Volker Zastrow von der FAZ: Betrachtungen über den Zündel-Fall

Quelle:  Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.03.2006 Nr. 72 Seite 3
Von Volker Zastrow

MANNHEIM, 24. März. Alles im Phaeton sagt: Geschafft. Auf die Ästhetik seiner Armaturen setzt allenfalls das Display mit der Aufschrift "Volkswagen" einen süffisanten Akzent. Das nächtliche Frankfurt scheint aus der Limousine in gläserne Unwirklichkeit entrückt. Windharfenklänge verzwirbeln Dampffähnchen am Fahrzeugheck. Der wohltemperierte Wählhebel des Automatikgetriebes schmiegt sich in Kempfs Hand wie das Knie der Lollobrigida. Aus seiner Kanzlei im Westend genießt Eberhard Kempf den Blick auf den Palmengarten. Die Räume bewahren eine Reliquie: die Robe mit dem Riß, der entstanden ist, als Amtsrichter Schwalbe den Rechtsanwalt 1978 in einem Verfahren gegen Mitglieder des Kommunistischen Bundes Westdeutschland von der Polizei gewaltsam aus dem Saal entfernen ließ.

Nicht jede linke Anwaltskarriere führt auf die preisgekrönten Klima- und Massagesitze deutscher Oberklasselimousinen. Doch ein Gutteil jener Prozeßvertreter, die vor Jahrzehnten durch die harte Schule der Konfliktverteidigung gegangen sind, ist auffallend erfolgreich. Kempf verteidigte Weyrauch und Kohl, sein derzeit bekanntester Klient ist Josef Ackermann der Streitwert des Verfahrens beläuft sich auf etwa hundert Millionen Euro. Andere ehemals linke Strafverteidiger sind angesehene Professoren oder bekannte Politiker geworden.

Der letzte große politische Prozeß für die Linke galt vor zehn Jahren einem libanesischen Angeklagten, der ein Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße angezündet haben sollte. Er wurde freigesprochen. Wie so mancher Zuschauer etikettierten sich damals die Verteidigerinnen mit emaillierten Sowjetsternen. Sie hatten eine öffentliche Kampagne gegen den Staatsanwalt angezettelt. Allerdings begegneten ihnen die Richter respektvoll - während der damalige Sprecher des Lübecker Landgerichts, Wolfgang Neskovic, sie diskret unterstützte, indem er etwa sogenannten internationalen Kommissaren Vorzugsbedingungen verschaffte.

Auch im Mannheimer Verfahren gegen den 66 Jahre alten Ernst Zündel, der unter anderem wegen Volksverhetzung angeklagt ist, hätte die Verteidigung gern eine "internationale Beobachterkommission" im Saal. Der Anwalt Jürgen Rieger erwog in der Hauptverhandlung, sich damit an die iranische Botschaft zu wenden. Schon zu Beginn des Verfahrens im vergangenen November hatte die Anwältin Sylvia Stolz sich auf den Karikaturenstreit und die Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadineschad zum Holocaust berufen. An ihrer Robe nistet eine Medaille mit dem Reichsadler und der Aufschrift "Deutsches Reich 2005". Die tragen auch etliche der zahlreich erschienenen Anhänger Zündels, von denen viele zuletzt keinen Einlaß mehr in den vollbesetzten Saal fanden. Sie ist einem Fünfpfennigstück der Besatzungszeit nachgebildet und soll, wie Horst Mahler auf Nachfrage gefällig erläutert, von der 2005 begonnenen "Abwicklung der Bundesrepublik" künden.

Der Umgang mit politischen Symbolen (darunter das Palästinensertuch), Agitation im Gerichtssaal, das Beziehungsgefüge zwischen Angeklagtem, Anhängern und Verteidigung, der Einsatz des gesamten Arsenals der Strafprozeßordnung durch die Verteidiger mit Ablehnungs- und Beweisanträgen, Eskalations- -und Verschleppungstaktiken, die unübersehbare Anwesenheit von Sicherheitskräften in stattlicher Zahl und die übersehbare von Staatsund Verfassungsschutz im Publikum allseits wilde Empörungslust, Gebrüll von Richtern und Verteidigern, Respektlosigkeiten aller Art, gequälte Reizbarkeit des Vorsitzenden Richters -all das sind typische Merkmale politischer Prozesse.

Die rechten Verteidiger haben von den linken gelernt. Horst Mahler ist das lebende Bindeglied. Er wirkte schon in den sechziger Jahren als der mit Abstand bekannteste Anwalt der Linken an zahlreichen politischen Prozessen mit. Viele der späteren RAF-Anwälte haben sich Mahlers Taktiken abgeschaut - etwa der spätere Innenminister Otto Schily oder Mahlers früherer Referendar Christian Ströbele. Während Schily damals "die Brücken zur bürgerlichen Gesellschaft" hauptsächlich mit Worten hinter sich abgebrochen hatte, ließ Mahler Taten folgen. Er gehört zu den Mitgründern der RAF. Als Angeklagter wurde er von Schily und Ströbele verteidigt, und 1988 erkämpfte ihm der spätere Bundeskanzler Schröder die Wiederzulassung als Rechtsanwalt. Auch Kempfs Mandant war er schon.

Der politisierende Anwalt ist der politisierende Mensch - in seinem kritischen, radikalen oder extremistischen Aggregatzustand. Erreicht er den äußersten dieser drei Zustände, hat der Mensch den Anwalt konsumiert. Mahler war da nicht der einzige. Die RAF-Anwälte Klaus Croissant, Jörg Lang, Eberhard Becker, Siegfried Haag, Arndt Müller, Armin Newerla wurden, in unterschiedlichem Grade, zu Mittätern ihrer Mandanten. Andere definierten ihre Grenze anders: Ströbele sprach Baader mit "Genosse" an und organisierte "kollektive Verteidigung", Schily dagegen wollte von Baader "Herr Schily“ ge-nannt werden. Doch wie jetzt Frau Stolz, so schrie damals Schily, als ihm in Stamm- heim der Vorsitzende Richter Prinzing das Mikrofon abgestellt hatte: "Das läuft bei mir nicht!" Er sprach mit lauter Stimme einfach weiter. Ein andermal beantragte Schily, dem Vorsitzenden das Wort zu ent-ziehen, weil der nicht zur Sache spreche.

Wortgefechte zwischen Schilly und Prinzing verliefen mitunter so: "Nein." - "Doch" - "Nein" - "Doch". Prinzing wollte einen Beschluß vortragen. Schilly sagte: "Das interessiert mich nicht." Nicht der Richter habe das Wort. Ähnlichen Mustern folgt auch der Gedankenaustausch zwischen Verteidigerin Stolz und Richter Meinerzhagen in Mannheim. Das Gericht hat nun beim Karlsruher Oberlandesgericht beantragt, die Verteidigerin auszuschließen. Auch da erging es Schily und Ströbele in den frühen siebziger Jahren nicht anders.

"Sabotage des Verfahrens" werfen die Mannheimer Richter der Verteidigerin vor. Sie könne das Verfahren nicht sabotieren, weil es keines sei, entgegnet Frau Stolz. "Das ist hier kein Verfahren, das ist eine Kriegshandlung." Das Gericht argumentiert in seinem Vorlagebeschluß mit Frau Stolz' antisemitischer und verfassungsfeindlicher Hetze. Sie folge dabei einer gemeinsam mit Horst Mahler erarbeiteten, Konzeption, die sie in der Hauptverhandlung "eins zu eins" umsetze. So werde gegen das vorläufige Berufsverbot verstoßen, das das Amtsgericht Tiergarten gegen Mahler verhängt hat. Außerdem hatte das Amtsgericht nahegelegt, den mittlerweile siebzig Jahre alten, betont gelassen auftretenden Mahler auf "die Möglichkeit altersbedingter Abbauprozesse" hin untersuchen zu lassen, was inzwischen ohne positiven Befund geschehen ist.

Tatsächlich besprechen Mahler und "Sylvia" sich in allen Verhandlungspausen;. dem Verteidiger Dr. Schaller ruft Mahler aus dem Publikum Hinweise zu. Im Gegensatz zu Schaller schöpft aber Frau Stolz sogar ihre Schriftsätze aus denen Mahlers. Das Mannheimer und weitere Volksverhetzungsverfahren sollen zu dessen "Feldzug" gegen die deutsche Justiz gehören. Einen 475 Seiten umfassenden bizarren Beweisantrag, den Mahler in eigener Sache dem Berliner Landgericht vorgelegt hat, hat Frau Stolz in Mannheim ebenfalls eingereicht. Von Mahler abgeschaut war die "Belehrung" der Schöffen zu Beginn des Verfahrens - diese Tradition reicht gleichfalls in die sechziger Jahre zurück. In Mannheim erläuterte Frau Stolz den Laienrichtern, daß sie nach einer etwaigen Verurteilung des Angeklagten ihrerseits wegen "Feindbegünstigung" nach dem Strafgesetzbuch von 1944 im wiederhergestellten Reich die Todesstrafe zu gewärtigen hätten.

Erst seit etwa, einem Jahr führt Frau Stolz, mit einem Thorhammer im Ausschnitt, solche Verfahren, seither aber keine anderen. Ihre historischen und politischen Überzeugungen hat sie auf dem revisionistischen" Bildungsweg verfestigt und Mahler bald schon aus der Ferne bewundert. "Der Mann ist klug und hat Biß." Nach dem ersten Kontakt mit ihm auf einem Seminar im oberpfälzischen Moosbach hat die bis dahin unauffällige Rechtsanwältin gleichsam ihr Hobby zum Beruf gemacht. Inzwischen träumt sie davon, als eiserne Jungfrau der Rechten "Deutschland zu befreien. Und auch andere Völker". Da sich sonst niemand finde, müsse sie diesen Kampf führen. Als Vorbilder nennt Frau Stolz noch vor "den vielen verurteilten Revisionisten" Sokrates und Giordano Bruno. Was wiegen da Berufsverbot oder Gefängnis? "Wenn man darauf bedacht ist, keinen Schaden zu erleiden, kann man große Ziele nicht erreichen."

Das Mannheimer Landgericht hat vor Beginn der Hauptverhandlung beschlossen, daß es strafbewehrte Äußerungen im Gerichtssaal "keinesfalls" dulden werde. Außerdem hat die Kammer nicht ohne Mühe zuwege gebracht, daß Zündel zusätzlich zu drei Wahlverteidigern über drei Pflichtverteidiger verfügt. Das heißt: für jeden auszuschließenden Wahlverteidiger steht ein Ersatzmann bereit. Ein Ausschluß von Wahlverteidigern ist wohl nur mit einem (zunächst vorläufigen) Berufsverbot möglich -wie bei Mahler. Es setzt voraus, daß der Delinquent seinen Beruf zu Straftaten mißbraucht oder solche Taten unter grober Verletzung seiner Berufspflichten begangen hat. Bei Mahler genügten dem Amtsgericht Tiergarten und dem gegen dessen Beschluß angerufenen Berliner Landgericht volksverhetzende Äußerungen Mahlers als Angeklagter in einem Verfahren wegen Volksverhetzung.

Ähnlich wie in den siebziger Jahren in der Auseinandersetzung mit den linken Angeklagten und ihren politisierten Strafverteidigern haben Gerichte und Gesetzgeber seit der Wiedervereinigung Gesetze und Rechtsprechung nachhaltig verschärft. Dem Volksverhetzungsparagraphen 130 wurden 1994 und 2005 neue Absätze angefügt, um neue Strafbarkeiten herzustellen - inzwischen ist bereits das konkludente "Billigen" der NS--Herrschaft strafbar. Der Bundesgerichtshof hat das Verhalten von Verteidigern in den einschlägigen Verfahren ebenfalls einer Neubewertung unterzogen. Insofern haben zwei weitere Verteidiger Zündels bereits an der Rechtsfortbildung mitgewirkt. 1987 hatte der Bundesgerichtshof Rechtsanwalt Rieger freigesprochen, der als Verteidiger des wegen Mordes angeklagten früheren SS-Sturmbannführers Arpad Wiegand behauptet hatte, das Warschauer Ghetto habe der Eindämmung von Flecktyphus gedient. Diese und weitere "grob unrichtige" und gegenüber den jüdischen Opfern und ihren Hinterbliebenen "ehrenkränkende Äußerungen" müßten, so der Fünfte Strafsenat, vor Gericht hingenommen werden - wegen des rechtsstaatlichen Gebots, "eine ungehinderte und damit wirksame Strafverteidigung zu ermöglichen".

Auch gegen Rechtsanwalt Ludwig Bock aus Mannheim erging ein einschlägig bedeutsames Urteil. Er ist Zündels Pflichtverteidiger, wurde aber von ihm vorgeschlagen und darf (im Gegensatz zu den beiden anderen Pflichtverteidigern) mit ihm in derselben Bank sitzen. Bock scheint nicht angetan vom Stil seiner Kollegin. Er bevorzugt eine durchaus scharfe, aber kalt geführte Auseinandersetzung. In einem Prozeß gegen den vormaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert im Frühjahr 1997 hatte Bock sich allerdings kurz vor Ende der Beweisaufnahme zu einem eilig formulierten Hilfsbeweisantrag hinreißen lassen, in dem er in von vornherein unsinniger Weise Prominente Politiker als Zeugen dafür benannte, daß "primär politische Interessen" dem "Durchbruch der historischen Wahrheit im Zusammenhang mit dem Holocaust" entgegenstünden, und zwar vor allem Interessen der deutschen politischen Klasse, die ihre "einzigartige politische Unfähigkeit“ mit der „Einzigartigkeit der deutschen Schuld“ legitimiere.

Im April 2000 folgte der Bundesgerichtshof dem Landgericht Mannheim darin, daß diese Äußerungen nur als Volksverhetzung interpretiert werden könnten, da sie die Aussage enthielten, "daß es nicht zu den Massentötungen durch Vergasen in dem geschichtlich anerkannten Umfang gekommen sei". Bock wurde zu einer Geldstrafe von neunzig, Tagessätzen verurteilt. Zugleich aber stellte der Erste BGH-Senat fest, Verteidiger in Volksverhetzungsverfahren dürften ihrerseits wegen Volksverhetzung durch Verharmlosen des Holocausts "grundsätzlich" nicht bestraft werden - sondern ausnahmeweise nur dann, wenn die beanstandete Erklärung des Verteidigers "ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das sich lediglich den äußeren Anschein der Verteidigung gibt".

Inzwischen hat wiederum der Fünfte Strafsenat seine Auslegung dramatisch verändert. Abermals ging es um ein Verfahren gegen Rieger, der als Rechtsanwalt Beweisanträge gestellt hatte, die darauf zielten, die Vergasungen in Auschwitz in Abrede zu stellen. Im August 2002 entschied der Bundesgerichtshof-. Wer als Strafverteidiger in einem Verfahren wegen Volksverhetzung in einem Beweisantrag den Holocaust leugne, mache sich damit "grundsätzlich" seinerseits strafbar. Solche Verteidiger sollen mithin nach höchstrichterlicher Auffassung sowohl grundsätzlich verurteilt als auch grundsätzlich nicht verurteilt werden.

Rieger, der mit dem einst prominenten Anwalt Bossi Richter als "Halbgötter in Schwarz" verspottet, ist von Richter Meinerzhagen im aktuellen Verfahren auch schon angezeigt worden: wegen Beleidigung, da der Anwalt im Schwurgerichtssaal einen Vergleich mit der sowjetischen Strafjustiz bemüht hatte. Frau Stolz wiederum spricht unentwegt von den Nürnberger Prozessen - wie früher linke Anwälte, nicht zuletzt Schily, beständig die bundesdeutsche mit der NS-Justiz legierten. Rieger seinerseits hat Meinerzhagen angezeigt, weil der in öffentlicher Hauptverhandlung zitiert hat, um dessen Ablehnung als Pflichtverteidiger zu begründen.

Als Meinerzhagen den Hamburger Anwalt, der am vierten Verhandlungstag unzureichende Akteneinsicht bemängelt, nach wenigen Worten scharf unterbricht, erwidert Rieger: "Herr Vorsitzender, wenn Sie nervlich nicht in der Lage sind, dieses Verfahren zu führen, sollten Sie sich selbst für befangen erklären". - "Sie hatten etwas Falsches gesagt", fährt Meinerzhagen dazwischen, um gleich darauf gemartert zusammenzusinken.

Dieses Verfahren ist ihm ein Greuel. In seinem Vorlagebeschluß für Karlsruhe hat sich Meinerzhagen selbst "Geduld" und das "Bemühen um Gelassenheit" zugeschrieben; beim Verlesen jener Stelle brach im Saal Gelächter aus. Solche Reaktionen werden vom Vorsitzenden streng unterbunden, nicht aber der ausdauernde Applaus einer Zuhörerin für seine sarkastische Anregung, der filibusternden Verteidigerin "einen Arzt" zu rufen. Und doch: Wenn Richter Meinerzhagen dem unbeugsamen Fräulein Stolz (so ihr Kampfname) wieder einmal, um Superlative ringend, die Leviten liest, erhellt ihre Wangen ein zartes Rouge - wie der Widerschein vom Scheiterhaufen.