Wie erzielt man die gewünschte Betroffenheit?

 

Quelle:  Altermedia Deutschland, Störtebeker-Netz
11.01.2008

Eine eigentlich ganz simple und durchaus berechtigte Frage eines Schülers an seine Lehrerin, während der staatlich verordneten Pflichtstunde im Konzentrationslager Sachsenhausen. Doch der Frage folgte keineswegs die Antwort, sondern entsetztes Schweigen darüber, daß deutsche Schüler scheinbar keinen Bock mehr auf bundesdeutsche Betroffenheitsrituale haben. Wie alles, was sich bisweilen nicht so richtig erklären läßt, bedarf einer Studie, die Aufschluß darüber gebieten soll.

Die Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit nahm sich dieses leidlichen Themas an und kam zu der, für bestimmte Zeitgenossen, bitteren Erkenntnis, daß Pädagogen bei ihren Schülern nicht die "gewünschte Betroffenheit erzielen" würden. Doch es kommt noch um einiges schlimmer. Das Wort "Jude" so die Wissenschaftler, sei unter Schülern ein beliebtes Schimpfwort.

Möglicherweise rächt sich jetzt die staatlich verordnete Betroffenheitsdoktrin der vergangenen Jahrzehnte - und [daß] nicht nur deutsche Schüler das Thema sprichwörtlich satt haben. Zwar beeilt man sich seitens der bayrischen Wissenschaftler, auch mitzuteilen, daß das Interesse an der Geschichte keineswegs abgenommen hätte. Angeblich kämen jedes Jahr mehr Besucher in die Konzentrationslager, allen voran ins berühmt-berüchtigte Auschwitz, nur eben nicht mit der dafür erwünschten Betroffenheit. Übeltäter sind schnell gefunden. In vielen Fällen handelt es sich inzwischen um Schüler mit sogenanntem Migrationshintergrund, die sich so gar nicht für Betroffenheitsrituale begeistern lassen.

Patentrezepte gegen die Kein-Bock-auf-Holocaust-Stimmung glaubt Susanne Urban von der Europäischen Sektion der Israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, liefern zu können. Sie fordert (!) eine Pädagogik, die an den heutigen Erfahrungen der Kinder anknüpfe, zum Beispiel an Migration und Vertreibung und kam dann zu der erstaunlichen Erkenntnis: "Kinder von heute leben in einer anderen Zeit als Anne Frank".

Im Klartext meint Urban: Sich vorzustellen, plötzlich selbst alles zurücklassen und irgendwo ganz neu anfangen zu müssen, berühre die meisten persönlicher als die KZ-Greuel. "Sie lernen dabei, daß man sich im Leben immer wieder neu entscheiden muß, selbst in scheinbar ausweglosen Situationen."

Eine Forderung, dessen Erfolg auf sich warten lassen dürfte. Mit zunehmenden Anteil muslimischer Schüler, so die bayrische Landeszentrale, würden Lehrer sich scheuen, das Thema Holocaust überhaupt anzufassen. Als Beispiel dafür werden die Niederlande, Frankreich oder England benannt, wo Lehrer von muslimischen Schülern als "Israel-Freunde" beschimpft werden. Aber wie heißt es doch so schön, die Geister, die ihr rieft... Oder, wer das eine will, muß eben auch das andere mögen.