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juk
Gerichte und Geschichte: Der Fall Demjanjuk

von Julia Bug

Über Religion und Recht

1941 startete die deutsche Regierung den Krieg gegen die Sowjetunion. Und
während deutschen Landsern Hände und Füße abfroren, begann die massive
Unterdrückung der vom Bolschewismus befreiten Russen und Ukrainer. Die
Auseinandersetzung ging, so der Schriftsteller Ernst Jünger, "ins
Zoologische", wobei Menschen "Wolfsrudeln gleich in ihren Wäldern zur
Ausrottung umstellt" wurden. Ob die Vernichtung von Zivilisten oder
Kriegsgefangenen kurzfristig-ökonomischem Zweckdenken oder völkischem
Vorurteil der Regierung Hitler entsprochen hat, spielt für die Opfer keine
Rolle. Um noch ein wenig Colorit der Zeit zu vermitteln, hier noch eine
Passage von Ernst Jünger (Kaukasische Aufzeichnungen): "russische Gefangene
wurden auf einem Bahnhof durch die fechtende Truppe als Träger requiriert.
Es waren fünfhundert Mann, von denen dreihundertfünfzig an den Wegrändern
umkamen. Von den übrigen starben nach der Rückkunft noch
einhundertundzwanzig an Erschöpfung, so daß nur dreißig zurückblieben."

Im Mai 1942 gerät Iwan Demjanjuk in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er ist
nur einer von Millionen Opfern des Krieges, er ist ein Sklave, der im Kampf
zweier Herren vom einen zum anderen gewechselt wurde. Seine Lage war
unverändert aussichtslos, und wenn er es nicht vorher wußte, merkt er es
nach einigen Tagen ohne Verpflegung. Immerhin gibt es auf deutscher Seite
noch hinreichend ökonomischen Sachverstand, daß "wichtigen" Menschen die
Brotration soweit erhöht wurde, daß das Überleben gesichert war. Demjanjuk
hat die Hungersnöte der Ukraine überlebt, den Terror der Kommunisten, die
Zeit in der Roten Armee (die selbst in Friedenszeiten jährlich Tausende
eigene Tote produzierte) und vermutlich manche Schlacht. So konditioniert
erkennt Demjanjuk schnell, was den Deutschen wichtig ist, er verpflichtet
sich als Hilfswilliger. Was er genau gemacht hat, wird wohl immer im Dunkeln
bleiben. Nach Kriegsende weiß Demjanjuk recht eindeutig wo er nicht hin
will, in die UdSSR nämlich, wo die bloße Tatsache, in Kriegsgefangenschaft
gewesen zu sein, ein Grund für langanhaltende Hinrichtung im sozialistischen
Gulag wäre. Er heuert an, wo das Brot ist, bei den Amerikanern. In den 50ern
siedelt er in die USA.

In der Vita Demjanjuks überrascht vor allem, daß er überhaupt in die USA
gekommen ist. Die Wahrscheinlichkeit, durch Hunger, Folter, Krieg und Terror
seiner jeweiligen Herren umzukommen, war größer als die des Überlebens all
dieses Grauens. Doch Ruhe läßt man ihm nicht. Menschenjäger wollen
herausgefunden haben, daß er zwischen 1942 und 1945 in deutschen
Konzentrationslagern bei der Ermordung anderer Menschen mitgewirkt hat. In
den 80ern wird Demjanjuk nach Israel ausgeliefert, dort in einem langen
Prozeß zum Tode verurteilt, in der Berufung jedoch freigesprochen. Er geht
zurück in die USA, dort interessieren sich wieder Gerichte für ihn, auch
hier erfolgt keine Verurteilung. Den Amis wird die ganze Sache peinlich, sie
wollen Demjanjuk nur noch loswerden, doch wohin? Man erinnert sich, wo
Demjanjuk von den Amerikanern rekrutiert wurde, doch seine Tätigkeit als
Hilfswilliger verleiht ihm keine Aufenthaltsberechtigung für die Freiheit in
Deutschland, lediglich für einen deutschen Knast. Was USA und Israel nicht
gelungen ist, will ein Münchener Gericht nun schaffen: Demjanjuk
"Kriegsverbrechen" nachweisen. So kommt Demjanjuk im Mai 2009 zum zweiten
Mal in deutsche Gefangenschaft. Immerhin liegen "Inhaftierung eins" und
"Inhaftierung zwei" 67 Jahre auseinander.

Die staatstragende "FAZ" berichtet in diesem Zusammenhang, es werde seit
langem gegen einfache SS-KL-Aufseher kaum noch ermittelt. Der entscheidende
Faktor der Beurteilung sei die Position in der Befehlskette. Es war ein
langer Weg zu der Erkenntnis, nicht mehr die Befehlsempfänger und die
Sklaven zu bestrafen, sondern die Befehlsgeber. Schauen wir uns diese
Befehlskette oder Hierarchie genauer an, so steht Demjanjuk sicher unter dem
deutschen SS-Aufseher, der ohne weiteres der Justiz entgeht. Wenn die
deutsche Justiz also die "Hierarchie-Frage" im Falle Demjanjuk aufhebt,
warum nicht gleich weitergehen auf die überlebenden jüdischen Häftlinge?
Wikipedia, Volkslexikon für politisch korrekte und staatstreue
Geschichtsschreibung, bezeichnet das KL Sobibor (in dem Demjanjuk angeblich
Wächter war) als "Vernichtungslager", das heißt anders als Auschwitz, wo
die Gefangenen in Landwirtschaft und Industrie produktiv eingesetzt wurden,
diente Sobibor ausschließlich der Tötung amtlich geschätzter 200.000
Menschen durch die amtlich festgestellte Tötungsmethode "Motorabgase". Wer
also als Gefangener überlebte, kann sich nicht damit herausreden, in der
Landwirtschaft, der Chemie oder Rüstung halt unentbehrlich gewesen zu sein.
Es gab nur einen Zweck des Lagers, Mord. Und somit gab es auch nur einen
Job: Mordhelfer. In einem Vernichtungslager ist jeder Überlebende
zwangsläufig Teil der Vernichtungsmaschinerie gewesen, ein Täter. Wenn ich
also Demjanjuk einbuchte, warum nicht gleich auch die anderen Überlebenden,
die sich sogleich als Zeugen nach vorne drängen, obwohl sie zum Fall nichts
zu sagen haben?

Die Vorstellung, einen Juden, der als Internierter andere Juden zur
Exekution geleitet hat, heute vor einem deutschen Gericht wegen Beihilfe zum
Mord anzuklagen, diese Vorstellung tönt absurd. Kaum weniger absurd ist das
Gerangel um Iwan Demjanjuk.

Worum geht es also wirklich in dieser Justizposse? Wie immer, wenn grober
Unfug und menschenverachtende Zustände herrschen, geht es um Politik. Das
ist 2009 nicht anders als 1942. Zitieren wir aus dem Artikel der "FAZ": "So
will der 82 Jahre alte Thomas Blatt, der beim Aufstand 1943 aus Sobibor
entkommen konnte, im Verfahren als Nebenkläger auftreten; der Zeitschrift
"Spiegel" sagte er, die Welt solle erfahren, wie es in Sobibor war. An
Demjanjuk selbst erinnere er sich nicht." Es geht bei dem Beitrag Blatts
also nicht darum, irgendwelche Erkenntnisse zur Schuld Demjanjuks
beizutragen, denn das gibt er zu, genau das kann er nicht. Der
Forschungsgegenstand "KL-Sobibor", der immerhin bei sehr breiter Auslegung
Prozeßgegenstand sein könnte, unterliegt seit 64 Jahren der
amtlich-politischen Forschung, und was dort abgegangen ist, darf vor Gericht
nicht hinterfragt werden, denn es ist "offenkundig". Blatt darf also
gegebenenfalls seine im Falle Demjanjuk unrelevanten Äußerungen vorbringen,
und da diese mit der staatlichen Wahrheit kompatibel sind, ist jeder
Widerspruch nicht nur zwecklos, sondern auch strafbar. Die Relevanz der
Aussage ist unwichtig, wichtig ist die Show. Deutsche Gerichte machen sich
so zur Bühne der Holocaust-PC-Religion. Denn daß es überhaupt nicht um
Demjanjuk geht, bestätigt Nebenkläger Blatt gerne; "die Welt solle erfahren,
wie es in Sobibor war". Und für so einen Schauprozeß müssen eben Opfer
gebracht werden.

Im Interesse eines möglichst langen Prozesses, indem man die gesamte,
amtliche Geschichte des Holocausts ausbreiten kann, sollte Herrn Demjanjuk
die beste medizinische Versorgung zuteil werden. Vielleicht sponsert die
israelische Regierung ja ein Sauerstoffzelt, so billig gibt es zukünftig
keine PR mehr. Denn wenn die Regierung Merkel zuwege bringt, was die
Regierung Hitler nicht geschafft hat, daß nämlich Iwan Demjanjuk in
deutscher Gefangenschaft stirbt, dann ist die Show vorbei.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Völkermord an Juden, vollzogen
unter deutschen Staatsgewalt, war eine traurige Realität in einem traurigen
Krieg. Ob es die Opfer dieses Völkermordes wirklich begrüßen würden, daß von
der deutschen Staatsgewalt heute Opfer der Holocaust-Religion geschaffen
werden?

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