Hier stehen wir an der Wende zweier Zeitalter, entwaffnet, entehrt,
am Abgrunde, mit einer zerbrochenen Tradition, durch eine schurkische Revolution
um alles betrogen, was das Geschick und die Lebensarbeit großer Staatsmänner
uns gegeben hatte, unter dem Gelächter derer, die im In- und Auslande
von den Früchten dieser Revolution zehren. Was 30 Jahre Bismarckscher
Weltpolitik aufgebaut hatten, ist zerstört. Die seit Friedrich Wilhelm
I. entwickelte hohe Form unseres Staatslebens ist zerstört. Die Früchte
eines hundertjährigen Fleißes der Nation sind zerstört.
Wir müssen mehr als je ein anderes Volk wieder von vorn anfangen,
und nur die in uns ruhende Kraft und der ungebeugte Wille geben uns die
Bürgschaft, daß dies auch geschehen wird. Hier ist die Aufgabe
der heranwachsenden Generation: Einen neuen Stil des politischen Wollens
und Handelns aus den neu gestellten Bedingungen des 20. Jahrhunderts herauszuarbeiten,
neue Formen, Methoden und Ideen ans Licht zu schaffen, die . . . sich als
Vorbilder von einem Lande zum andern fortpflanzen, bis die Geschichte der
nächsten Zeit in Formen fortschreitet, deren Ausgangspunkt dereinst
in Deutschland gefunden werden wird. Hier tun sich ungeheure Fernblicke
auf, und dieser Sendung gewachsen zu sein ist die Forderung, welche an
die Jugend, an Sie gestellt wird, die unter den Eindrücken des Weltkrieges
und der Revolution zurechtgehämmert worden sind, die danach hungern,
in die Zukunft schöpferisch einzugreifen, die Zukunft als Aufgabe,
als Ihr Feld zu betrachten . . .
Gewiß, wir haben manches gelernt, was uns während des ganzen
19. Jahrhunderts unbekannt war. Wir haben eine Art selbständigen Handelns
und Entschließens gelernt, die uns vor dem Krieg fremd war, wo jeder
auf das wartete, was irgendwo und von irgend jemand gewollt wurde. Wir
haben ein gutes Stück Sentimentalität verlernt, den Altweiberidealismus
des deutschen Michel, der unter der Knute seiner Feinde ihre guten Eigenschaften
herausfand und ihre Gründe zu verstehen suchte. Jede Stunde unseres
deutschen Unterrichts erinnert peinlich daran, wie es mit diesen weltfremden
Träumereien zur Zeit der Schlacht von Jena stand. Wir haben spät,
aber hoffentlich nicht zu spät ein Stück nationalen Stolzes in
uns entdeckt. Die Bedientengesinnung . . . - vor Höherstehenden, vor
dem Ausland, vor der Gasse. . ., hat sich in den Parteiklüngel zurückgezogen,
dessen. . . Außenpolitik sich ein geprügelter Hund schämen
würde.
Und wir haben endlich etwas gelernt , das ich Ihnen offen nennen will:
Die Fähigkeit zu hassen. Wer nicht zu hassen vermag, ist kein Mann,
und die Geschichte wird von Männern gemacht. Ihre Entscheidungen sind
hart und grausam, und wer da glaubt, ihnen mit Verstehen und Versöhnen
ausweichen zu können, der ist für Politik nicht geschaffen. Er
wird, und wenn er die edelsten Gefühle und Ziele hat, sich und sein
Vaterland nur ins Verderben stürzen. Daß wir als Deutsche endlich
hassen können, ist eins der wenigen Ergebnisse dieser Zeit, die für
unsere Zukunft bürgen könnten.
Nationale Politik ist in Deutschland seit dem Kriege als eine Art Rausch
verstanden worden. Die Jugend begeisterte sich in Masse an Farben und Abzeichen,
an Musik und Umzügen, an theatralischen Gelübden und dilettantischen
Aufrufen und Theorien. Ohne Zweifel werden die Gefühle dabei befriedigt,
aber Politik ist etwas anderes. Mit dem Herzen allein ist noch niemals
erfolgreiche Politik gemacht worden. Und auf den Erfolg kommt es an - sonst
hat diese Tätigkeit überhaupt keinen Sinn. Alle großen
Erfolge staatsmännischer Kunst und kluger Volksinstinkte waren das
Ergebnis kühlen Erwägens, langen Schweigens und Wartens, harter
Selbstbeherrschung und vor allem eines grundsätzlichen Verzichtes
auf Rausch und Szenen.
Bedenken Sie, wie unsäglich einsam Bismarck Zeit seines Lebens gewesen
ist, nur deshalb, weil er allein mitten in dem Deutschland des 19. Jahrhunderts
eine weitreichende, schweigsame und kühle Tatsachenpolitik trieb.
. . Als in seinem Greisenalter jedes Kind die Früchte seiner Arbeit
sah, wurde er in tausend Bismarckkommersen umjubelt, aber wo war die Jugend
unserer Hochschulen in all den Jahren, wo er ganz allein damit rang, das
Deutschland aufzubauen, welches 1914 die Hoffnung haben durfte, den schwersten
Krieg zu bestehen, dem je ein Land in der neueren Geschichte ausgesetzt
war? Hätte ihn sein König und Kaiser nicht gehalten, der ihm
seinen ganzen Einfluß auf die Staatsgeschäfte gegen eine Übermacht
von Feinden zur Verfügung stellte, so wäre er gleich am Anfang
gescheitert, und er würde heute noch Narr und Verbrecher genannt werden,
wie er jahrelang von allen Parteien und allen Ständen genannt wurde.
Die studentische Jugend hat ihn damals mitten in ihrem patriotischen Treiben
nicht besser verstanden als jeder andere.
Und man muß doch auch einmal, gerade heute, die Art der Begeisterung
von 1813 kritisch ins Auge fassen. Wir sind gewohnt, auf diese Zeit der
großen Leidenschaft wie auf den Grundstein von Deutschlands späterer
Größe zu blicken. Aber so hart es ist, es muß doch gesagt
werden: Was hat der politische Rausch dieser Jahre uns eingetragen? Die
Niederlage der Franzosen, gewiß, aber sie war durch die Vernichtung
der großen Armee und den spanischen Aufstand ohnehin gesichert. Blinde
Begeisterung ist es nicht, womit Völker und Staaten geschaffen oder
gerettet werden, weder heute noch in germanischen Urwäldern. Wofür
haben sich die Schillschen Offiziere geopfert? Für England! Wofür
hat unsere Jugend in den Befreiungskriegen gelitten? Für England!
Und wofür arbeitet die völkische Bewegung von heute, blind wie
sie ist und handelt und denkt? Für Frankreich. Nur das unbestechliche
Auge Goethes sah damals das Ziellose der Freiheitsschwärmerei und
ich rate Ihnen, immer und immer wieder sein erschütterndes Gespräch
mit Luden vom November 1813 zu lesen. Die prachtvolle und ebenso törichte
Jugend, die sich hernach an altteutschen Kostümen, altteutschen Redensarten
und Tabakspfeifen, romantischen Festen auf der Wartburg und in Hambach
(mit polnischen Fahnen an der Spitze, weil die freiheitliebenden Polen
damals Deutsche totschlugen!) berauschte - während England durch die
Vernichtung des Mahrattenreiches Indien endgültig unterwarf und seinen
Blick auf das von Spanien abgefallene Südamerika richtete, und die
englische Hochschuljugend über taktische Fragen der Weltpolitik und
Weltwirtschaft zu debattieren begann - diese Jugend war nichts als ein
Stein im Spiel der großen, vor allem der englischen Diplomatie. Sie
wurde losgelassen, als man sie brauchte, und preisgegeben, als sie ihren
Zweck für fremde Mächte erfüllt hatte. Davor schützt
kein Wille, keine Zahl, sondern nur die geistige und taktische Überlegenheit.
Wir hatten keinen wirklichen nationalen Diplomaten, und hätten wir
ihn gehabt, so würde er von der nationalen Bewegung nicht verstanden
und daran gescheitert sein.
Wenn Sie nicht wollen, daß auch die nationale Begeisterung dieser
Jahre nur ein Werkzeug ist in den Händen der ausländischen Diplomatie
und ihrer innerdeutschen Gefolgschaft, dann müssen Sie sich zu etwas
anderem erziehen als zu einer Politik hemmungsloser, romantischer, weltblinder
Leidenschaften. Nicht daß man gegen diese oder jene Macht Lärm
schlägt, sondern daß man sie an politischem Geschick überragt,
hat Bedeutung. Wenn ich heute sehe. . ., was für Versammlungen und
Umzüge stattfinden, was gesungen oder geschrien wird, was für
kindliche Theorien an die Stelle wirtschaftlicher Tatsachen gesetzt werden
sollen, was alles man vor der breitesten Öffentlichkeit treibt und
sagt, was in jedem anderen Lande mit größter Zurückhaltung
erst weltpolitisch durchdacht und dann verschwiegen werden würde,
so möchte ich verzweifeln. Ich frage mich immer wieder, welche feindliche
Macht diese blinde , planlose, alle Tatsachen der Weltlage verachtende
Schwärmerei eines Tages ausnützen und dann preisgeben wird. Gegenüber
all dem, was die heranwachsende Generation. . . will, redet, denkt und
tut, drängt sich mir immer wieder der alte Spruch aus dunklen Jahren
der deutschen Vergangenheit auf die Lippen: "Wehe dem Lande, dessen
König ein Kind ist !"
Wir müssen uns, so hart es uns ankommen mag, dazu entschließen,
Politik als Politik zu treiben, so wie man sie von jeher verstanden hat,
als eine lange, schwere, einsame und wenig volkstümliche Kunst, und
nicht als Rausch oder militärisches Schauspiel. Die meisten von Ihnen
haben Waffen getragen. Ich erinnere Sie daran, daß Politik nichts
ist als eine Kunst des Fechtens mit geistigen Waffen. Sie wissen, was Übung,
Geschick und Kaltblütigkeit hierin bedeuten. Sie wissen, daß
das Geheimnis des Sieges in der Überraschung des Gegners liegt. Wenn
Sie im Zweikampf oder auf dem Schlachtfeld die Methoden Ihrer politischen
Tätigkeit anwenden wollten, vor dem Auge des Gegners die Waffe mit
Geschrei in der Luft schwingen, den Angriff in aller Öffentlichkeit
verkünden und vorbereiten, so wäre der erste Schlag auch schon
der letzte. Über den Erfolg entscheidet die Leidenschaft jedenfalls
nicht. Leidenschaften machen abhängig . . . Wir müssen endlich
lernen, daß große Politik sich ebensowenig im Organisieren
und Agitieren, in Programmen und Gefühlsausbrüchen erschöpft
wie andrerseits in der bloßen Lösung von Wirtschaftproblemen.
Ein kluger Geschäftsmann ist noch kein Politiker - obwohl Politik
die Geschäftsführung eines Staates ist - , aber Trommler und
Pfeifer sind erst recht keine Feldherren.
Die moderne Politik setzt ein außerordentlich hohes Maß von
Übung und Wissen voraus . . . Es kommt nicht auf das Wollen, sondern
auf das Können an, und Können setzt die Beherrschung des Gebietes
voraus, auf dem es sich betätigen soll. Es ist ein verhängnisvoller
Irrtum, der durch tägliches Lesen von Zeitungen und noch viel mehr
durch die Masse ausnahmslos flacher und alberner Parteischriften erzeugt
wird, zu glauben, daß ein jeder Politik verstehe und machen könne,
wenn er nur die richtige "Gesinnung" habe. Der Wahlspruch des
19. Jahrhundert: "Die Politik dem Volke" hat Schwärmer und
Schwätzer erzogen, aber die Staatsmänner um ihr Gefolge gebracht
. . .
Der Fascismus hat es . . .verstanden, sich mit maßgebenden Mächten
der Wirtschaft rechtzeitig zu verständigen, weil es ihm auf den Erfolg
und nicht auf Programme und Paraden ankam. Andernfalls wäre er an
den Tatsachen bald gescheitert. Deutschland liegt mit seinen sechzig Millionen
Einwohnern mitten in einer Welt von 1500 Millionen (1924). Es hat keine
natürlichen Grenzen. Es kann weder auf Absatz noch Rohstoffe noch
Lebensmittelimport verzichten. Sein Schicksal ist von dem Gesamtschicksal
nicht zu lösen. Es kann aktiv oder passiv sein, aber es ist in keinem
Fall eine Angelegenheit für sich. Mit dem Verzicht auf einen weltpolitischen
Horizont, mit dem Verzicht auf Fühlungnahme mit weltpolitischen Faktoren,
was eine gleiche Höhenlage der Erfahrung , Überlegung und Taktik
voraussetzt, schwinden alle Aussichten der nationalen Bewegung, geben Sie
sich darüber keinem Zweifel hin. Sie können dann auch weiter
den Karren ziehen, in dem Glauben ihn zu lenken, aber Sie werden das Schicksal
Deutschlands, eine Provinz, eine Kolonie der Westmächte zu werden,
damit besiegeln.
Ich höre täglich Gespräche, die mich erschrecken, naive
Vorschläge zu grundlegenden Wirtschaftsreformen von jungen Leuten,
die nie ein Hüttenwerk gesehen und nie eine Abhandlung über modernes
Kreditwesen gelesen haben; Ideen über Verfassungsreformen ohne die
geringste Vorstellung davon, wie heute ein Ministerium aufgebaut sein muß,
um arbeiten zu können, und was alles zu seiner geschäftlichen
Leitung gehört. Niemand studiert die Praxis großer Staatsmänner
wie Bismarck, Gladstone, Chamberlain und in Gottes Namen auch Poincaré,
ihre Art, in der kleinen zähen Arbeit des Tages unscheinbare Erfolge
zu erzielen, deren Gesamtergebnis dann doch im Schicksal ihres Landes Epoche
macht . . .
Aber wir brauchen ein beständiges Nachdenken unserer Jugend und nicht
nur ein Nachdenken, sondern ein ernstes und gründliches Durcharbeiten
der großen Verhältnisse der gegenwärtigen Weltwirtschaft
und Weltpolitik, und zwar an der Hand von Daten und Tatsachen. Wir können
keine deutsche Frage lösen, es sei welche sie wolle, wenn wir nicht
genau wissen, in welche Beziehung sie sofort zu den politischen Kombinationen
in England, in Rußland, in Amerika tritt, und diese Fühlungnahme
sollte über das Wissen zu praktischen Beziehungen weitergehen, was
auf unserer Seite Persönlichkeiten von entsprechender Stellung und
Erfahrung voraussetzt, die zu gewinnen, die nationale Bewegung bis jetzt
verschmäht hat.
Unser Aufstieg hängt davon ab, daß wir dem Ausland an politischen
Methoden gewachsen sind, wie es auf dem Gebiete der Technik und wirtschaftlichen
Organisation der Fall ist, und nicht davon, daß wir es als nicht
vorhanden betrachten. Und dasselbe gilt von den internationalen Mächten
innerhalb Deutschlands, die mit den Schlagworten Marxismus und Börse
gemeint sind. Man kann ihre Auffassungen widerlegen, aber man schafft sie
damit nicht ab. Ob jemand recht hat oder unrecht, darauf kommt in der Geschichte
nicht viel an. Ob er dem Gegner praktisch überlegen ist oder nicht,
entscheidet über den Erfolg . . .
Und damit komme ich zum Schluß: Wir Deutsche gewöhnen uns schwer
daran, Politik nicht für den Ausdruck von Gefühlen und Meinungen,
sondern für eine hohe Kunst zu halten, weil unsere Vergangenheit uns
keinen Anlaß zu Erfahrungen gab. Lernen wir das aber nicht jetzt,
so fürchte ich, daß auch die Zukunft uns keinen Anlaß
mehr geben wird. Es ist die heilige Pflicht der jungen Generation, sich
für Politik zu erziehen. Da wir nicht in der glücklichen Lage
Englands sind, das seine jungen Leute früh und in praktischen Stellungen
in alle Erdteile hinaussendet, so bleibt uns nur das Studium dieser Dinge
an der Hand geschichtlichen Materials, aber das sollte mit doppeltem Ernst
getrieben werden.
Ich rate der Jugend, alle begeisterten Programme und Parteischriften aus
der Hand zu legen und einzeln oder zusammen planmäßig die diplomatischen
Akten der letzten Jahrzehnte zu studieren, wie sie etwa in den Veröffentlichungen
aus deutschen Archiven oder in englischen Blaubüchern vorliegen, die
Schriftstücke zu vergleichen, sich über Zwecke, Mittel und Erfolge
ein Urteil zu bilden und so in die moderne staatsmännische Praxis
einzudringen; die Reden und Briefe großer Politiker, die Denkschriften
der besten Kenner der heutigen Weltwirtschaft . . . sorgfältig durchzugehen,
um sich zunächst ein Urteil über die Lage, die Methoden, die
Bedeutung der handelnden Persönlichkeiten zu bilden, woraus sich dann
wohl für den einzelnen ergeben wird, wie es um seine eigene Begabung
auf politischem Gebiete steht. Berufen ist man heute nicht dadurch, daß
man sich und andere begeistern kann, sondern lediglich durch Eigenschaften,
die denen des Gegners ebenbürtig sind. Auch für den Geringsten
findet sich noch eine Aufgabe. Es gibt Tugenden für Führer und
Tugenden für Geführte. Auch zu den letzten gehört, daß
man Wesen und Ziele echter Politik begreift - sonst trabt man hinter Narren
her und die geborenen Führer gehen einsam zugrunde.
Sich als Material für große Führer erziehen, in stolzer
Entsagung, zu unpersönlicher Aufopferung bereit, das ist auch eine
deutsche Tugend. Und gesetzt den Fall, daß in Deutschland in den
schweren Zeiten, die uns bevorstehen, starke Männer zum Vorschein
kommen, Führer, denen wir unser Schicksal anvertrauen dürfen,
so müssen sie etwas haben, worauf sie sich stützen können.
Sie brauchen eine Generation, wie sie Bismarck nicht vorfand, die Verständnis
für ihre Art zu handeln hat und sie nicht aus romantischen Gefühlen
ablehnt, eine ergebene Gefolgschaft, die auf Grund einer langen und ernsten
politischen Selbsterziehung in die Lage gekommen ist, das Notwendige zu
begreifen und nicht, wie es heute ohne Zweifel der Fall sein würde,
es als undeutsch zu verwerfen. Das, diese Selbsterziehung für künftige
Aufgaben ist es, worin ich die politische Pflicht der heranwachsenden Jugend
sehe . . .