Was feiern wir eigentlich zu Ostern? Die Auferstehung Christi oder diejenige Großisraels?

von Friedrich Romig

Aus dem grässlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Massenmords an den Juden ist im Laufe der Geschichte der letzten sechs Dezennien nicht nur ein neuer Wirtschaftszweig, "The Holocaust-Industry" nach Norman G. Finkelstein, entstanden, sondern, wie es aussieht, auch eine neue Weltreligion. Den von Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel für diesen Massenmord verwendeten Begriff "Holocaust" stattete er mit allen für Hochreligionen kennzeichnenden Merkmalen aus: Einzigartigkeit, Einmaligkeit, Unvergleichbarkeit. Wie die Menschwerdung Gottes in der historischen Erscheinung Christi, die Moses zuteil gewordene Offenbarung der göttlichen Gebote auf dem Sinai oder das von Mohammed aufgenommene und im Koran niedergeschriebene Diktat Allahs, so ist auch der Holocaust ein einzigartiges, geschichtlich einmaliges und mit nichts anderem zu vergleichendes, unbegreifliches, durch die Vernunft nicht erklärbares Ereignis. Den universellen Charakter dieser neuen Weltreligion hat im Oktober 2005 die United Nations Organisation mit der Einführung des ab nun in jedem Jahr zu begehenden "Holocaust-Weltgedenktages" unterstrichen. Anders als beim Mord am Gottesohn, "in dem die ganze Menschheit gekreuzigt wurde" (H. de Lubac), wird in der - allerdings nur mehrheitlich - verabschiedeten UNO-Resolution jede Leugnung der historischen Tatsache des Holocaust an den Juden verurteilt. Damit wird durch die Weltgemeinschaft aus der Fülle der Völkermorde ein einzelner hervorgehoben und als mit keinem anderen vergleichbares Verbrechen gewissermaßen "dogmatisiert". Man hat an seine Einzigartigkeit oder "Singularität" zu "glauben" wie der Christ an die Erbsünde. Als Glaubenswahrheit wird der Holocaust so zu einer Art Religion. Wer Zweifel an ihm hegt, gilt als Feind der Wahrheit, er gehört nicht zu der im Glauben geeinten Völkergemeinschaft.

Das hat Auswirkungen auf die Stellung des Christentums. "Wenn es Gott gibt, kann es Auschwitz nicht gegeben haben. Aber da Auschwitz existierte, ist die Existenz Gottes unmöglich" (Primo Levi). Und ohne Gott gibt es natürlich auch keinen Gottessohn und keine Auferstehung, so die Argumentation der Spätaufklärer. Der Glaube an den Holocaust ersetzt das Christentum, und nicht nur dieses.

Wie jede kraftvolle Religion, so hebt auch die neue "Holocaustreligion" die Trennung von Staat und Religion auf. Die Verbindung von Holocaust und Staat ist in manchen Staaten so eng, dass sie zum unaufhebbaren Gundbestandteil der Verfassung geworden ist. Eigene "Verfassungschutzämter" sind in solchen Staaten praktisch ausschließlich mit der Aufgabe betraut, diese Untrennbarkeit von Religion und Staat gegen "innere Feinde" zu sichern. Wer in diesen Ländern die Wahrheit des Holocaust leugnet, wird verschiedentlich von den als Glaubenswächter fungierenden Kultusgemeinden oder Denunziationsarchiven angezeigt und den Strafbehörden zugeführt. Untersuchungsrichter vertreten die Inquisition, Staatsanwälte klagen die Glaubensabweichung an, Volks- oder Geschworenengerichte entscheiden mit ihrem Urteil über die Schwere des Sakrilegs, Strafbehörden sperren die Glaubensabweichler ein und sorgen für die Erfüllung der auferlegten Bußpflichten. Ganz in staatsreligösem, der Trennung von Staat und Religion widersprechendem Sinne, fordert die UNO in ihrer Resolution die Staaten zu einer Art "Weltkatechese" auf: Sie sollen Bildungsprogramme entwickeln, welche heranwachsenden Generationen mit den Schrecken des Holocaust, dem Kreuzweg der Juden, vertraut machen. Mit ihrer Resolution ist die UNO einer Forderung der Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research nachgekommen. Diese "Task Force" wurde 1998 in Stockholm von Israel, den USA, Großbritannien, und Deutschland gegründet, Polen, Frankreich, die Niederlande, Italien und Österreich sind ihr kurz nach Gründung beigetreten. Ihr Zweck ist es, die Holocaustreligion überall durchzusetzen. Sie gilt für ihre Befürworter als Sakrament oder "Heilsgut", welches Völkermorde verhindern soll. Sie versöhnt und trennt nicht wie jene diversen monotheistischen Religionen, die alle zu mörderischen Religionskriegen geführt haben.

In vielen Staaten, sogar in solchen, in denen nie ein Massenmord an Juden stattgefunden hat, werden heute mit staatlicher Hilfe Gedenkstätten, Museen und Denkmäler errichtet, in denen an den Holocaust erinnert oder auf kultisch-feierliche Weise der jüdischen Opfer durch die Vertreter des Staates und der Gesellschaft gedacht wird. Yad Vashem in Israel wurde zum neuen Mekka, zu dem alle Politiker pilgern müssen, die in ihren Parteien, Ländern oder in der Welt etwas werden oder gelten wollen. Im Totenkult von Yad Vashem feiert Israel als Volk und Staat seine Auferstehung, und wir feiern mit ihm ein neues Ostern.

Selbst ein Papst hat bereits seine Schritte zu dieser Kultstätte gelenkt. Die symbolische Bedeutung seines Gangs zur heiligen Stätte des Holocaust ist kaum zu überschätzen. Die Massenmedien missverstehen solche Schritte oft genug als eine Art Anerkennung der Holocaustreligion durch den Heiligen Vater. Selbst eine Höherstellung der Holocaustreligion über das Christentum wird vielfach angedeutet. Die christlichen Ursprünge des Antisemitismus, von Juden häufig als geistige Wurzel des Holocaust bezeichnet, sind zur Quelle kirchlicher Selbstanklagen geworden, die mehr und mehr "das Kreuz um seine Kraft bingen" (Johannes Paul II.) Jetzt wird nicht selten allein schon das öffentliche Bekenntnis zum christlichen Glauben als peinlich empfunden. Es kann, wie im Falle Rocco Buttiglione, zur Übernahme öffentlicher Ämter in der Europäischen Union disqualifizieren. Die Schwäche des Christentums zeigt sich nicht zuletzt im liturgischen Wildwuchs. Das theologische Chaos verstört die Gläubigen und lässt sie auf die Teilnahme am Gottesdienst immer öfter verzichten. Der Kern der Glaubenslehre, das Credo, verursacht bei "aufgeklärten", naturwissenschaftlich gebildeten Geistern nur noch verwundertes Kopfschütteln. Gott werden selbst von Bischöfen allenfalls noch "Designerqualitäten" zugebilligt, die unbefleckte Empfängnis Mariens kann ER mit solchen Qualitäten allerdings kaum bewirkt haben. Ohne Konsequenzen dürfen heute katholische Theologen das "leere Grab" und die Auferstehung Christi in den Bereich der Mythen verweisen, in dem der Kinderglaube beheimatet ist. Wenn wundert es noch, wenn evangelische Theologen, worüber G. Rohrmoser jüngst berichtet hat, das ganze Christentum als eine "Fälschung" des Apostels Paulus betrachten, habe der Rabbi Jesus von Nazereth doch niemals eine eigene Religion begründen, sondern das Judentum erneuern wollen. Die Re-Judaisierung des Christentums und die Bekehrung der Christen zum Judentum seien daher angezeigt und notwendig.

In den durch die Schwäche des Christentums entstehenden Leerraum dringt die Holocaustreligion mit Leichtigkeit ein. Ihre Bekenner dulden keine Zweifel und Abweichungen. Kraftvoll wenden sie sich allein schon gegen das Aufwerfen der Frage, in welchem Umfang, an welchem Ort und auf welche Weise denn die Mordwaffe (z. B. "Gaskammer") funktioniert hat, mit der die industrielle Massenvernichtung der Juden erfolgt ist. Sie betrachten solche Fragestellungen als Sakrileg, welches unbarmherzig zu verfolgen ist. Selbst die Ankündigung der Veranstaltung eines Symposiums von Fachleuten zur Erörterung dieser Fragen wird als Bruch mit der Holocaust-Religion betrachtet, gegen welchen der Staat als Religionswächter einzuschreiten und Maßnahmen zur Unterbindung der Veranstaltung oder der Teilnahme an ihr zu setzen hat.

Völkermorde sind im Laufe der Geschichte keine Seltenheit, sie gehören zu dem dem Historiker vertrauten Material - man denke nur an das Schicksal der Indianer, der Indios, der Armenier, der Kambodschaner oder an die Geschehnisse in Ruanda, in Bosnien-Herzegowina und in Äthiopien. Keiner dieser Genozide kann es in seiner religiösen Bedeutung mit dem Holocaust aufnehmen, keiner hat einen Weltkult hervorgebracht. Der Grund für die Hervorgehobenheit und Einzigartigkeit des Holocaust ist im weithin anerkannten Status der Juden als dem von Gott "auserwählten Volk" zu finden. Nur die Juden bilden ein zur Weltherrschaft berufenes "heiliges Volk von Königen und Priestern" (Js 19, 6). Der Mord an diesem heiligen Volk hat einen ganz anderen Charakter als alle anderen Genozide, er tritt an die Stelle der "Erbsünde". Nicht das Weltelternpaar hat diese begangen, sondern das deutsche Volk. Es ist durch diesen Mord zum Inbegriff des Bösen geworden und hat eine Schuld auf sich geladen, die niemals getilgt und gesühnt werden kann (während die Nachkommen der Vollstrecker der kommunistischen Massenmorde weder Verantwortung noch Schuld zu tragen haben). Es wurde deshalb dem Exorzismus der "Umerziehung" unterzogen, der das Deutschtum, den "bösen Geist", austreiben sollte. Das neue, "gereinigte" Deutschland definiert sich, jedenfalls nach den klaren Aussagen seiner Regierungsvertreter und Repräsentanten, jetzt durch den Holocaust, so wie der Christ durch die Erbsünde, das Reinigungsbad der Taufe und das Credo.

Aber auch anderen Staaten bleibt die Anerkennung des Holocaust als Sakramentum nicht erspart. So wurde beispielsweise die Aufnahme osteuropäischer Staaten in die NATO mit der Verpflichtung zur "Aufarbeitung" der Judenverfolgung und Anerkennung der Holocaustreligion als "Staatswahrheit" verbunden. Diese Verpflichtung hängt mit der für jede gemeinsame (Sicherheits-) Politik notwendigen Unterscheidung von Freund und Feind zusammen, die nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums problematisch wurde. Durch die Akzeptanz der Holocaustreligion wird jetzt jeder Staat zum Feind, der sie nicht anerkennt und deshalb auf die "Achse des Bösen" gesetzt werden kann. Solche Staaten gelten als "Schurkenstaaten", die von ihrer "Sünde" durch Krieg, Niederwerfung oder die Anzettelung von Bürgerkriegen oder von inneren, "orangenen" Revolutionen zu "befreien" sind. Heute befinden sich etwa 60 Staaten auf dieser Achse des Bösen, wobei die islamischen Staaten als eingeschworene Feinde der Holocaustreligion besonders ins Visier der NATO geraten sind. Durch die enge Verbindung der USA zu Israel ist die NATO unter der Führung der USA zu jener "großisraelischen" Allianz geworden, von der man hofft, sie könne die Holocaustreligion auf der ganzen Welt durchsetzen und gegen Angriffe schützen.

Mit dem UNO-Beschluss zur Anerkennung des Holocaust wird diese zu einem Teil der "Zivilreligion" ganz im rousseauschen Sinne, ohne welche auch die volonté général der Weltgemeinschaft nicht auskommen kann. Die Legitimation der vox populi als vox Dei war in der Demokratiekonzeption Rousseaus unverzichtbar an religiös-transzendente Voraussetzungen gebunden, welche vorbehaltslose Anerkennung ("sans reserve") und unbedingten Gehorsam einfordern konnten. Wer sie leugnete, machte sich zum "Feind der Demokratie", er befand sich außerhalb des Gesetzes ("hors de la loi") und wurde daher ausgegrenzt, ausgewiesen, weggesperrt oder sogar mit der Todesstrafe belegt. Heute sorgt die Holocaustreligion in ihrer Verbindung mit den "demokratischen Werten" auf Weltebene für die mögliche und notwendige Erkennung der Feinde Großisraels. Ein Glaube, eine Menschheit, eine Weltordnung und eine Weltmacht, die regiert, werden als Voraussetzung für das Funktionieren der Völkergemeinschaft propagiert. Durch die Anerkennung des Holocaust als Weltreligion und als der alle Religionen und kulturellen Unterschiede überwölbende Glaube, soll eine "Selbstjudaisierung" (R. Hickson), "Israelisierung" (M. Shalid Alam) oder "Zionisierung" ( Putin, Mahatir, Ahmadinedschad) der Völker herbeigeführt werden, durch die sie sich willig unter das Joch des auferstandenen Israel und der USA begeben und sich von ihnen durch das im 20. Jahrhundert bereits eingeläutete "Jewish Age" (Yuri Slezkine) leiten lassen. Wo die Reise hingeht, beschreibt "die Geheime Offenbarung des Johannes", welche nicht ohne Absicht an das Ende des Buches der Bücher gerückt ist. Dort ergreift der Holocaust, die endgültige "Shoah" oder "Katastrophe", ganz Babylon, die City of Man.

Veröffentlicht unter folgenden Titeln:

"Der 13te". (Römisch-katholische Monatszeitschrift für Kirche und Welt), 22. Jg. H. 4 vom 13. April 2006, S 6ff: "Der Holocaust, die neue Weltreligion. Was feiern wir eigentlich zu Ostern? Ein literarisch-politisches Feuilleton".

"ZUR ZEIT" (Wochenzeitung für Österreich), Nr. 15-16 vom 14.-27. April 2006, S 20f : Eine neue Weltreligion. Was feiern wir eigentlich zu Ostern?"