Stalags: Holocaust und Pornographie in Israel

New York Times berichtet aus Jerusalem Journal
Übermittelt von Heymann Brothers Films
(von Isabel Kershner, veröffentlicht im September 2007)

"Stalags" genannte Taschenbücher waren die praktisch einzige Pornographie in der konservativen israelischen Gesellschaft der 60er Jahre. Obwohl behauptet wurde, die Stalags seien aus dem Englischen übersetzt, waren sie tatsächlich von Israelis entwickelt und geschrieben.

Von einer Generation pubertierender Israelis unter dem Tisch gelesen, oft von Kindern Überlebender, waren die Stalags nach den Kriegsgefangenenlagern des Zweiten Weltkriegs benannt, in denen sie handelten. Die Bücher erzählten die perversehn Geschichten in Gefangenschaft geratener amerikanischer oder britischer Flieger, die von sadistischen, mit Peitschen und Stiefeln ausgerüsteten weiblichen SS Offizieren mißbraucht wurden. Die Erzählung endete gewöhnlich damit, daß die männlichen Helden Rache nahmen, indem sie ihre Quälerinnen vergewaltigen und töteten.

Nach Jahrzehnten in staubigen Hinterzimmern und Abstellkammern erscheinen die Stalags, eine selstsame hebräische Mixtur von Nazismus, Sex und Gewalt, wiederum im Blickfeld der Öffentlichkeit. Und mit ihnen tritt eine neu angefachte Debatte über die hiesige kulturelle Darstellung des Nazismus und den Holocausts hervor und ob sie unsachgemäß mit einer Art von sexueller Perversion und Voyeurismus vermischt worden sind, die sogar in den Lehrplan der Schulen durchdrungen haben.

"Ich bin mir klar, daß die ersten Holocaustbilder, die ich als einer gesehen habe, der hier aufgewachsen ist, nackte Frauen waren." sagte Ari Libsker, dessen Dokumentarfilm Stalags: Holocaust und Pornographie in Israel, seine Premiere beim Filmfestival im Juli in Jerusalem hatte und im Oktober gesendet und in Filmtheatern gezeigt werden soll. "Wir waren in der Grundschule." vermerkte er. "Ich erinnere mich, wie peinlich es uns war."

Hannah Yablonka, Geschichtsprofessorin an Ben Gurion Universität Negev, sagt, der Film zeigt drastisch, was sie die gelben Aspekte davon nennt, das Holocaustgedächtnis zu nähren.

"Nehmen wir es in den Sektor der Halbpornographie auf?" fragte sie. Die Antwort ist Ja. Die Stalags waren praktisch die einzige Pornographie, die in den frühen 60ern in der israelischen Gesellschaft zu haben war, die äußerst puritanisch gewesen ist. Sie sind fast genauso plötzlich verblaßt, wie sie erschienen. Zwei Jahre, nachdem die erste Auflage in den Kiosks rund um den zentralen Busbahnhof in Tel Aviv ausverkauft war, befand ein israelisches Gericht die Verleger schuldig, Pornographie verbreitet zu haben. Das berühmteste Stalag war "Oberst Schultz´s Privathure", es wurde befunden, alle Grenzen von Annehmbarkeit überschritten zu haben und veranlaßte die Polizei zu versuchen, jedes einzelne Exemplar zu beschlagnahmen.

Die 60minütige Dokumentation von Libsker stellt die Stalags erstmals ins Rampenlicht und beleuchtet einige unbequeme Wahrheiten. Eine ist die, daß die Stalags ein ausgesprochen israelisches Genre waren, von israelischen Verlegern erzeugt und von israelischen Verfassern geschrieben, obgleich sie als Übersetzungen aus dem Englischen getarnt worden und in der ersten Person geschrieben waren, so als seien sie echte Memoiren.

Bis zum Beginn des Eichmann-Prozesses 1961 waren die Stimmen des Holocaust in Israel kaum zu hören gewesen. Die Überlebenden spürten die Ambivalenz der Alten, die ihnen vorwarfen, nicht rechtzeitig ausgewandert zu sein und stellten in Frage, was an Unmoralischem sie begangen haben mochten, um am Leben zu bleiben.

In dem Film gibt der Herausgeber des ersten Stalag, Ezra Narkis, zu, daß es der Prozeß mit all seinen sensationellen und oft blutrünstigen Einzelheiten war, der dieser Art von Büchern den Anstoß gab.

Eher provokativ behauptet der Film, die Stalag-Pornographie sei lediglich eine populäre Erweiterung der Schriften von K.Tzetnik gewesen, dem ersten Autor, der die Geschichte von Auschwitz auf Hebräisch erzählte und ein Held des literarischen Kanon des politisch korrekten Holocausts war. K. Tzetnik öffnete die Tür, und die Stalag-Schreiber lernten von ihm, sagte Mr. Narkis.

K. Tzetnik war ein Pseudonym von Yehiel Feiner De-Nur. Das Alias, Kurzbezeichnung im Deutschen für KZ-Häftling, sollte alle Überlebenden darstellen, eine Art von Jedermann aus dem Holocaust. Einer von K.Tzetniks größten literarischen Erfolgen, "Doll´s House" (Puppenhaus), erschienen 1953, erzählt die Geschichte einer Figur, die angeblich die Schwester des Verfassers ist und die der SS als Sexsklavin in Block 24 diente, dem berüchtigten Bordellblock in Auschwitz.

Obwohl das Buch ein Holocaust-Klassiker ist, beschreiben es viele Wissenschaftler als Pornographie und wahrscheinlich frei erfunden. "Es war ein Roman," sagte Naáma Shik, ein Forscher in Yad Vashem, der Behörde der Erinnern an Holocaust-Märtyrer und ?Helden. "Es gab keine jüdischen Prostituierten in Auschwitz." Doch "Doll´s House" und andere Schriften von K. Tzetnik, der 2001 starb, werden von vielen in Israel als historische Tatsache behandelt und in den Lehrplan der Höheren Schulen aufgenommen. Libskers Film zeigt den Vizedirektor einer israelischen Schule, wie er eine Gruppe von Teenagern durch Auschwitz führt, auf Block 24 zeigt und K. Tzetnik zitiert.

Dieser Umgang mit Holocausterziehung wird von einer zunehemnden Zahl israelischer Wissenschaftler vermieden. "Der Holocaust war schon schlimm genug; man muß die Dinge nicht noch aufblähen," sagte Dr. Yablonka.

Sidra Ezrahi, Professorin für vergleichende jüdische Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem, sagte, "Seine Bücher waren so graphisch und so barbarisch." Vielleicht hatten sie eine erste wichtige Wirkung, sagte sie. "Aber im Lauf der Zeit ? wenn es dies ist, was sie im israelischen Leben haben zurücklassen wollen, ist das ein Skandal."

Für die meisten Israelis war der bedeutsamste Teil des Eichmann-Prozesses die Aussage von K. Tzetnik. Seine wahre Identität wurde erstmalig auf dem Zeugenstand enthüllt, wo er aussagte. Gleichzeitig erreichen die Stalags die Spitze ihres kommerziellen Erfolgs.

Yechiel Szteintuch, ein Professor für jüdische Literatur an der Hebräischen Universität, weis jede Verbindung zwischen den schmierigen Stalags und den Schriften K. Tzetniks als eine "Ursünde" zurück. Er besteht darauf, daß K. Tzetniks Werk auf der Wirklichkeit beruhe.

Aber der 35jährige Mr. Libsker, selbst Enkel von Holocaustüberlebenden, behauptet, es sei dieselbe Mischung von Horror, Sadismus und Pornographie, die dazu dient, die Erinnerung an den Holocaust im heutigen israelischen Bewußtsein wachzuhalten.

Korrektur: 7. September 2007

Der gestrige Artikel im Jerusalem Journal über die pornographischen Taschenbücher mit Nazithemen, die in den 60er Jahren in Israel im Umlauf waren, hat The Holocaust Martyrs und Heroes Na´áma Shik, einen Forscher von Yad Vashem, bezüglich des Buches 'The Doll House' bezüglich jüdische Frauen, die in einem berüchtigten Bordell im Block 24 in Auschwitz dienten, falsch zitiert. Sie sagte, das Buch, nicht Block 24 sei romanhaft.