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Aug 15, 2005
Ein Märchen,
das morgen Wirklichkeit werden könnte
An einem
heißen Sonntagnachmittag im Sommer besuchte eine Familie, Großvater,
Großmutter, Mutter, Vater und der achtjährige Enkel Moritz, den Tierpark von
Schön-brunn. Gar keine so billige Angelegenheit für eine so große Familie,
aber einmal im Jahr konnte man sich das – noch – leisten. Auch einen Kaffee,
vier Mehlspeisen und für den kleinen Moritz ein Getränk und zwei Eislutscher.
Die Tiere
und die Wärter dösten in der Hitze vor sich hin, die meisten Tiere befanden
sich im Freien, und der Kies knirschte unter den Füßen von Hunderten
Besuchern.
Die Luft
war erfüllt vom Summen der Fliegen, dem Lachen der Kinder, den Rufen der
Eltern und manchmal vom fremdartigen Brüllen exotischer Tiere.
Plötzlich
wurde der Lärm geringer und erstarb nach einer Weile völlig. Immer mehr
Menschen hasteten geradezu in Panik den Ausgängen zu. Die Familie des
kleinen Moritz, die auf der Terrasse des Kaffeehauses saß, sah erstaunt und
verwirrt den rennenden Besuchern und Wärtern nach. Großvater rief einem
eilenden Besucher zu: “Was ist denn da los?”
“Ein Löwe
ist ausgebrochen!" rief der und hetzte weiter. Panisches Entsetzen – der
Löwenkäfig befand sich in Sichtweite des Kaffehauses. “Los, weg hier,
nichts wie weg!” schrie kurz entschlossen der Vater, und die Großmutter
meinte noch: “Aber wir haben noch nicht bezahlt!”
“Das ist
egal! Kommt! Schnell!”
Und ohne
daß der eine auf den anderen weiter achtete, rannte die Familie den anderen
nach.
Nicht so
der kleine Moritz. Er war an sich ein etwas ver-träumtes Kind und sah sich
erst einmal um, ehe er den Seinen nachlaufen wollte. Aber von denen verließ
sich einer auf den anderen, wie es auch manchmal in der Politik so ist, und
so merkte man erst beim Ausgang, daß Klein-Moritz fehlte. Aber da war schon
Polizei und Personal und schirmte die Leute ab, wies sie an, schnell
weiter-zugehen und “es gäbe keinen Grund zur Panik”, wie das ja ebenfalls in
der Politik so vorkommt.
Mutter-
und vaterseelenallein stand der kleine Moritz zwischen Löwenkäfig und
Kaffeehaus und wußte nicht, wie ihm geschah. Er hatte auch den Grund des
plötzlichen Aufbruchs nicht begriffen, und als er gar nicht so weit weg
einen riesigen Löwen auf sich zukommen sah – langsam und gemütlich, wie sich
halt ein Löwe in einem Wiener Tiergarten verhält – nahm er zur Vorsicht
einen Spazierstock, den an einem der Nebentische ein Gast zurückgelassen
hatte.
Moritz
kannte Löwen aus dem Fernsehen, wo sie manch-mal Gazellen fraßen, aber im
übrigen nur aus dem Käfig, wo sie ganz friedlich umherlagen. Auch den
Zeichen-trickfilm “König der Löwen” hatte er gesehen, und er war ganz
begeistert davon.
So ging
er denn auf den Löwen zu, den Stock keineswegs drohend in der Hand, und
fragte, “Bist du ein guter oder ein böser Löwe?” Der Löwe knurrte –
eigentlich ganz freundlich -, wedelte mit dem Schwanz und duckte sich. Ihm
kam das Ganze so seltsam vor wie dem Kind, auch er fühlte sich allein und
ohne Nachbarschaft. Seine Freunde saßen nach wie vor hinter Gittern – er
war ganz allein in seinem Käfig gewesen, dessen Tür sich auf einmal ganz
von selbst geöffnet hatte. Den beiden schien die Sache nicht geheuer, und
so drehte sich der Löwe um und ging langsam wieder zu seinem Käfig, Moritz
mit dem Stock ihm nach, und als der Löwe wieder seinen Käfig aufsuchte, ging
ihm der Kleine natürlich nicht nach, sondern blieb an der Käfigtür stehen
und drückte sie zu. Der Löwe legte sich wieder in den Schatten seines
Baumes, und Moritz stand vor dem Gitter und schaute sich das alles an.
Kurz
darauf war die Hölle los. Wärter, Feuerwehrleute, Polizisten zogen einen
weiten Kreis und warteten auf das Einsatzkommando, das kurz darauf auch mit
kugelsicheren Westen eintraf. Zwei bewaffnete und vermummte Beamte sprangen
vor, packten das Kind – das vor Schreck zu weinen begann -, schoben den
Riegel vor und brachten Moritz in Sicherheit. Die Sensation war perfekt.
Dutzende Journalisten und Fernsehteams umlagerten den kleinen Moritz und
seine glückliche und stolze Familie, und Moritz wußte mit der Frage, ob er
ein Held sei oder ob es in seiner Familie Helden gäbe, eigentlich nichts
anzufangen. Er sei bei den Pfadfindern, meinte er, und der Löwe wäre doch
ganz freundlich gewesen usw. Ja, den Stock hätte er bei sich gehabt, aber
das sei schon alles gewesen. Der Löwe sei von allein wieder in den Käfig
gegangen
Niemand
glaubte ihm das, und außerdem wäre es dann auch nicht eine solche Sensation
gewesen. Der Vater – so stellte sich heraus – war nicht einmal beim
Bundesheer gewesen, sondern beim Zivildienst, und der Großvater hätte das
Kriegsende zwar im Bombenkeller erlebt, aber selbst keineswegs aktiv in die
Kampfhandlungen einge-griffen. Der Urgroßvater, ja der - aber der war
lange tot – der sei ein Held gewesen, er habe auch im letzten Krieg eine
Auszeichnung erhalten, eine hohe – “Ritterkreuz” hieß das, glaube ich, und
so etwas hätte man angeblich für Tapferkeit erhalten, zwar nicht im Kampf
gegen Löwen, aber immerhin.
Die
Fragen der Reporter erstarben vor Entsetzen. Die Kameras richteten sich auf
die mehr als kurzen Haare des kleinen Moritz.
Titelseite im Kurier, Standard etc. etc. am nächsten Morgen:
“Schwerbewaffnete
faschistische Bestie prügelt wehrlosen Löwen!”
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