Kapitel 1
Kriegszerstörung
Die Zerstörung des Reiches durch totale Kriegführung war allein schon genug, ernstliche Zweifel an Deutschlands Fähigkeit aufkommen zu lassen, nach dem Kriege zu überleben.
Niemals zuvor in der Geschichte sind die lebenserhaltenden Resourcen einer Nation so durch und durch zerstört worden. Als er vom Sieg in Europa zurückkehrte, erklärte General Bradley, "Ich kann Ihnen sagen, daß Deutschland bis zum äußersten und vollkommen zerstört worden ist."[1]
Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation hatte die Deutschen gezwungen, bis zum bitteren Ende zu kämpfen, bis ihre Städte in mit Toten angefüllte Trümmer pulverisiert und die Fabriken, Eisenbahnen, Kanäle, Dämme, Starkstromanlagen, Kommunikationsanlagen, Gebäude, Häuser - alle freistehenden Einrichtungen - in Haufen von verbogenen, schwelenden Ruinen verwandelt worden waren.
Der glühende Eifer der Alliierten, alles was deutsch war zu zerstören, war von General Eisenhower mit der Ruhr-Offensive zum Ausdruck gebracht worden.
"Unsere Hauptabsicht," erklärte er, "ist die Eliminierung von so vielen Deutschen wie möglich. Ich erwarte, daß jeder Deutsche westlich des Rheins und in dem Gebiet, das wir angreifen, eliminiert wird."[2]
Die Fähigkeit der Alliierten zu vernichten wurde überwältigend, nachdem der amerikanische Industriekoloß von Friedens- in Kriegsproduktion umgewandelt worden war. Die amerikanische Produktion übertraf bald die aller anderen kriegführenden Teilnehmer zusammengenommen und wurde zweimal so groß wie die Kapazität der dem Untergang geweihten Achsenmächte.[3] Erstaunt über die amerikanische Stärke, bekannte Hermann Göring seinen Gefängniswärtern gegenüber: "Die industrielle Kraft Amerikas ist etwas, das sich niemand im Traum hätte vorstellen können."
Einen Blick auf Amerikas zerstörende Kraft, als es sich dem grausamen Geschäft der Massenherstellung von Tod und Zerstörung verschrieb, gewährt folgende Beschreibung eines Kriegskorrespondenten von der Frontlinie:
Eine verheerende Welle von explodierendem, splitterndem Stahl zerriß die Erde vor uns, und es schien als sei das Ende der Welt nahe.
Die Amerikaner sprengten einen Pfad für ihre Vorwärts-Offensive.
Mann und Tier erzitterten in ihrem Pfad. Ganze Städte bröckelten auseinander. Leben schien von der Szene zu verschwinden. Es war die furchterregendste, zerstörerischste Kraft von Kriegführung, die Deutschland je erlebt hatte. Und es war ein Symbol für das, was kommen sollte, als die 1. US Armee diesen verheerenden Schlag innerhalb der Grenzen Deutschlands auslöste.
1 1/2 Stunden lang bombardierten mehr als 2.000 Bomber und Hunderte von Kanonen die deutsche Landschaft und brachten die Erde vor dieser mächtigen von Menschen hergestellten Kraft zum Tanzen. Wenn die Schweren und Halbschweren im Umkreis von Meilen kein Erdbeben erzeugten, bereitete unsere massierte Artillerie denen da draußen die Hölle. Sie feuerten durchschnittlich alle 15 Sekunden eine Runde und vernichteten jedes erdenkliche Hindernis auf dem Weg. Minenfelder gingen in die Luft, als wären sie von einem elektrischen Strom getroffen worden....
Im Zentrum dieser angsterregenden Szene waren die Deutschen wie eine "menschlicher Mauer" verschanzt. Sie hatten sich in Fuchslöcher eingegraben und befanden sich in den Häusern von "befestigten Städten." Viele starben ohne zu wissen, was ihnen geschehen war.
Ich habe gesehen, wie tapfere Menschen und Tiere manchmal nach einem Erdbeben wie betäubt waren, und ich hätte schwören können, daß es keine Opposition geben würde, wenn die Stunde 0 kam.
Doch, als unsere Tanks und Landser nach dem Sperrfeuer über die Anhöhe gingen, wie in der Schlacht von Verdun, lebten Deutsche immer noch und wehrten sich heftig gegen uns.[4]
Groß wie sie war, die Zerstörung bei den Grundkämpfen verblaßte im Vergleich zu der, die durch unsere gigantischen Luftangriffe angerichtet wurde. Die beiden Atombomben, die auf Japan geworfen wurden, mögen dramatischer gewesen sein, sie konnten aber kaum zerstörender gewesen sein, als die Millionen von Phosphor-, Feuer- und die "großen Bomben", die auf Deutschland fielen. Zum Schluß benutzten wir 11-Tonner, von denen die Besatzungen sagten, daß ihre Flugzeuge über 100 Fuß in die Höhe sprangen, wenn die riesigen 25 Fuß großen Geschosse freigegeben wurden und "eine ungeheure Wolke schwarzen Rauchs und einen Springbrunnen von Schutt" hochschoß, der "die unheimlichen Explosionen der Sechs-Tonnen 'Erdbebenbomben' in den Schatten stellte."
Während des Krieges wurde mehr Gewicht an Bomben auf Berlin geworfen, als auf ganz England. Der Ruin war so groß, daß General Eisenhower sich gezwungen sah zu sagen:
Ich habe während des Krieges gesehen, wie viele große technische Aufgaben gelöst wurden - wie das Räumen des Hafens von Cherbourg - aber ich wüßte nicht, wo ich in Berlin mit dem Wiederaufbau anfangen sollte.[5]
Ein amerikanischer Autor, der bei der ersten Gruppe von Korrespondenten war, die die Erlaubnis hatte, mehr als 24 Stunden in der zerstörten Metropole zu verbringen, schrieb:
Die Hauptstadt des Dritten Reichs ist ein Hügel von hohlen, ausgebrannten Gebäuden. Es ist eine Wüste mit hunderttausend Dünen von Ziegeln und pulverisiertem Mauerwerk. Darüber hängt ein durchdringender Geruch von Tod.....Es ist unmöglich, bei einer Beschreibung die Zerstörung zu übertreiben.....Die Innenstadt Berlins sieht nicht aus wie etwas, das ein Mensch hätte ersinnen können. Bei der Fahrt durch die berühmte Frankfurter Allee, sah ich kein einziges Gebäude, in dem man auch nur ein Geschäft zum Verkauf von Äpfeln hätte einrichten können.[6]
Alle deutschen Städte mit einer Bevölkerung von über 50.000 und viele kleinere, waren von 50 bis zu 80 Prozent zerstört. Dresden, so groß wie Pittsburgh, war vollkommen ausgelöscht und fast alle der 620.000 Einwohner unter den Ruinen begraben.[7] Köln, mit einer Bevölkerung von 750.000 war in eine gigantische Wüste verwandelt worden. Hamburg mit seinen 1.150.000 Menschen wurde durch ungeheure Angriffe vernichtet, wo bei einem die Flammen eine Meile in den Himmel schossen und Hunderttausende von Zivilisten bei Straßentemperaturen von Tausend Grad lebend brieten. Frankfurt am Main, eine Stadt von 500.000, wurde in einen Schutthaufen verwandelt. Alle Städte und Industriegebiete, wie das Ruhrgebiet und das Saarland, wurden verwüstet.[8]
Die Geschichte von Kassel ist typisch für die Tragödie, die andere befiel:
Dreihundertmal rannten die Menschen von Kassel voller Angst zu den Luftschutzkellern, wenn riesige britische und amerikanische Flugzeuge ihre Bomben abwarfen. Bei der ersten schrecklichen Bombardierung, am 22. Oktober 1943, wurden fast 10.000 getötet. Es war zum größten Teil ein Angriff mit Brandbomben, die die ganze Innenstadt in Brand setzten. Tausende wurden durch die Gasdämpfe von großen Haufen brennender Kohle in ihren Luftschutzkellern getötet und wußten nicht, warum sie sich so schläfrig fühlten, und wachten nie mehr auf.
Von der Nacht an wußten sie nie wann, sie wußten nur, daß sie verloren waren. Manchmal bekamen sie nur ein paar Bomben; oft wählten angreifende Geschwader, die Objekte weiter östlich von Berlin nicht erreichen konnten, auf ihrem Weg nach Hause Kassel.
Gelegentlich flogen Schwärme von Flugzeugen direkt über Kassel, und nichts passierte; dann wieder flogen sie darüber hin, und wenn die Menschen in Kassel dachten, sie flögen nach Osten, drehten sie um und kamen zurück, um ihre mächtigen Tonnen von TNT abzuwerfen.
Diejenigen, die in Kassel blieben, kannten alle Tricks. Ständig wurde ihnen ihre Stadt um die Ohren bombardiert. Weniger als 15.000 der 65.000 Wohnungen blieben bewohnbar. Sie lernten, wie sie sich eingraben mußten, wie den Kohlendämpfen, den Feuern zu entgehen. Irgendwie, dachte ich, mit einem Anflug von Stolz, sagte der Bürgermeister: "Und dann kam der letzte Angriff vom 8./9. Mai 1945. Es war bei weitem der größte. Vielleicht an die tausend Bomber, einer der größten Angriffe auf ganz Deutschland, und nur wenige wurden getötet - weniger als 100.
"Und dann, kurz vor Ostern, hörten wir, daß die amerikanischen Armeen kamen und wir wollten Kassel als offene Stadt erklären," sagte Helga Aspen, ein hübsches blondes Mädchen, das trotz allem geblieben war. "Aber," fügte sie bitter hinzu, "das Führerhauptquartier (Himmler) gab den Befehl, sie bis zum letzten Mann zu verteidigen."
Und darum sollte Kassel, von 300 Luftangriffen heimgesucht, das fürchterliche Geräusch von amerikanischem Artilleriefeuer kennenlernen. Sie brachten ca. 6.000 Zivilisten in einem tiefen Bunker im Zentrum der Stadt unter und warteten - während die ungenügenden deutschen Verteidigungseinheiten allmählich zurückgedrängt wurden.
Am 4. April 1945 ergab sich Kassel schließlich mit nicht mehr als 15.000 seiner 250.000 Einwohner noch lebend in der Stadt. Tausende lagen begraben unter den unzähligen Tonnen von Ziegeln, Gestein und verbogenem Stahl, die einmal Wohnungen, Geschäfte und Fabriken gewesen waren.
Das war vor einem Jahr, und es ist nicht übertrieben zu sagen, daß sie noch benommen sind. Nur einige wenige sind aus ihrer Apathie erwacht und werden richtige Führer. Es ist nicht ungewöhnlich eine Person zu sehen, die in hilflose Tränen ausbricht, wenn in einem Gespräch an die Schrecken des Krieges erinnert wird.[9]
Diese umfassende Zerstörung von Städten und Produktionsstätten der am höchsten industrialisierten Nation Europas, war vom rein militärischen Standpunkt aus gesehen erfolgreich; es war jedoch auch ein Angriff auf die Lebensmöglichkeiten von Millionen von Arbeitern, weil die Zerstörung von Fabriken und Maschinen gleichzeitig eine Zerstörung von Arbeitsstellen ist, die elementare Lebensmöglichkeit.
Einige der deutschen arbeitslosen Millionen haben eine vorübergehende Anstellung mit der Räumung des Schutts und ähnliche Arbeiten. Aber echter Wiederaufbau ist unmöglich ohne die Herstellung ungeheurer Mengen von Baumaterial und neuen Maschinen, von denen z.Zt. nichts in Deutschland hergestellt werden kann, weil die erforderlichen Einrichtungen nicht mehr existieren. Es werden Fabriken und Maschinen gebraucht, die Deutschland nicht mehr hat, um Fabriken und Maschinen zu bauen.
Um die deutsche Wirtschaft aus diesem toten Punkt herauszubringen, ist Hilfe von außen nötig. Und inzwischen müssen die Menschen, die nicht in der Lage sind, das Nötige für sich selbst herzustellen, entweder in Massen sterben oder es muß ihnen von außen geholfen werden, bis sie wieder soweit sind, sich selbst helfen zu können.
Anmerkungen
[1] | Associated Press, New York, 3. Juni 1945 |
[2] | J. Kingsbury Smith, Paris, 24. Februar 1945 [INS] |
[3] | Cf. Adress by Donald M. Nelson, Chr. U.S. Production Board, Toronto, Canada, 8. Juli 1943; James D. White, Chicago Daily News [AP], 7. Mai 1945; und Chicago Sunday Tribune, 22. Sept. 1946, reporting statement by Troyer S. Anderson, War Dept. Historian |
[4] | Henry T. Gorrell [UP], Chicago Daily News, 17. Nov. 1944 |
[5] | Associated Press, London, 11. Juni 1945 |
[6] | Eddie Gilmore [AP], Berlin, 9. Juni 1945 |
[7] | United Press, London, 14. Febr. 1945 und Associated Press, London, 5. März 1945 |
[8] | Associated Press, London, 24. März 1945 |
[9] | Jack Bell, Chicago Daily News Foreign Service, Kassel, Deutschland, 15. Mai 1946 |
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