Immer gewaltiger wird die Macht seiner Stimme. Seine Schriften sollen
"wie ausgestreute Funken fliegen", und er hofft, daß sie
hier und da "ein pulvergefülltes Herz finden und zünden,
damit es weiter zünde". Seinem Groll gegen die verräterischen
Oberen macht er Luft mit den Worten: "Das Land und das Volk sollen
unsterblich sein, aber die Herren und Fürsten mit ihren Ehren und
Schanden sind vergänglich." Um den notwendigen Umschwung der
Gesinnung herbeizuführen, sieht er sogar Napoleon in der Rolle eines
neuen Attila und einer furchtbaren Völkergeißel als ein Heilmittel
des Schicksals: "Steht noch immer der alte Weltzirkel der Geschichte,"
fragt er, "daß, wenn alles in Weichlichkeit, Unmännlichkeit,
Überkünstelung vergeht, Verjüngung durch Zerstörung
kommen muß?"
Am 15. September 1812 zieht Napoleon in Moskau ein. In seinem Spätwerk
"Wanderungen und Wandelungen" erzählt Arndt von jenen dramatischen
Wochen, in denen sich Furcht, Verzweiflung, aber auch Hoffnung auf die
große Wende mischen: "Mut, lieber Freund, Mut gilt für
den Mann im Leben", gibt er als seine eigene Losung wieder. "Einen
Tod kann man nur sterben." Und von Stein, dem geistigen Oberhaupt
der deutschen Freiheitsbewegung, berichtet er: "Wenn die Borodiner
Schlacht (in der Napoleon Sieger blieb) und der alten Hauptstadt Brand
in solcher Weise die Herzen erschütterte, stand mein Ritter fest und
unerschütterlich da."
Die Wende tritt am 19. Oktober mit Napoleons Rückzug aus dem von den
Russen niedergebrannten Moskau ein. Mit diesem weltgeschichtlichen Ereignis
ist der Anfang seines Endes gekommen. Unter furchtbaren Verlusten an Gefallenen,
Verhungerten und Erfrorenen schleppt sich seine geschlagene "grande
armee", erbarmungslos von den nachstoßenden Russen bedrängt,
gen Westen. Mit ihr gehen leider auch Tausende deutscher Soldaten als Napoleons
Zwangsverbündete zugrunde.
Die Zeit der "geheimen Propaganda" ist jetzt zu Ende. Nach Napoleons
Katastrophe in den Weiten Rußlands beginnt für Arndt der Abschnitt
des offenen, unüberhörbaren Wirkens. Als Werbung für die"
Deutsche Legion" verfaßt er den "Katechismus für den
deutschen Soldaten", in dem er in kühnen Worten die Kleinstaaterei
der Einzelpotentaten, auf die die Soldaten noch vereidigt sind, angreift
und dafür den Nationalgeist, das ganze Deutschland, als höhere
Verpflichtung hinstellt. Mit hinreißenden Worten wendet er sich an
Offizier und Mann: "Da ist sein Vaterland, da ist seine Freiheit,
wo er nach den Sitten, Weisen und Gesetzen seines Volkes leben kann, wo,
was seines Urelternvaters Glück war, auch ihn beglückt, wo kein
fremdes Volk noch fremdes Gesetz über ihn gebiete."
Denselben Gedanken findet man in einem Brief des Frhr. vom Stein im November
1812 an den englisch-hannoverschen Minister Graf Münster: "Ich
habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland. Mein Wunsch ist, daß
Deutschland groß und stark werde, um seine Selbständigkeit,
Unabhängigkeit und Nationalität wieder zu erlangen. MEIN GLAUBENSBEKENNTNIS
IST EINHEIT."
Die traurigen Reste der "Großen Armee" konnten nach der
Niederlage in Rußland seltsamerweise unbehelligt durch Deutschland
zurückmarschieren. In einem Gespräch mit Stein äußert
sich die Mutter des Zaren, eine geborene Herzogin von Württemberg,
dazu: "Wenn jetzt noch ein französischer Soldat durch die deutschen
Grenzen entrinnt, so werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein."
Darauf Stein, der weder vor Kaiser noch König katzbuckelt, rot vor
Zorn: "E. Majestät haben sehr unrecht, solches hier auszusprechen,
und zwar über ein so großes , treues, tapferes Volk, welchem
anzugehören Sie das Glück haben. Sie hätten sagen sollen,
nicht des deutschen Volkes schäme ich mich, sondern meiner Brüder,
Vettern und Genossen, der deutschen Fürsten. Hätten die Könige
und Fürsten ihre Schuldigkeit getan, nimmer wäre ein französisches
Heer über die Elbe, Oder und Weichsel gekommen." Und die Kaiserin
nimmt seine mutige Rede mit den Worten an: "Sie mögen recht haben,
Herr Baron; ich danke Ihnen für die Lektion." Hätte nur
ein Fürst, ein Volksführer, einer der Oberen im Anblick der verhaßten
geschlagenen Feinde "die Trompete geblasen: Schlagt tot, schlagt tot!
Von den Tausenden wäre kein Mann über die Weichsel entkommen."
Weit wichtiger als die "Deutsche Legion" wird in den kommenden
Wochen das Korps des preußischen Generals Yorck, das bis zum Dezember
1812 dem Oberbefehl Napoleons unterstanden hatte. Yorck faßt auf
Drängen seiner Offiziere, darunter auch Clausewitz, den kühnen
und epochemachenden Entschluß, ohne Einwilligung seines Königs
das Bündnis mit dem Korsen zu brechen. Mit dem in Preußen geborenen
russischen General Diebitsch verhandelt er die Konvention von Tauroggen
und setzt damit das Fanal zu den anschließenden Befreiungskriegen.
Yorck begnügt sich nicht mit diesem Neutralitätsvertrag. Am 8.
Januar 1813 übernimmt er in Königsberg das Kommando über
Ostpreußen, der alten Vorpostenprovinz des Reiches. Er leitet die
Volksbewaffnung ein, die nun die weiteren Ereignisse mit dem Schwerpunkt
in Deutschland bestimmt.
Auf der langen Fahrt durch den russischen Winter von Petersburg nach Königsberg
schreibt Arndt das Lied nieder, das eines seiner berühmtesten werden
soll: "Was ist des Deutschen Vaterland?" Stein ist so beeindruckt,
daß das Lied in Königsberg sofort in Druck gesetzt wird, um
von dort seinen Siegeszug durch die deutschen Lande anzutreten. Nur ein
Vers muß mit Rücksicht auf die Obrigkeit gestrichen werden:
"Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
Ist,s was der Fürsten Trug zerklaubt,
vom Kaiser und vom Reich geraubt?
O nein!
Das Vaterland muß größer sein."
Aus seinem Studium der Geschichte versucht Arndt nachzuweisen, daß
die Fürsten, ursprünglich bloße Reichsbeamte, ihre Selbständigkeit
meist durch Verrat erkauft hätten, und daß sie diese im Zusammengehen
mit auswärtigen Feinden oder dem Papsttum, dem Kaiser, dem Repräsentanten
der Reichsidee, abgetrotzt hätten. Die verhängnisvolle deutsche
Zwietracht sei daher letztlich ihr Werk! "Was mußt du jetzt
tun, deutsches Volk?" fragt er. "Die Zeit ist gekommen, wo du
erkennen solltest, daß nur Eintracht dich retten kann, wie Zwietracht
dich verdorben hat. Von der Nordsee bis zu den Karpathen, von der Ostsee
bis zu den Alpen, von der Weichsel bis zur Schelde muß EIN Glaube,
EINE Liebe, EIN Mut und EINE Begeisterung das ganze deutsche Volk wieder
in brüderlicher Gemeinschaft versammeln."
So sehr ist Arndt von der Idee der Einheit durchdrungen, daß er sogar
an eine "schöpferische Überwindung der kirchlichen Gegensätze"
in Deutschland glaubt. "Wahrlich, ich sage euch und verkündige
euch," schreibt er gemäß seiner Auffassung von Religion
: "Der alte Papst und der alte Luther sind lange tot. Einer neuen
Kirche und eines neuen Heils warten wir."
Friedrich Wilhelm III. hatte schon die rebellische Konvention von Tauroggen
mißbilligt. Unter französischem Druck gibt er eine Zeitungserklärung
gegen den General Yorck auf, die dieser jedoch mit den Worten abtut, daß
"bekanntlich im preußischen Staat noch kein General seine Verhaltensbefehle
durch die Zeitungen erhalten hat."
Napoleon ist inzwischen in Paris angelangt und mit der Neuaufstellung der
französischen Armee beschäftigt. In dieser undurchsichtigen Lage
kommt alles auf die rasche Volksbewaffnung in Ostpreußen an. Nur
durch eine vollendete Tatsache kann König Friedrich Wilhelm III. aus
seinem Wankelmut gerissen und gleichzeitig der Zar davon überzeugt
werden, daß er beim Neuaufflammen des Krieges nicht etwa die Last
des Kampfes allein zu tragen hat.
Arndts große Stunde bricht an. Er ruft in Ostpreußen zu von
Stein und Yorck gegründeten Landsturm und Landwehr auf.: "Jeder,
der mit seinem Volk nicht Glück und Unglück, Not und Tod teilen
will, ist nicht wert, daß er unter ihm lebt, und muß als ein
Bube oder Weichling von ihm ausgestoßen werden." Die Mobilmachung
wird begleitet von seinem neuen, geharnischten Vaterlandslied "Der
Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte!" Unter
Arndts machtvoll anfeuernden Worten erhebt sich das Volk zum Sturm. Seine
Flammensprache hat die gleiche Wirkung wie die trotzigen Lieder, die die
deutschen Soldaten beider Weltkriege sangen - oder wie Schneckenburgers
"Wacht am Rhein" und Beckers "Sie sollen ihn nicht haben,
den freien deutschen Rhein", von denen Bismarck einmal sagte, sie
hätten 1840 bei dem schon zu der Zeit drohenden neuen Krieg mit Frankreich
ein paar Armeekorps am Rhein ersetzt.
"Das war das schönste bei diesem heiligen Eifer und fröhlichem
Gewimmel," schreibt Arndt, "daß alle Unterschiede von Ständen
und Klassen, von Altern und Stufen vergessen und aufgehoben waren."
Und Blücher gibt die allgemeine, trotzige Aufbruchstimmung in dem
ihm eignen urwüchsigen Ton in einem Brief an Scharnhorst wieder: "jetzo
ist es wiedrum Zeit zu duhn, was ich schon Anno 9 angerathen, nämlich
die ganze Nation zu den Waffen anzurufen, und wann die Fürsten nicht
wollen und sich dem entgegensetzen, sie samt dem Bonaparte wegzujagen."
Der russische Zar ist jedoch nicht geneigt, die Fürsten wegjagen zu
helfen. Im Gegenteil! Er versichert Friedrich Wilhelm ausdrücklich,
daß Stein sich "aller revolutionären Maßnahmen enthalten"
werde.
Als der in Breslau weilende Friedrich Wilhelm weiter zögert, macht
Stein sich kurz entschlossen auf den Weg und trifft am 25. Februar 1813
dort ein, um den König zu sprechen, auch auf die Gefahr hin, daß
der noch in Breslau stationierte französische Gesandte die sofortige
Verhaftung des Geächteten fordern kann. Stein schreibt später
dazu: "Der Beitritt Preußens zu dem von Rußland begonnenen
Kampf war gewagt, denn seine eigenen Kräfte waren beschränkt,
und die russischen noch zu schwach. Ihnen gegenüber stand Napoleon
mit allen Kräften Frankreichs, Italiens und des Rheinbundes."
Alle Bedenken zerrinnen jedoch schließlich, als sich die ostpreußische
Erhebung auf das ganze Land ausbreitet. Dazu Arndts Schilderung: "Das
war eine Begeisterung in den Städten und auf dem Lande, auf den Straßen
und in den Feldern, auf den Kathedern und Kanzeln, und in den Schulen!
Die heilige Begeisterung dieser unvergeßlichen Tage ist durch keine
Ausschweifung und Wildheit entweiht worden ; es war, als fühlte auch
der Kleinste, daß er ein Spiegel der Sittlichkeit, Bescheidenheit
und Rechtlichkeit sein müsse. Ich sage nur das eine; es war plötzlich
wie durch ein Wunder Gottes ein großes und würdiges Volk erstanden."
Überall drängen sich Freiwillige zu den Waffen. Überall
finden Arndts zündende Freiheits- und Soldatenlieder ein begeistertes
Echo. Für Arndt ist es der Höhepunkt seines Lebens. Ihm und allen
Patrioten winkt das Ziel eines einigen und mächtigen Deutschland nach
Abschütteln der Fremdherrschaft.
Aber auch niederträchtige Elemente wie sie selbst in großen
Zeiten auftreten, um ihr privates Süppchen zu kochen, "Leute,
die nur an ihr kleines kümmerliches Ich dachten", tauchen inmitten
der allgemeinen Begeisterung auf. Arndt prangert sie mit der gewohnten
Schärfe an, vor allem den in ausländischen Diensten stehenden
Schriftsteller Kotzebue, "jene Fliege, die sich auf alles setzt, die
widerlichste Erscheinung, die mir in meinem Leben vorgekommen."
In der Völkerschlacht bei Leipzig, vom 16.-19. Oktober 1813, wird
Napoleon von den Verbündeten besiegt, kann aber nach Westen entkommen.
Sachsen hatte noch auf der Seite Napoleons gekämpft. Die meisten anderen
Rheinbundfürsten hatten sich, als sie Napoleons Stern sinken sahen,
schnell von ihm abgewandt, "um ihre Kronen und Krönchen zu retten".
Sie finden Metternich, den mächtigen Staatskanzler in Österreich,
auf ihrer Seite. Er ist es, der den Traum der deutschen Patrioten von einem
einigen deutschen Reich zugunsten der Territorialfürsten zunichte
macht. Das Aufpeitschen der Volksleidenschaft mißhagt ihm. Vielleicht
mehr noch die Ziele der Patrioten: EIN Volk, EIN Kaiser, EIN Reichsheer,
EIN Reichsgericht, EIN Zollgebiet, EINE Währung."
Metternich, der mehr um Österreichs nichtdeutsche Besitzungen als
um ein einiges Reich besorgt ist, möchte die Franzosen weitgehend
schonen. Er will sogar den Rhein als "natürliche ('sichere')
Grenze" anerkennen! Arndt dagegen verficht unermüdlich die Forderung,
daß die "einzig gültige Naturgrenze zwischen Völkern
die Sprache sei" (daher als gegnerische Lösung die Völkerrechtsverbrechen
der "ethnischen Säuberungen" seit 1945!) "Kein deutsches
Dorf, kein deutsches Kleefeld" darf preisgegeben werden. Immer wieder
ruft er: "Deutsche seid eins!"
Arndt fühlt sich nun ganz als Preuße. In Preußen hat er
seine neue Heimat gefunden. Ende März war er von Königsberg zuerst
nach Kalisch zu Stein und dem Zaren gereist, dann nach Breslau und schließlich
Dresden, wo er im Hause des Vaters von Theodor Körner wohnt, des jungen
hoffnungsvollen Dichters, der bald darauf seine glühenden Freiheitslieder
als Lützower Jäger mit seinem Tod bei Gadebusch besiegelt.
Der dritte Teil vom "Geist der Zeit" wird fertig, und seiner
Verbreitung steht nun nichts mehr im Wege. An einer Stelle heißt
es darin: "Wo das große Herz waltet, da ist Glück; wo das
kleine Herz waltet, da ist Unglück. Wer an Wunder glaubt, vollbringt
sie; wen nach großen Taten gelüstet, der geht gewiß in
kleinlichen Sorgen und Dingen nicht unter." Seine Propagandaschriften
werden noch härter und unversöhnlicher. Sie sind für die
Menge geschrieben, von unbändiger Leidenschaft gegen den Feind, an
dem nichts Gutes gelassen wird. Arndt nimmt hier gleichsam die Anleitungen
des Franzosen Gustave le Bon in seiner "Psychologie der Massen"
vorweg. Er zeigt dem Volke aber auch, wofür es in den Krieg zieht,
für welche Kriegsziele es kämpfen soll.
Doch schon jetzt fließen erste Wermuthstropfen in die allgemeine
Hochstimmung. Was werden die kommenden Jahre bringen, fragt sich Arndt
in besinnlicher Stunde, was nach der Befreiung der deutschen Lande durch
die große Begeisterung im Volke und in der Studentenschaft? Werden
die Fürsten und die Mächtigen von gestern nicht versuchen, "eine
hohle Herrschaft durch eine andere zu ersetzen?"
Zorngewaltig richtet er sich daher gegen die Kleingläubigen, und auch
gegen die "Kosmopoliten" (heute "Internationalisten"),
die damaligen Prediger der Entwurzelung: "Tief aber verachten wir
jene dummen und schlechten Schwätzer, welche ohne Kenntnis der Geschichte
und ohne Ehrfurcht vor dem göttlichen Willen uns Deutschen beweisen
möchten, wir müßten durchaus Schutt und Asche werden, worin
andere Völker, damit ihnen ein schöneres Leben erblühe,
ihren Samen streuen. Jener Kosmopolitismus ist von Tyrannen und Despoten,
welche alle Völker und Länder zu einem großen Schutthaufen,
ja Misthaufen der Knechtschaft machen möchten." Dem "Schutthaufen"
der Kosmopoliten stellt er sein Ideal entgegen: "Was wir Jahrhunderte,
ja Jahrtausende besessen haben, Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Redlichkeit,
Tapferkeit, Freiheit, was wir geschaffen haben, Gesetze, Wissenschaft,
Sitte und Kunst, das ist unser deutsches Vaterland, und das wollen wir
erhalten."
Die Kriegsziele der Verbündeten werden von Stein und Arndt gemeinsam
je auf ihre Weise verfochten. Stein gelingt es, den Zaren dazu zu überreden,
daß nur durch einen Marsch auf Paris Napoleon gestürzt werden
kann. Arndt tritt mit seiner berühmten Schrift hervor: "Der Rhein,
Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!" Noch einmal erhebt
er seine Forderung, daß "die einzig gültige Naturgrenze,
die Sprache" Ziel des Kampfes sein muß!
Trotz Einspruch Österreichs, das Napoleon retten will, trotz Zögern
russischer Generale, trotz Bedenken seines Königs, setzt Blücher
in der Neujahrsnacht 1814 bei Kaub über den deutschen Schicksalsstrom.
In den folgenden drei Monaten wechselvollen Kriegsgeschehens will Metternich
immer wieder den "Marschall Vorwärts" hindern, wo er kann,
und versuchen, mit Napoleon Frieden zu schließen.
Zum Ergebnis der Befreiungskriege darf festgestellt werden, daß es
zwar die Soldaten waren, die den verhaßten Korsen besiegten, daß
dieser Sieg jedoch nicht möglich geworden wäre ohne die politischen
Fähigkeiten eines Stein sowie der zündenden Aufrufe und Forderungen
von Ernst Moritz Arndt und gleichgesinnter Patrioten. Goethe, einer der
großen Zeitgenossen dieser stürmischen Jahre, urteilt 1830 in
einem Gespräch mit Eckermann rückblickend: "Vor 16 Jahren,
als wir endlich die Franzosen los sein wollten, war Deutschland überall.
Die allgemeine Not und das allgemeine Gefühl der Schmach hatten die
Nation als etwas Dämonisches ergriffen." Das war derselbe Goethe,
der noch im Juni 1813 ironisch bemerkt hatte: "Rüttelt nur an
Euren Ketten, der Mann ist Euch zu groß."
Sowohl Stein wie auch Arndt hatten im Frühjahr 1813 gefordert, daß
die "Rheinbundfürsten" als abgesetzt erklärt werden
sollten. Doch Zar Alexander will nicht weiter gehen, als die Verbündeten
Napoleons zum Abfall aufzurufen. Der sächsische König, der noch
in der Völkerschlacht bei Leipzig an Napoleons Seite gekämpft
hatte, wird wieder in Gnaden aufgenommen.
Schon im besetzten Paris klaffen die Interessen der Verbündeten auseinander.
Steins Einfluß auf den Zaren hat sichtlich nachgelassen. Alexander
zeigt sich sogar aufgeschlossen für Frankreichs Wünsche, und
der verschlagene Talleyrand weiß diese meisterhaft zu vertreten.
Metternichs Hauptinteresse gilt dem Wiedergewinn von Habsburgs italienischen
Besitzungen. So fällt schon im ersten Pariser Frieden die Entscheidung
gegen Deutschland. Nicht genug, daß Frankreich urdeutsche Gebiete
wie das Saarland und das Elsaß behalten darf - Deutschland, so heißt
es im Vertrag vom 30. Mai 1814 - "wird aus unabhängigen Staaten
bestehen, die durch ein föderatives Band vereinigt sind."
Die Entscheidung ist gegen Arndts Traum vom Reich gefallen. Er empfindet
"Überdruß und Ekel an der Zeit". Seine Sprache wird
noch unverblümter, und "offen wirft er allen Reichsfeinden und
Reichszerstörern den Fehdehandschuh hin." Nur Preußen scheint
ihm jetzt noch eine deutsche Zukunft zu verbürgen. Österreich
dagegen ist mit seinem Verzicht auf alte deutsche Gebiete im Westen einerseits,
und durch den Neuerwerb von Fremdgebieten wie Oberitalien und Galizien
andererseits dem Reich immer mehr entfremdet. "Ich habe Preußen
gelobt," schreibt Arndt, "nicht weil es Preußen heißt,
sondern weil es mir das einzige Land scheint, welches die Nichtigkeit Deutschland
zur Herrlichkeit erheben kann."
Arndt verspürt keinerlei Neigung, am darauffolgenden "Wiener
Kongreß" teilzunehmen, wo er ein "buntes Ungeheuer von
einem Bundesstaat" erwartet, "zusammengeflickt wie Napoleon die
Staaten nebeneinander hingeworfen hat". Stein bleibt zwar Monate in
Wien, aber er muß erleben, daß der Zar an einem starken Deutschland
nicht interessiert ist. Die Engländer, wie immer emsig bedacht, das
europäische "Gleichgewicht der Kräfte" zu wahren, sind
natürlich ebenso dagegen. Der Österreicher Metternich wie der
Franzose Talleyrand sind keine Staatsmänner mit Blick auf die Zukunft,
sondern mit allen Kniffen der Diplomatie um die Restauration des Vorkriegszustandes
bemüht. Preußen steht somit isoliert da.
Von dem berühmten Historiker Heinrich v. Treitschke stammt folgende
Schilderung des Wiener Kongresses: "Der große Plebejer war gefallen,
der einmal doch den Hochgeborenen bewiesen hatte, was eines Mannes ungezähmte
Kraft selbst in einer alten Welt vermag; die Helden des Schwertes verschwanden
vom Schauplatze, mit ihnen die große Leidenschaft, die unerbittliche
Wahrhaftigkeit des Krieges. Wie Würmer nach dem Regen krochen die
kleinen Talente des Boudoirs und der Antichambre aus ihrem Versteck hervor
und reckten sich behaglich aus. Die vornehme Welt war wieder ganz ungestört,
ganz unter sich."
Trotz aller Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten verzagt Arndt
nicht. Immer bleibt er tätig, und auch jetzt erklingen seine aufrüttelnden
Lieder wie das Lied vom Feldmarschall "Was blasen die Trompeten, Husaren
heraus" oder "Deutsches Herz verzage nicht, tu was Dein Gewissen
spricht". Sein Optimismus und sein Gottvertrauen bewahren in ihm den
Glauben, daß, wenn sein Traum von einem einigen starken deutschen
Reich nicht heute wahr wird, er sich dann morgen erfüllen muß.
Der Gedanke, daß das deutsche Volk einmal vergehen könne, ist
ihm unerträglich. Statt dessen glaubt er an einen ständigen Wechsel
von Höhen und Tiefpunkten im Leben seines geliebten Volkes. Seiner
Meinung nach befindet Deutschland sich noch "in seinen Schlingeljahren".
Es ist also nicht alt, sondern im Aufstieg.
Fortsetzung hier . . .