des Geschlechts mehr befördert, nichts die Weiber mehr verdorben als dies elende Geschmeiß."

Aber Arndt erkennt auch die Möglichkeit der Rettung: "Ist das Zeitalter durch Geist verdorben, so werde ihm durch Geist geholfen! Anders ist ihm nicht zu helfen." Seiner Ansicht nach können Völker nur dadurch gerettet werden, indem sie sich wieder "an die Gesetze der Erde" anlehnen. Der Fortschritt des Geistes darf nicht auf Kosten der Natur gehen, sondern muß sich im Rahmen der von der Natur vorgezeichneten Gesetze vollziehen.

Arndt ist sich bewußt, daß er mit seinem Buch in einen politischen Kampf eingetreten ist, von dem es kein Zurück mehr gibt. Jetzt wird er nach Heinz v. Arndt (Urenkel seines ältesten Sohnes) "der Sänger von Deutschlands Einheit, der Kämpfer für eine neue Volksgesinnung. Jetzt erhebt er sich zu dem Propheten, der die Ideen einer neuen Erziehung, einer neuen Verfassung, eines neuen volksbetonten Nationalismus verkündet. Er zeigt Mut, persönlichen Mut, wie er zu allen Zeiten und immer notwendig ist, wenn Großes und Neues geschaffen werden soll."

Arndt geht es weder um Ruhm noch Geld. Er ist zu jedem persönlichen Opfer bereit, und gerade deshalb kann er seine Leser mitreißen. Jeder spürt: Hier redet ein Mann, ein "Ritter ohne Furcht und Tadel", der voll und ganz zu dem steht, was er sagt, als "ein gutes altes deutsches Gewissen", frei von Eigennutz und persönlichem Ehrgeiz. Nur einem selbstlosen und feurigen Kämpfer wie Arndt wird es gelingen, sein Volk wieder an sich selbst, an seine Größe und seinen Wert glauben zu lassen. "In der Erweckung eines neuen Idealismus wird er bald auch zum Dichter. Seine ersten Kampflieder entstehen, die mit fliegenden, feurigen, hinreißenden Worten zur Tat aufrufen."

Einen solchen Rebellengeist können Napoleons Kommissare natürlich nicht auf freiem Fuß lassen. Arndt bleibt nichts anderes übrig, als zu fliehen, da es unsinnig wäre, sich von den Franzosen ergreifen und "wie einen tollen Hund erschießen zu lassen". Wieder geht er nach Stockholm, diesmal wie ein geächteter Flüchtling. Über zwei Jahre muß er in der Fremde zubringen, um von hier aus weiter gegen die napoleonische Zwangsherrschaft zu wirken.

Der zweite Teil vom "Geist der Zeit" kann in Stockholm gedruckt werden. Jedoch fällt der Großteil der Sendung auf dem Wege nach Deutschland den Franzosen in die Hände. Ein Exemplar erreicht jedoch den Freiherrn vom Stein. Es macht großen Eindruck auf ihn und wird damit, was Arndt jetzt noch nicht ahnen kann, für seine zukünftige Laufbahn von ausschlaggebender Bedeutung. Seine als Bewunderer Schwedens gehegte Hoffnung, daß dieses Land der Retter Deutschlands und Europas werden könne, erweist sich leider als frommer Wunschtraum. Vor allem in den "gebildeten" sowie in führenden politischen Kreisen findet er - ähnlich wie in Deutschland - eine ihm unbegreifliche Bewunderung Napoleons und, schlimmer noch, der französischen Revolutionsideen. Enttäuscht muß er erleben, daß "dieses von mir so geliebte Land" kläglich versagt und überdies "dem Welschen Glück wünscht".

Den objektiven Akademiker hatte Arndt im Folgeband vom "Geist der Zeit" nun restlos abgelegt. Ungebändigte Leidenschaft belebt seine Sprache: "Ja, ich hasse, es ist meine Lust und mein Leben, daß ich noch hassen kann... nichts hasse ich inniger und heißer als Euch faule und nichtige Gesellen, die Ihr Euch nicht schämt, in deutscher Sprache deutsche Schande auszusprechen... Wenn ein Gott alle deutschen Verräter und Buben, alle Helfer und Hehler der fremden Tyrannei nähme, sie zusammen in einen Sack steckte und versenkte im Meere, das Ungeziefer, das bei uns ist, würde bald vertilgt sein."

In seinem Schlußkapitel, im "letzten Wort an die Deutschen" spricht er aus, welche Waffe zur Zeit noch als einzig mögliche und wirksame gegen den übermächtigen Fremdling eingesetzt werden kann: "Jetzt bleibt nur die Idee der geheimen Propaganda für das Vaterland, das stille Einverständnis und Zusammenwirken der besseren Herzen und Köpfe". Mit diesem Anruf wird der Entwicklung in Deutschland eine neue Richtung gegeben, die eines Tages zum Sturz der fremden Herrschaft führt.

Im Herzen Europas überschlagen sich mittlerweile die Ereignisse. Im November 1808 muß der preußische Minister Frh. vom Stein, der bedeutendste politische Gegner Napoleons, auf dessen Verlangen sein Amt niederlegen. Napoleon erläßt sogar einen Ächtungsbefehl gegen ihn. Stein muß Hals über Kopf Preußen verlassen, um in Böhmen unterzutauchen. Im gleichen Jahr findet der Aufstand der Tiroler unter Andreas Hofer gegen die französische Zwingherrschaft statt. Mit Hilfe eines Verräters wird Andreas Hofer gefangen und am 20. Februar 1810 in Mantua erschossen. Mit ebenso tragischem Ausgang erfolgt im Norden die Befreiungstat des preußischen Majors Ferdinand v. Schill. Schill fällt im Straßenkampf in Stralsund. Seine gefangenen Offiziere läßt Napoleon in Wesel erschießen. Die Mannschaften werden wie Sklaven auf französische Galeeren gepreßt.

Erschüttert erlebt Arndt die Leiden seines Volkes mit. Trotz drohender Verhaftung und Aburteilung will er zurück nach Deutschland, dem Land, dem er sich nun zutiefst verbunden fühlt und in dem allein er jetzt die Möglichkeit zur Überwindung der fremden Tyrannei sieht. Die Franzosen hatten zwar "über das alte Germanien ein Gewebe der Auflauerei und Späherei geworfen, in dessen weiten Falten Hinterlist und Verrat verborgen lauerten." Trotzdem gelingt es ihm, durch Annahme eines falschen Namens und geschicktes Verhalten die nächsten zwei Jahre in Deutschland in einiger Sicherheit zu verbringen. "Ich ging nach Berlin," schreibt er, "dort hoffte ich, in dem dichten Menschengewühl mich der Welt verbergen und leben und studieren zu können. Ich hatte dort einen treuen und redlichsten Herzensfreund aus jugendlichen Jahren, den Buchhändler Georg Reimer, einen geborenen Greifswalder."

Begegnung mit Patrioten in Berlin


Es sind Männer wie Stein und Hardenberg in der Verwaltung, Scharnhorst, Gneisenau, Grolmann und andere im militärischen Bereich, die die Grundlagen für die von allen Patrioten ersehnte Neugründung eines souveränen preußischen Staates schaffen. In Königsberg entsteht der sogenannte "Tugendbund", der die besten, von neuer Staatsgesinnung erfüllten Kräfte des Landes verbindet. Es sind keine verzopften Reaktionäre, sondern aufgeschlossene, die Zeichen der Zeit begreifende Köpfe, die die verschlafenen Traditionen der nachfriederiziansichen Zeit beseitigen wollen.

Allen ist klar, daß das überlebte preußische Heeressystem durch ein modernes ersetzt werden muß. Dem Vorbild der französischen Wehrpflicht folgend, greift man das Prinzip des "Volkes in Waffen" auf. Allerdings muß eine preußische Neuorganisation des Heeres mit der größten Geschicklichkeit und Tarnung unter den mißtrauischen Augen der Besatzer durchgeführt werden. Nur auf der Grundlage eines schlagkräftigen Volksheeres kann die Befreiung Deutschlands jemals erfochten werden.

Arndt schreibt über seine Mitstreiter in diesen Jahren: "Was in Berlin von Männern und Frauen das lebendigste, mutigste, tapferste und zornigste war, hatte sich damals in vielen einzelnen Haufen und Häuflein zusammengeschart. Ich geriet durch liebevolle Freunde auch in einen solchen Haufen, und ich glaube, in den allerbesten."

Am 1. Mai 1810 erlebt Arndt die Genugtuung, wieder in sein Lehramt an der Universität Greifswald eingesetzt zu werden, also auf schwedischem Boden! Doch die Not seines Vaterlandes läßt ihm keine Ruhe. Er will zurück nach Berlin. Gewaltsam reißt er sich los von einer gesicherten Existenz, von seiner Heimat, seiner Verwandtschaft, seinem Jungen. Er gibt alles auf, nur um Deutschland zu dienen: und im Unglück nun erst recht! Auch die Liebe einer Frau, Charlotte Bindemann, die er 1803 kennen gelernt hatte und mit der er heimlich verlobt war, kann ihn nicht halten. Aber auch Charlotte kann sich nicht entschließen, ihr Schicksal mit einem Mann zu teilen, der bereit ist, "gefährlich zu leben", und von dem sie spürt, daß ihm seine Liebe zu Deutschland mehr bedeutet als seine Liebe zu ihr.

Am 27. Januar 1812, als Napoleons Häscher ihm schon auflauern, geht Arndt in dunkler Nacht über die Peene nach Preußen, einem ungewissen Schicksal entgegen.

Arndts Weg zum Preußentum


Obwohl Arndt in früheren Jahren dem preußischen "Zuchtsystem" wenig Bewunderung entgegenbrachte, wird er durch den Gang der Ereignisse und seine neuerlichen Verbindungen zu führenden preußischen Persönlichkeiten mehr und mehr in den Bann des Preußentums gezogen. Es wird ihm immer bewußter, daß eine Rettung Deutschlands nur durch Preußen und den preußischen Geist möglich ist.

"Sittliche Forderungen waren es," so Johannes Paul, "die den preußischen Staat zusammenhielten. In ihrer Erfüllung sahen der Große König, seine Offiziere und seine Beamten ihre Ehre. Für den verhältnismäßig kleinen Staat war dies zugleich die einzige Möglichkeit zu überleben. Preußentum ist also im Grunde defensiv, nicht aggressiv, wie oft behauptet wird. Preußentum ist weniger angeboren als anerzogen. Deshalb ist es übertragbar und wird bis zur Gegenwart in aller Welt nachgeahmt.

"Preußentum ist - wo Lebensgenuß höher geschätzt wird - unbequem für den Einzelnen. Preußentum ist die Zusammenfassung aller Kräfte für den Staat. Dadurch ist es Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen gelungen, eine Staatsgesinnung zu schaffen, (die Bürger) zu einem selbstbewußten, preußischen Staatsvolk deutscher Nation zusammenzuschweißen. Nur so konnte der kleine Staat den Angriffen der Großmächte trotzen und mitbestimmend in ihren Kreis eintreten.

"Das Preußentum hat das ganze deutsche Volk so weit durchdrungen, daß wir heute unter Preußentum eine Summe von Eigenschaften verstehen, die uns als DEUTSCH schlechthin erscheinen. Wenn die Ideen der französischen Revolution den preußischen Staat nicht stärker zu erschüttern vermochten, so einfach deshalb, weil der aufgeklärte Absolutismus des Alten Fritz vieles, was im Frankreich des "Ancien régime" nur Forderung geblieben war, längst durchgeführt hatte. Der preußische Staat hatte mit den seiner Zeit vorauseilenden Reformen den französischen Revolutionsideen den Rang abgelaufen."

Am 12. Februar 1812 kommt Arndt wieder in Berlin an, kann aber nur einen Monat in der preußischen Hauptstadt verweilen, bevor er nach Breslau und Prag weiterreisen muß. In Berlin fühlte er sich "mitten in einem großen gewaltigen Männerbunde, der einen einzigen Gegenstand seines Bedürfnisses hatte: Haß und Abschüttelung und Vernichtung der Welschen."

Von all diesen Reformern war Stein der weitaus Selbständigste und Bedeutendste. Als Arndt ihn später in Petersburg persönlich kennenlernt, ist sein erster Eindruck: "Ein heroischer Mann - wäre ein geborener Fürst und König gewesen." Stein war ein souveräner Typus, der "nicht zum Untertan geboren war".

Was konnten diese "Männer der ersten Stunde" dem Sendungsgefühl der Franzosen entgegenstellen? Nur eine andere, eine bessere Idee der Freiheit, die Befreiung von einer Knechtschaft, unter der Frauen geschändet und Männer zum Dienst mit der Waffe für fremde Interessen gepreßt wurden! Die Befreiung von fremdem Einfluß und fremder Willkür unter dem einen Motto: "Weg mit der fremden Soldateska auf deutschem Boden!"

Über die kläglichen Vergötterer Napoleons, für die der Ausruf "Ich habe Napoleon gesehen, und ich sah den Finger Gottes und alles soll sich beugen" das beredte Zeugnis ihrer Knechtsgesinnung ist, hatte er schon in Greifswald verächtlich gewettert: "Mochten auch andere nachkrächzende Krähen solcher Verirrten und dienstfertigen Zurechtmacher und Ausschmücker der Feigheit und Schande sein, die sich die garstigsten Ketten noch mit Blumen umwanden - es gab allenthalben noch recht zornige und hoffnungsvolle Protestanten gegen diese Lehre eines widerlichen fatalistischen Gehorsams; es gab gottlob auch in Greifswald recht viele!"

Die von Arndt entfachte Kraft des Hasses und des fanatischen Verlangens nach nationaler Freiheit wird in der Tat eine Urkraft, die sich dem Elan der französischen Armee dereinst als überlegen erweisen soll. Zu Arndts Zeit gab es als Mittel der Befreiung von einem genialen Gewaltherrscher wie Napoleon - darüber mußte sich jeder im Klaren sein - überhaupt keine andere als die militärische Lösung!

Den Frühling des Jahres 1812 verlebt Arndt in Breslau "ebenso lebendig wie mein Februar in Berlin gewesen war." Hier trifft er u.a. auch Gneisenau und den alten Blücher, "der auch bei fröhlichen Gelagen etwas vom Feldmarschall hatte". Auch Scharnhorst lernt er in Breslau kennen, und er schildert ihn mit der größten Hochachtung: "Die schlichteste Wahrheit in Einfalt, geradeste Kühnheit in besonnener Klarheit, das war Scharnhorst! Er gehörte zu den Wenigen, die glauben, daß man vor den Gefahren von Wahrheit und Recht auch keine Strohhalmbreite zurückweichen soll. Er ist ein "vir innocens" im Sinne der großen Alten gewesen: Er ist (obwohl ihm später als Heeresreformator Millionen Staatsgelder durch die Hände gingen!) arm gestorben."

Petersburg - Tauroggen - Königsberg


Noch in Berlin hatte sich Arndt gleich nach Neujahr vorsorglich durch den Grafen Lieven einen Paß für Rußland besorgt. Er weiß, daß dort noch ein vom fremden Eroberer freies Europa ist. Zar Alexander I. hatte sich entschlossen, sollte das Waffenglück gegen ihn entscheiden, sich nicht zu ergeben und notfalls bis Sibirien weiterzukämpfen.

Napoleons erwartete Invasion Rußlands läßt nicht lange auf sich warten. Nachdem er Österreich und Preußen zu einem Bündnis gegen Rußland "überreden" konnte, steht eine Riesenarmee an der russischen Grenze. Am 9. Mai 1812 verläßt Napoleon Paris. Er zitiert die deutschen Fürsten nach Dresden - auch der österreichische Kaiser und der preußische König haben anzutreten, um seine Befehle entgegenzunehmen! Am 22. Juni überschreitet seine "grande armee", zu gut einem Drittel aus zwangsverpflichteten deutschen Hilfstruppen bestehend, die Memel, den Grenzfluß zwischen Preußen und Rußland.

Inzwischen ist Stein auf Aufforderung des Zaren nach Petersburg gegangen. Er erkennt sofort die Chance, die sich ihm jetzt bietet. Der Zar muß bewogen werden, nicht nur Rußland zu verteidigen, sondern im Interesse langfristiger Sicherheit vor fremden Aggressionen, auch zur Befreiung Deutschlands beizutragen! Stein weiß, daß er Arndt jetzt für seine Zweckebraucht, und bittet ihn, als sein Privatsekretär nach Rußland zu kommen.

Als Diener verkleidet, gelangt Arndt über Galizien durch die Karpathen an die russische Grenze. Während seiner wochenlangen Fahrt über Smolensk und Wjasma erlebt er überall die tiefe Religiosität und die Wogen der Begeisterung des russischen Volkes. "Die Russen leben in einem Rausch des Patriotismus." Hingerissen von dieser Stimmung ruft er aus: "Ein Volk zu sein, ist die Religion unserer Zeit!"

Stein veranlaßt Alexander zu einem Aufruf an die Deutschen, der diesen Befreiung von Napoleon verheißt. Er drängt auf die Bildung einer "Deutschen Legion" aus geflüchteten Offizieren und Mannschaften, die allerdings nie über eine Stärke von 5-6,000 hinauswächst. Arndts "Geist der Zeit" wird in Rußland neu gedruckt und auf geheimen Wegen nach Deutschland geschmuggelt. Daneben läßt er mit wachsender literarischer Tätigkeit auf allerlei Umwegen Flugschriften, Aufsätze und Gedichte zur Aufweckung seiner Landsleute nach Deutschland gehen.

Fortsetzung hier . . .