Schon im Versailler Vertrag von 1919 wurde den Deutschen die Alleinschuld am ersten Weltkrieg auferlegt; und Deutschlands Schuld am zweiten Weltkrieg ist geradezu Voraussetzung offizieller Geschichtsschreibung. Darin wird viel vom Leiden anderer Völker an Hand der kriegslustigen Deutschen geschrieben, insbesondere in bezug auf die Judenverfolgung im sogenannten Holocaust.
Kriege verleiten die Menschen zu schrecklichen Greueltaten, aber Geschichte wird bekanntlicherweise von den Siegermächten geschrieben: So werden Deutschlands Kriegstaten als "Verbrechen an der Menschlichkeit" verurteilt, dieselben oder ähnliche Grausamkeiten der Alliierten werden als gerechtfertigte Mittel zum Zweck gepriesen; Rache an den Deutschen nach dem Kriege, soweit nicht gar verschwiegen, wird als gerechte Strafe angesehen.
Dr. Ingrid Rimland gehört zur geringen Zahl mutiger Autoren, die es wagen, gegen den Strom politisch korrekter Geschichtsschreibung zu schwimmen. In ihrer gerade erschienenen Trilogie "Lebensraum" zeichnet sie den Lebensgang zweier Familien über mehrere Generationen auf, der Neufelds und der Epps, die ursprünglich als Angehörige einer Gruppe deutscher Annabaptisten der Einladung Katharinas der Großen, der ursprünglich deutschen Prinzessin und damaligen Zarin von Rußland, folgten und sich in der Ukraine seßhaft machten. Die Zarin stellte ihnen freies Land zur Verfügung, enthob sie der Wehrpflicht und gewährte ihnen eine Art Autonomie, wodurch sie die deutsche Sprache und Kultur weiterpflegen konnten. "Lebensraum" stützt sich auf geschichtlichen Tatsachen, zählt jedoch zur Romanliteratur.
Zeitmäßig ist das Monumentalwerk in drei Abschnitte geteilt: Das erste Buch bringt uns von der Gründung der ersten volksdeutschen Niederlassung in der Ukraine, Apanlee, vor etwa 200 Jahren bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges. Das zweite Buch behandelt die Zeitspanne zwischen den Kriegen, das dritte die Geschehnisse während des zweiten Weltkrieges und dessen Nachwirkungen.
Die Volksdeutschen in Apanlee erfreuten sich einer außerordentlich friedlichen und dauerhaften Verbindung zum Zarenhaus, und sie bewiesen sich als treue Untertanen. Apanlee blüht und gedeiht unter der fähigen Leitung von Peet, dem ältesten Sohn des Gründers Peter Neufeld, und wird bald als Mustersiedlung angesehen, zum großen Neid der Nachbargemeinden. Peet Neufeld und seine Frau Greta nennen ihre Söhne nach den Namen der russischen Zaren Peter, Alexander und Nicholas. Ein freundlicher Besuch eines russischen Prinzens kann nur die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den deutschen Ansiedlern und dem Zarenhaus Romanov bestätigen.
Die Neufelds sind fleißig, erfinderisch, fortschrittlich, machen das Land urbar. Im Gegensatz dazu steht die Familie Epp. Willy Epp und seine Nachfolger sind überaus strenggläubig; von ihnen stammen die Prediger und Kirchenältesten; sie verwerfen allen weltlichen Fortschritt. Die gegensätzlichen Lebensansichten dieser zwei miteinander verstrickten Familien setzt sich wie ein Leitfaden durch alle drei Bände von "Lebensraum" fort, zuerst in Apanlee in der Ukraine, und später in Mennotown, in der Nähe von Wichita, Kansas, in Amerika.
Mennotown, von Jan Neufeld 1874 gegründet, sollte vor der Jahrhundertwende zur Kornkammer Amerikas werden. Durch geschickte Dialogführung hebt Rimland die grundverschiedenen Charaktere der Gründer des amerikanischen Familienzweiges hervor: Lizzy Neufeld, eine geborene Epp, fühlt sich alt, ist pessimistisch, fürchtet sich in und vor der neuen Welt, hat Heimweh nach Apanlee. Im Gegensatz zu ihr ist ihr Sohn Jan optimistisch und sieht der Zukunft voller Zuversicht entgegen.
Die Parallelgeschichte der zwei Familien entwickelt sich wie ein Leitmotif in Amerika und der Ukraine bis zum Vorabend des ersten Weltkrieges weiter. Traditionen, der Glaube an ihren Gott, ethische Werte und Arbeitsgeist werden auf beiden Kontinenten von Generation zu Generation weitergereicht.
Die großen Schlagzeilen von "Gleichheit" und "Gerechtigkeit" haben in Rußland stark Fuß gefaßt. In Apanlee scheint oberflächlich alles in Ruhe, Friede und bester Ordnung zu sein, unterschwelig brodelt es aber mit voller Vorahnung der kommenden bolschewistischen Revolution. Der Übergang ist Rimland meisterhaft gelungen, und gegen Ende des ersten Buches sieht der Leser mit Spannung dem zweiten entgegen.