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Süddeutsche Zeitung, Nr. 287, Samstag/Sonntag, 12./13. Dezember 2009, Seite 15

Ethnische Geiselhaft. Wie soll sich Israel definieren?

Vorwort:  Die Israel-Lüge

Der jüdische Historiker Tony Judt, Leiter das Remarque-Institut der New York University, veröffentlichte in der Süddeutschen Zeitung den unten wiedergegebenen bemerkenswerten Artikel über den Irrsinn der Rechtfertigung des "jüdischen" Staates. Diese Stimmen, die quasi offen einen Abbau des Judenstaates fordern, mehren sich in letzter Zeit. Judt hat die Politik, den Judenstaat über Rasse und Holocaust zu rechtfertigen und zu begründen, als äußerst gefährlich erkannt. Denn er, wie auch Avaraham Burg, nur um zwei gewichtige Stimmen des Judentums zu nennen, wissen um die Unhaltbarkeit Israels. Judt spricht offen Präsident Ahmadinedschad an, dessen Holocaust-Story-Anklage derzeit wohl noch unterdrückt werden kann, aber schon bald die revolutionäre Anfeuerung zur Auflösung Israels bedeuten könnte. Judt spricht es fast offen aus. Wenn Israel mit der Holocaust-Story am Leben erhalten wird, dann braucht man die Story nur zu kippen und der Judenstaat kippt auch.

Die Akteure für die Aufgabe des Judenstaates wollen zurück zur jüdischen Tradition. Die Fäden im Hintergrund ziehen und nicht als Kindermörder-Volk weltweit angeprangert werden. Sie wissen, dass auf Dauer diese Politik des Vernichtungskrieges gegenüber einer wehrlosen Nation für das Judentum fatal enden muss.

Sie argumentieren jetzt, der Zionismus sei abartig, nicht das Schriftjudentum. Wenn Judt die Rassenfrage des Judentums im Zusammenhang mit Israel anprangert und schreibt, dass dies dem Schriftjudentum fremd sei, dann ist das schlicht falsch. Im Talmud und im Alten Testament definiert sich das Judentum über die Blutsabstammung, nicht über eine geistige Verbundenheit. Nur wer eine jüdische Mutter hat, ist Jude, egal ob er/sie den Talmud kennt oder nicht. Die Lehre, wonach man nichtjüdische Kinder töten dürfe, stammt nicht von Zionisten, sondern von Talmudjuden wie Rabbi Shapiro, der kürzlich diese Weltsicht in einem Buch veröffentlicht hat. Diejenigen, die zur Ausrottung der Palästinenser in den besetzten Gebieten aufrufen, sind keine Zionisten, sondern Talmudjuden.

Allerdings gibt es eine jüdische Bewegung, die sowohl den landraubenden Zionismus ablehnt wie auch die menschenfeindlichen Gesetze der Jahwisten. Wahrscheinlich gehört Tony Judt auch zu ihnen, kann es aber noch nicht offen zugeben. Die Lobby-Macht ist groß, wie er selbst schreibt.

Das Verhängnis ist, dass der Westen nicht Leute wie Tony Judt, Uri Avneri, Oberrabbiner Friedman usw. unterstützt, sondern alleine jene Kräfte mit Milliarden und Massenvernichtungswaffen vollstopft, die die Welt immer wieder ins Unglück stürzen.

Lesen Sie jetzt den Judt-Artikel aus der SZ:

 

Süddeutsche Zeitung, Nr. 287, Samstag/Sonntag, 12./13. Dezember 2009, Seite 15
Ethnische Geiselhaft. Wie soll sich Israel definieren?

Von Tony Judt

Für uns Juden lautet die alles entscheidende Frage: Wer sind "wir"? Hier in New York haben die meisten Juden, die sich mit der Geschichte des Judentums auseinandersetzen, eine streng rassenbezogene und ethno-deterministische Auffassung. Sie glauben nicht, dass "wir" nur eine selbstdefinierte und herbeigedichtete Gemeinschaft unter vielen sind, geschweige denn, dass sich unsere Selbstdefinitionen in Reaktion auf unsere Verfolger entwickelt haben könnten.

Juden, so wurde ihnen beigebracht, sind einmalig. In meinen Augen ist das ein selbstgefälliges Überlegenheitsdenken und ich halte es für angebracht, diese ethnische Unterscheidung in Frage zu stellen.

Die Grundvoraussetzung des Zionismus war, dass die Juden ein homogenes und einzigartiges Volk bilden; dass weder ihre Ausbreitung in der Welt noch ihre Leiden über Jahrtausende hinweg ihre charakteristischen, kollektiven Eigenschaften verwässern konnten; und dass sie als freie Juden nur in einem jüdischen Land leben konnten. In einer Zeit, als die ethno-nationalistischen Bewegungen in Zentral- und Osteuropa anfingen Wurzeln zu schlagen, ließ sich diese Prämisse umso leichter akzeptieren, als die Juden den rumänischen oder lettischen Nationalismen einfach ihre eigene, ethnisch definierte Exklusivität entgegen setzten.

In den Augen der Zionisten war also die jüdische Religion nicht mehr die elementare Maßgabe für eine jüdische Identität. Im späten 19. Jahrhundert emanzipierten sich die Juden rechtlich und kulturell. Der Zionismus erschien vielen als einzige Alternative zu Verfolgung, Assimilation und kultureller Entfremdung. So begünstigte paradoxerweise der Rückzug des religiösen Separatismus die Entwicklung einer säkularen Version eben dieses Separatismus.

Ich habe in den sechziger Jahren die antireligiöse Stimmung vieler linker Israelis miterlebt und als sehr unbehaglich empfunden. Religion, so wurde mir gesagt, sei was für die "Verrückten" von Jerusalem. "Wir", so meine zionistischen Lehrer, seien modern, rational und westlich. Was sie mir nicht erzählten: Ihr Israel, dem ich beitreten sollte, gründete auf einer radikal ethnischen Definition des Judentums.

Doch es ging viel weiter als das. Die meisten der Gründungsväter Israels waren Mitglieder in einem Kibbuz. Auch der Kibbuz war ein demonstrativer Ausdruck ihrer ethnisch-ideologischen Vorstellungen. Bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels hatten sich die Juden als Bauern auf dem Gebiet des heutigen Israels und Palästinas angesiedelt. Dann wurden sie von den Römern ins Exil gezwungen. Es war das zweite Mal, dass die Juden heimatlos in der Welt umherziehen mussten (das erste Mal wurden sie von den Babyloniern vertrieben). Nun aber würden "sie" endlich "heimkehren" und das Land ihrer Vorfahren bestellen.

Was für eine haarsträubende Vorstellung: Stellen Sie sich vor, eine Gruppe Tiroler Ärzte und Rechtsanwälte würde mit dem Schiff nach Südengland übersetzen und verkünden, dass sie gekommen seien, um das Land ihrer sächsischen Vorfahren zu bestellen. In Israel hat niemand diese Vorstellung je in Frage gestellt.

Dafür gibt es Gründe: Wenn wir uns damals gefragt hätten, ob die Juden aus dem heutigen Israel direkte Nachfahren der biblischen Hebräer seien und erfahren hätten, dass die Antwort wohl "nein" heißen müsste – da es unendlich viele Mischehen, Bekehrungen, Assimilationen gegeben hat, wäre es genauso schwer, eine solche Verbindung nachzuweisen wie Sarkozy mit Vercingetorix in Verbindung zu bringen – es hätte uns verwirrt. Doch wieso war dann die Rede von einem jüdischen Land? Warum unbedingt an einem so streitsüchtigen Ort sein wie Kanaan? Wieso nicht Kanada?

Der Ethno-Mythos einer direkten jüdischen Abstammungslinie war für die Legitimität des jüdischen Staates und somit für die institutionalisierte Vorzugsbehandlung der Juden gegenüber den Nicht-Juden essentiell. Natürlich gibt es auch andere Rechtfertigungsversuche. Ägypten existiert nicht aufgrund einer Theorie von "Ägyptischheit"  Die jüdische Leidens- und Opfergeschichte wurde seit dem Eichmann-Prozess ganz zentral, wenn es darum ging, Israel gegen seine Kritiker zu verteidigen.

Das richtige Argument, dass ein jüdischer Staat die beste Hoffnung für die Überlebenden des Holocaust sei, verkam allmählich zu einem Vorwand für Israel, im Namen des jüdischen Fortbestands tun und lassen zu können, was es wollte. Seit einiger Zeit können wir die tragische Umkehrung dieser argumentativen Verkürzung miterleben: Der iranische Präsident Ahmadinedschad macht sich einen Spaß daraus, den Holocaust zu leugnen und stellt so die israelische Propaganda auf den Kopf.

Wenn Israels beste Verteidigung Auschwitz ist, dann braucht man nur noch zu sagen, es habe den Holocaust nie gegeben. Weltweit zeigen sich die Juden natürlich entsetzt, doch aus einer israelischen Perspektive wirkt es geradezu bestätigend und ist daher vielleicht nicht ganz unwillkommen.

Wenn wir uns darauf einigen können, dass es das "Jüdische" nicht gibt, stellt sich die Frage: Wie sollen wir den israelischen Staat betrachten? Ganz einfach: Entweder ein Staat existiert oder er existiert nicht. Ägypten oder Guatemala existieren nicht aufgrund einer Theorie von "Ägyptischheit" oder "Guatemalismus". Diese Länder werden international anerkannt, weil es dort ein Rechtssystem gibt und weil sie in der Lage sind, sich selbst zu versorgen und sich zu verteidigen.

Israels Fortbestand hängt also nicht von der Glaubwürdigkeit der Geschichte ab, die es selber über seinen ethnischen Ursprung erzählt. Das Insistieren auf Exklusivität schadet dem Land. Erstens macht es aus allen Nicht-Juden, die in Israel leben, Menschen zweiter Klasse. Doch es gibt noch einen weiteren, hohen Preis zu zahlen: Israel behauptet heute aggressiver denn je, nicht nur für einen jüdischen Staat zu sprechen und zu handeln, sondern für alle Juden. Das macht die Juden weltweit zu unfreiwilligen Komplizen der israelischen Politik. Kein Wunder, dass der Antisemitismus wieder wächst. Wobei er sich gewandelt hat: Konventionelle Neo-Faschisten wie Jean-Marie Le Pen schätzen Israel mittlerweile, schließlich hat man einen gemeinsamen Feind.

Die neuen Antisemiten sind in der Regel junge Männer, die in europäischen Vororten leben und nordafrikanischer, nahöstlicher oder südasiatischer Herkunft sind. Sie sehen im Fernsehen, wie Israelis im Gazastreifen die Palästinenser bombardieren. Ohnmächtig und wütend identifizieren sie sich mit den Ländern oder dem Glauben ihrer Eltern. Am folgenden Tag greifen sie eine Synagoge oder ein jüdisches Schulkind an. Juden in Frankreich oder Holland haben allen Grund, sich vor solch einem Zorn zu fürchten, doch sie haben ihn nicht provoziert. Solch eine Wut kann nicht in Paris oder Amsterdam gezähmt werden.

Juden in Europa und in den USA sollten sich von Israel distanzieren.  Darauf zu beharren, "das Judentum" mit einem kleinen geographischen Territorium in eins zu setzen, ist pervers und schadet sowohl Israel als auch den Juden. Es ist der Hauptgrund dafür, dass das Problem zwischen Israel und Palästina nicht gelöst werden kann.

Der Grund dafür, dass das "Jüdischsein" Israels auf lange Sicht dem Wohlergehen Israels schadet, liegt in den USA. Dort hat jener Geist eine mächtige und reaktionäre "Israel-Lobby" geschaffen, die enorme Geldsummen eintreibt, um Kongressabgeordnete dazu zu bewegen, angeblich "im Interesse Israels" zu stimmen. Diese Lobby zensiert und diskreditiert jegliche noch so milde Kritik an Israel. Das Geld wird beschafft, indem betont wird, wie wichtig die amerikanischen Juden für den Erhalt des jüdischen Staates seien, der, wie ihnen erklärt wird, ihnen Hoffnung und Zuflucht gewährt im Falle eines neuen "extremistischen Antisemitismus". Ich habe viele Juden getroffen, die zwar noch nie in Israel waren, mir aber erklärten, dass sie die Israel-Lobby unterstützen, weil sie das gespendete Geld als eine Art Versicherungspolice gegen "die Rückkehr Hitlers" ansehen.

Was also tun? Eins ist klar: wenn sich nicht bald etwas ändert, wird Israel aufhören, eine Demokratie zu sein, oder es hört auf ein jüdischer Staat zu sein: Nicht-Juden werden schon bald in den Gebieten, die von Israel kontrolliert werden, die Mehrheit stellen. Diese tragische Aussicht könnte nur durch ethnische Säuberung verhindert werden in einer Größenordnung, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen haben.

Ich würde mir ja einen einheitlichen Staat wünschen. Doch sowohl Israelis als auch Palästinenser werden dagegen kämpfen. Die Zwei-Staaten-Lösung wäre vielleicht noch immer der beste Kompromiss, aber es fällt schwer, daran zu glauben, wenn man sich die Geschehnisse der letzten beiden Jahre ansieht.

Ich neige daher dazu, den Fokus auf einen ganz anderen Aspekt zu richten. Wenn die Juden in Europa und in den USA sich von Israel distanzieren würden (viele tun das schon), dann würde die Behauptung, Israel sei "ihr Staat", irgendwann so absurd klingen, als würde die französische Regierung behaupten, die Nachkommen der französischen Siedler in Mississippi Valley zu repräsentieren.

Vielleicht wird irgendwann sogar Washington erkennen, wie sinnlos es ist, die amerikanische Außenpolitik und das eigene internationale Prestige an den Wahn eines kleinen nahöstlichen Ethno-Staats zu binden. Das wäre das Beste, was Israel geschehen könnte. Israel wäre gezwungen, seine Grenzen und seine Begrenztheit zu erkennen. Es müsste neue Freundschaften schließen, möglichst mit seinen Nachbarländern. Ohne seine blauäugigen Verteidiger aus der Diaspora müsste Israel klügere politische Entscheidungen treffen, anstatt seine Freunde moralisch unter Druck zu setzen.

Man könnte dann eine natürliche Unterscheidung treffen zwischen Menschen, die "zufällig" jüdisch, aber Staatsbürger anderer Länder sind, und Menschen, die in Israel leben und "zufällig" jüdisch sind. Die griechische, armenische und irische Diaspora haben auf sehr ungute Art im Land ihrer jeweiligen Vorfahren nationalistische und ethnische Vorurteile bestärkt und perpetuiert. Doch der Bürgerkrieg in Nord-Irland wurde zum Teil beendet, weil ein amerikanischer Präsident seine eigene irisch-stämmige Gemeinschaft in den USA dazu aufforderte, die Aufwendung von Geld und Waffen an die IRA zu unterlassen. Wenn amerikanische Juden damit aufhören würden, ihr Schicksal (und vielleicht ihr Schuldgefühl) mit Israel in Verbindung zu setzen und ihre Spenden für bessere Zwecke verwenden würden, dann könnte etwas Ähnliches im Nahen Osten passieren.

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Der Autor ist Historiker und leitet das Remarque-Institut der New York University.

 

 

 

 

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