Ein knappes Vierteljahr später erläßt die finnische Regierung eine Einladung an deutsche Segelflieger, um das finnische Volk mit dem Segelflug vertraut zu machen. Die Expedition wird von Graf Ysenburg geleitet. Neben anderen prominenten Segelfliegern gehört auch Hanna Reitsch zu den Eingeladenen.

Hanna und ihre Kameraden sind zutiefst beeindruckt von der unendlichen Weite der finnischen Landschaft mit seinen dunklen Wäldern und den unzähligen Seen. Und ebenso vom finnischen Volk. "Schweigsam. stolz, wahrhaftig und gewissenhaft, vor allem aber gesund," beschreibt sie diese Menschen.

Ihre Schüler sind Zivilisten und Soldaten. Hanna widmet sich ihrer Aufgabe mit ihrem üblichen Enthusiasmus und Pflichtbewußtsein. Jede freie Stunde steht sie außerhalb der Lehrzeiten ihren Schülern zur Verfügung. In Finnland verläuft alles glatt. In der ganzen Zeit kein Unfall, kein Absturz!

Vom Luftfahrtministerium wird Hanna eine Auszeichnung angetragen. Doch auf Dekorationen legt sie keinen besonderen Wert. Statt dessen erbittet sie sich die Teilnahme an der Verkehrsfliegerschule in Stettin, um auch das Fliegen mit großen Maschinen zu erlernen.

Die Schule für Verkehrsflieger wird straff männlich, fast militärisch geführt. Einem Mädchen scheinen hier wenig Chancen offenzustehen. Die Ordnung ist in der Tat so stramm soldatisch, daß Hanna bei jedem Schritt Angst hat, alles falsch zu machen. Und genau das tut sie auch. Es gibt Anpfiffe, es gibt sogar Strafexerzieren. Sie hat den Eindruck, daß man einen Grund sucht, sie nach Hause zu schicken. Mehr aus Schalk als aus Böswilligkeit hecken Offiziere wie Mannschaften ständig etwas aus, um sie irgendwie reinzulegen. Doch sie nimmt nichts übel und zeigt ihr stets gleichbleibendes Gemüt. So kommt sie letzten Endes gut mit ihren Fliegerkameraden aus. Die spartanisch strenge Disziplin in diesem Betrieb hatte auch durch die Anwesenheit einer jungen Frau nicht gelitten. Alle merken, daß sie sich mit dem gleichen Ernst und der gleichen Hingabe dem Fliegen verschrieben hat wie sie.

Vor Abschluß des Lehrgangs hat sie noch ein ebenso peinliches wie belustigendes Erlebnis. Nach einem Kunstflug mit ihrem Fluglehrer im Doppeldecker "Stieglitz" fordert er sie auf, es anschließend allein zu versuchen. Glücklich über dieses Vertrauen tollt sie sich in allen erdenklichen Kapriolen: Loopings, Turns, Rollen nach Herzenslust. Sturzflug, dann wieder steil nach oben, bis es ihr plötzlich schlecht wird. Auf gar keinen Fall will sie die Maschine verschmutzen. Die Sticheleien ihrer Kameraden hätten kein Ende gefunden. In ihrer Verzweiflung nimmt sie erst ihren linken, dann als der Brechreiz unvermindert anhält, auch den rechten Handschuh als "Abfalltüte" zu Hilfe. Rauswerfen kann sie die fatalen Dinger nicht. Ein Finder hätte sie garantiert als die ihren erkannt. Kurz entschlossen steckt sie sie in ihre Manteltaschen. Nach der Landung geht sie frisch und unbekümmert und nun wieder mit Appetit zum Kasino, wo Berge von Kuchen auf sie warten. Ihren Mantel hatte sie im Flur aufgehängt. Alle Anwesenden blicken sie erwartungsvoll an. Sie freuen sich schon auf den Spaß, daß sie nach diesem tollen Flug doch noch "madig" geworden sein muß. Aber Hanna tut als sei nichts vorgefallen und langt munter zu.

Als der Kommandeur in Begleitung einiger Offiziere den Raum betritt, setzt es einen gehörigen Anpfiff: "Welch ein entsetzlicher Gestank im Flur! Sofort für Beseitigung sorgen!" Stillschweigend macht Hanna sich bei der ersten besten Gelegenheit mit ihrem Mantel aus dem Staube. Erst bei der Abschiedsfeier beichtet sie ihren Kameraden diese Geschichte, die natürlich ein unbeschreibliches Gelächter auslöst.

Ihren ersten Nachtflug führt Hanna mit der Motormaschine He 46 aus. Er verläuft ohne Zwischenfälle. Anders geht es bei ihrem Flug über Genf, Lyon, Avignon nach Lissabon zu, wo im Mai 1935 die "Festivas Lisboa" stattfinden. In diese Festspiele soll auch ein internationaler Flugtag und dabei zum ersten Male ein Segelflugzeug eingeschoben werden. Hanna soll Deutschland im Segelflug vertreten. Mit einem Segelfliegerkameraden startet sie in einer kleinen Sportklemm. Deutschland hatte gerade die Allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, und die internationale Lage ist gespannt. Hanna ist sich bewußt, daß ein gutes Abschneiden bei den Festspielen und auch ein reibungsloser Anflug durch die Nachbarländer unbedingt wichtig sind. Die deutsche Teilnahme soll zum friedlichen Völkerverständnis und zu internationaler Fliegerkameradschaft beitragen.

Doch eine unfreiwillige Zwischenlandung auf einem Militärflughafen in der Nähe von Lyon wird ihr beinahe zum Verhängnis. Trotz strengen Verbotes hatte ihr Fliegerkamerad (seinen Namen verschweigt sie fairerweise) eine Leica in seinem Gepäck mitgeschmuggelt. Sie werden vom französischen Flugplatzkommandanten als Spione angesehen und entsprechend hart behandelt. Erst durch einen deutschfreundlichen jungen Franzosen gelingt es, heimlich mit dem deutschen Konsul in Lyon Verbindung aufzunehmen. "Wir Jungen," sagt der unerwartete Helfer, "verstehen Euch, die Ihr jung seid in Deutschland. Diese da sind alt und blind."

In der Nähe von Avignon, wo eine weitere Zwischenlandung stattfindet, sehen sie am Horizont den deutschen Zeppelin auftauchen. "Kein Deutscher, der sein ruhiges majestätisches Dahinziehen in fremdem Land erlebt hat," schreibt Hanna, "wird diesen Anblick vergessen können, auch nicht das Gefühl des Stolzes und Beglücktseins in der Verbundenheit des gemeinsamen Vaterlandes."

Die Flugtage in Lissabon werden ein voller Erfolg für Veranstalter, Teilnehmer und Besucher. Von den sich auf den Straßen abspielenden bunten Szenen verdient ein spannungsgeladenes Begebnis festgehalten zu werden. Das Tragen von langen Hosen war in Portugal für Frauen streng verpönt. Als Hanna einmal im Fliegerdress nichtsahnend auf die Straße geht, wird sie plötzlich von zwei "Landsknechten" gestellt und festgenommen.

Man führt sie in eine Art Gefängnis und anschließend vor ein Richtertribunal in einem großen Zelt. Zuerst ergreift ihr Verteidiger das Wort. Er hält eine Lobrede auf die berühmte deutsche Fliegerin. Noch immer ist Hanna sich nicht sicher, ob hier Ernst oder Scherz gespielt wird. Dann spricht der Richter. Und jetzt wird ihr klar, daß hier ein Schauspiel abläuft. Der Richter wendet sich nicht allein an Hanna Reitsch. "Sein Lob galt vor allem Deutschland, den deutschen Menschen, die nach einem verlorenen Krieg Tatkraft und Mut zu neuem Aufstieg gefunden hatten. War es ein Wunder, daß ich mich glücklich und stolz fühlte?" Auf seine Aufforderung muß sich dann das Publikum erheben, um das deutsche Volk und Hanna Reitsch als Fliegerin zu begrüßen. Und als sie das Zelt verläßt, wird ihre Hand fast lahm von all dem Drücken und Schütteln.

Ein Flieger für Zivil- und Militärmaschinen


Als Angehörige des von Hans Jacobs geleiteten Instituts für Segelflug findet Hanna sich 1936 in der Rolle des Einfliegers. Wieder einmal war ein Zufall am Werk gewesen. Der für diese Aufgabe vorgesehene Ludwig Hoffmann war durch eine plötzliche schwere Erkrankung verhindert. Hanna fühlt sich zwar auf dem Gebiet der technischen Konstruktion gänzlich unerfahren. Dafür verfügt sie jedoch um so mehr über Fluggefühl und genaue Beobachtungsgabe, ganz zu schweigen von ihrem Interesse und ihrer Begeisterung.

Der Einflieger muß ein in seinen Flugeigenschaften und seiner Flugsicherheit noch unbekanntes Flugzeug bis an die äußerste Grenze seiner Leistungs- und Belastungsfähigkeit erproben. Das erfordert begreiflicherweise nicht nur ungewöhnlichen Mut, sondern darüber hinaus ein systematisches Durchspielen aller zu erwartenden Flugmanöver. Dazu ein lückenloses. genaues Aufzeichnen sämtlicher durch Auge, Ohr und Gefühl wahrnehmbarer Reaktionen des Flugzeuges. Die hohe Zahl der oft tödlichen Unfälle redet eine beredte Sprache über den gefahr- und opfervollen Beruf des Einfliegers.

In dieser nervenaufreibenden Zeit, als Hanna mehr als einmal ihr Leben in die Schanze schlägt, erhält sie jeden Morgen einen Brief ihrer Mutter. Wie alle Mütter bangt sie um das Leben ihres Kindes, obwohl sie weiß, daß Hanna nicht leichtsinnig ist. Sie möchte aber auch verhindern, daß ihre Tochter durch ihre unbestreitbaren Erfolge der Gefahr der Eitelkeit erliegt. Und noch etwas anderes drückt sie in ihren am späten Abend geschriebenen Briefen aus: Daß jeder Versuchsflug dem Leben anderer und dem Namen Deutschlands dient!

Es naht ihre bisher schwerste und gefährlichste Prüfung. Nach anfänglichen hochriskanten Versuchen des Sturzflugs hatte Hans Jacobs zur Stabilisierung der Maschine spezielle Bremsklappen entwickelt. Der nächste Test mit diesen "Bremsen": ein senkrechter Sturz aus 6.000 m Höhe! Kein Mensch wird in solchen Augenblicken frei von Angst und Zweifel sein, ob die Maschine dabei diesem ungeheuren Druck standhalten wird und nicht auseinanderfällt. Hanna bezwingt diesen Anflug von Furcht. Wieder und wieder setzt sie zum Sturz in die Tiefe an. Beim letzten Versuch stürzt sie senkrecht aus einer Höhe von 3.000 m, und erst 200 m über dem Boden fängt sie die Maschine ab und landet. Das Blut hämmert ihr noch in den Schläfen.

Diese Versuche mit Sturzflugbremsen werden namentlich für die junge deutsche Luftwaffe von grundlegender Bedeutung. Die neue Erfindung wird Ernst Udet, General v. Greim und anderen Generalen der Luftwaffe auf dem Flugplatz von Darmstadt-Griesheim vorgeführt. Hanna wird nach den gelungenen Vorführungen von Udet zum Flugkapitän ernannt, das erste Mal, daß dieser Titel einer Frau verliehen wird.

Nach der triumphalen Überquerung der Alpen von fünf deutschen Segelfliegern, darunter auch Hanna Reitsch in ihrem "Sperber Junior", wird sie im September 1937 von Ernst Udet an die Flugerprobungsstelle für Militärmaschinen nach Rechlin berufen. Ihr Auftrag ist, mit den neuen Bremsvorrichtungen ausgestattete Kriegsflugzeuge auszuprobieren. Sie ahnt damals noch nicht, daß sie für die folgenden Jahre unauslöslich in die Militärfliegerei einbezogen wird. Die Erprobung von Stukas, Bombern, Jagdmaschinen usw. wird für sie eine patriotische Aufgabe, die sie als größere Ehre empfindet als Titel und Auszeichnungen.

Doch auch hier spürt sie zunächst wieder die schlecht verhohlene Ablehnung des "stärkeren Geschlechts". Nicht nur wegen ihres überlegenen Könnens, sondern seltsamerweise auch wegen ihres selbstlosen Idealismus.

Wer ihr heute vorwerfen möchte, daß sie damit zur "Vorbereitung eines Angriffskrieges" beitrug, sollte ihre eigenen Worte beherzigen: "Wir jungen Menschen wollten den Frieden, aber den gerechten, der uns leben ließ. Das deutsche Volk wollte ihn, auch wenn es die Welt heute nicht mehr wahrhaben will. Ein Volk, das in der Mitte zwischen anderen Völkern einen engen Wohnraum hat und jetzt, nach den Jahren der Armut und Unsicherheit, wieder Brot sah und einen Aufstieg erlebte und wußte, daß in der Welt stets der Schwache bedroht sein wird, und weil es glaubte, wie alle ein Recht auf Schutz zu haben, sah es in der wehrmässigen Erstarkung ein Erstarken seiner Kraft und die Möglichkeit, den Frieden zu wahren. Welches andere Volk in der Welt hätte dabei nicht berechtigten Stolz empfunden?" ... 'Wenn Du den Frieden willst, sei für den Krieg vorbereitet' "So sah ich sie, ohne daß ich an dieses Wort der Römer gedacht hätte: die Stukas, die Bomber, die Jäger - Wächter vor den Toren des Friedens.

Und so flog ich sie, jeden Flug mit dem Gefühl, mit meiner Vorsicht und Zuverlässigkeit jene zu schützen, die nach mir als Piloten in der Kanzel sitzen würden, und daß wiederum jeder einzelne von ihnen allein durch sein Dasein jenes Land schützen würde, das ich eben im Flug unter mir sah: Land mit Äckern und Feldern, mit Bergen und Hügeln, Wäldern und Wassern. Land, das es auf der Erde vielleicht großartiger gab und doch nur dieses eine für mich, weil es meine Heimat war. War es nicht wert, dafür zu fliegen?"

So mußten sich auch in Rechlin jene, denen "Weiber" ein Greuel waren, an ihr Wirken gewöhnen. Leistung imponierte letztlich immer.

Bei den exotischen, unter dem Reklamewort KISUAHELI stattfindenden Festlichkeiten im Februar 1938 in Berlin stand auch Hannas Name als letzte Nummer auf den Plakaten: "Hanna Reitsch fliegt den Hubschrauber." Vor diesem grellen Hintergrund, inmitten von allerhand Varieteevorstellungen schien manchem ihr Auftreten eines Flugkapitäns unwürdig zu sein. Doch es handelte sich dabei - die Idee kam von Udet - um eine sehr ernsthafte Angelegenheit. Zum ersten Mal in der Welt sollte in der Deutschlandhalle ein Hubschrauber vorgeführt und gezeigt werden, daß diese Lösung von Deutschen gefunden worden war (entwickelt von Professor Focke in Bremen).

Nach den ersten, von Karl Franke aus Rechlin und Hanna durchgeführten Versuchsflügen mit dem noch gänzlich unbekannten Hubschrauber stattete der berühmte amerikanische Flieger Charles Lindbergh, bekannt durch seinen wagemutigen Transatlantiksoloflug, Deutschland einen Besuch ab. Dieser sympathische, schlicht-natürliche Mann nannte den ihm vorgeführten Hubschrauber sein bisher stärkstes technisch-fliegerisches Erlebnis.

Vor ihrem Auftritt treten noch einmal alle Widersacher gegen diese "billige Revue" auf den Plan. Auch Hannas Eltern sind zunächst ehrlich entsetzt, daß ihre Tochter in einem Milieu von Clowns, Fakiren und Seiltänzern erscheinen soll. Aber der Gedanke, durch ihren Flug mit dem Hubschrauber, den Namen DEUTSCHLAND groß auf dem Rumpf, das Ansehen ihres Landes zu heben, läßt sie ihre Abneigung überwinden. "Denn meine Eltern liebten Deutschland mit der Innigkeit von Menschen, die - der Welt gegenüber großzügig in Auffassung und Geist - in der Heimat den Widerhall ihres eigenen Herzens fanden und ihr zugetan waren, wie Kinder es natürlicherweise Vater und Mutter gegenüber sind. Der Dienst an diesem Vaterland war ihnen deshalb eine so hohe Pflicht, daß sie ihn ganz in den Vordergrund stellten. Diese Einstellung gab den Ausschlag."

Die Berliner sind anfangs - nach den Schlagworten der Reklame von "300
Sachen" - vom langsamen Hubschrauber enttäuscht. Doch die Erregung und Bewunderung aller Fachleute pflanzt sich schließlich auch auf das breite Publikum fort. Zudem gibt es ein erfreuliches Echo in der Presse aus aller Welt. "So wurde die Vorführung des Hubschraubers zuletzt doch noch, was sie hatte werden sollen: Ein Lob deutschen Geistes und deutscher Technik. Der Flug in der Deutschlandhalle war eine geschichtliche Festlegung des Anspruchs auf ein Erstrecht."

Flüge in Amerika und Nordafrika


August 1938. International Air Races in Cleveland, Ohio. Ernst Udet, der die Amerikaner schon bei früheren Veranstaltungen mit seinem Können begeisterte, soll wieder dabei sein. Doch er ist dienstlich verhindert und schlägt daher seinen amerikanischen Freunden vor, an seiner Stelle Hanna Reitsch herüberzuholen. Neben Hanna gehen noch zwei deutsche Fliegerkameraden, Graf Hagenburg und Emil Kropf mit nach Amerika.

Wie so viele Bekannte sind auch Hannas Eltern besorgt, daß ihre Tochter als Europäerin in diesem wesensfremden Land Schwierigkeiten haben wird. Nur Ernst Udet ist anderer Meinung. Mit seinem Humor und seiner Ursprünglichkeit, neben seinem als früherer Kunstflieger ausgesprochenen Sinn für "publicity" , hatte er sich bei den sportbegeisterten Amerikanern immer wie zu Hause gefühlt. Auch Hanna ist von dem Erlebten und der Freundlichkeit der Amerikaner beeindruckt. (Was sie, wie jeder Kurzbesucher nicht wissen kann, ist, daß amerikanischer Beifall und Ekstase zumeist Eintagsangelegenheiten sind). Den amerikanischen Humor erlebt sie schon in den ersten Tagen ihres Aufenthalts, als den deutschen Fliegern zu Ehren ein Empfang in New York gegeben wird.

Da Hanna von den drei Deutschen das beste Englisch spricht, fällt ihr die Rolle zu, sich für all die Reden und Trinksprüche zu bedanken. In ihrer lebhaften Art sprudelt sie ihre Begeisterung für Amerika heraus. Sie kommt mehr und mehr in Fluß und endet zuletzt mit einem bei ihrer Ankunft von den Hafenarbeitern immer wieder gehörten Wort: "What the hell goes on..." Die Wirkung ist wie eine Bombe. Donnerndes Lachen und rasender Beifall! Denn was sie nicht wußte - dieser Ausspruch war einfach nicht "ladylike"!

Bei den "Air Races" findet ein für die deutsche Mannschaft beinahe tödlicher Unfall statt. Graf Hagenburg, ein vorzüglicher Kunstflieger, wird beim Rückenflug in Bodennähe plötzlich durch eine Böe nach unten gedrückt. Die Maschine überschlägt sich beim Aufprall in einer Riesenstaubwolke. Atemlose Stille, die Musik bricht ab, Fahnen gehen auf Halbmast. Doch den Trümmern entsteigt plötzlich - Graf Hagenburg. Er läßt seine Verletzungen von Sanitätern verbinden, steigt in eine andere Maschine und fliegt weiter (wie Frh. v. Wangenheim bei der Olympiade 1936 in Berlin trotz Schlüsselbeinbruch weiterritt und damit den Sieg der deutschen Military-Mannschaft sicherte!). Graf Hagenburg ist mit einem Schlag der populärste Mann der Veranstaltung. Nichts hätte größere Bewunderung hervorrufen können.

Nach dem Zielabspringen mit Fallschirmen muß Hanna zum Schluß der Veranstaltungen den von Hans Jacobs konstruierten "Habicht" vorführen, das ein Segelflugzeug, mit dem man Kunstflüge ausführen kann. Es war nicht einfach, nach dem Donnern und Heulen der Motoren auf dem Abstellen aller störenden Geräusche zu bestehen. Denn der lautlose Segelflug kann in seiner Schönheit nur in Abwesenheit allen ablenkenden Lärms empfunden werden. Einen größeren Gegensatz als den zwischen dem lautlosen Flug des schimmernden schlanken Vogels und dem vorhergegangenen Dröhnen der Hochleistungsmotoren konnte es nicht geben. Hanna fliegt alle nur möglichen Kunstflugfiguren und landet schließlich mitten im Zielkreis unter dem tosenden Jubel der Menge.

Alle folgenden Einladungen des gastlichen Landes müssen abgesagt werden, da die deutsche Mannschaft wegen der Krise in der Tschechoslowakei telegraphisch zurückgerufen wird.

Im Februar 1939 startet abermals eine Segelflugexpedition unter Prof. Georgii. Diesmal geht es in das italienische Nordafrika. Die Expedition hat strenges Verbot, in die Wüste zu fliegen. Die Teilnehmer müssen sich an die alten Karawanenstraßen halten. Aber es bleibt nicht aus, daß sie den Saum der Wüste streifen. Hanna ist fasziniert von der Unendlichkeit des Sandmeeres unter ihr. Einmal bekommt sie den Auftrag, eine der mitgeführten Motormaschinen nach Garian zu verlegen, einem westlich Tripolis in Richtung Tunis gelegenen Ort. Beim Start ist der heiße afrikanische Himmel wolkenlos. Stundenlang genießt sie beim monotonen Summen des Motors die wie tote, flimmernde weiße Fläche unter ihr. Noch immer kein Wölkchen am Himmel.

Da, wie urplötzlich ein grelles Fanal am Himmel, der sich in Minutenschnelle schwefelgelb färbt. Fast im gleichen Augenblick setzt der Sturm ein. Die Wüste ist in Aufruhr. Sturmfluten von Sand werden hochgejagt, greifen nach dem Motor und dem Gesicht des Piloten. Bald sind Nase, Ohren und Augen mit feinem Flugsand verstopft. Der Motor fängt an zu stottern, und plötzlich streikt er ganz. Im Gleitflug geht es inmitten der wirbelnden Sandmassen nach unten. Zu Hannas Glück auf einen Platz, der nicht mehr weit von Garian entfernt ist. Am nächsten Tag herrscht wieder Stille. Auch die anderen Maschinen und Transportwagen treffen ein. Über der Wüste dehnt sich wie zuvor der seidenblaue Himmel.

Ihr für eine Frau bedenklichstes Abenteuer erlebt sie nach einem mehrstündigen Segelflug in Buerat el Sun, wo sie von der Dunkelheit überrascht wird. Zwei plötzlich auftauchende Karabinieri bieten ihr Schutz in einer nahen Steinhütte an. Zunächst beobachten die beiden mit südländischem Charme die einer Dame gegenüber angebrachten Formen. Aber mit dem Fortschreiten der Nacht nimmt das italienische Temperament zunehmend Überhand über die männliche Ritterlichkeit. Hanna muß ihre bei ihren Flügen so oft erprobte Geistesgegenwart einsetzen. Ihr ständiger Redestrom, ein Gemisch aus italienischen, französischen und lateinischen Brocken, vermag nicht länger die immer deutlicher werdenden Aggressionsgelüste der beiden Männer abzuwehren. Nun erzählt sie ihnen, daß sie zu Marschall Balbo weiterfliegen muß. Sie lobt ihr vorbildliches Betragen und verspricht, es bei Balbo vorzubringen. Sicherlich wird er sie dafür mit einem Orden beehren. Das Zauberwort "Orden" versetzt die Italiener in Entzücken. Sie benehmen sich wieder mustergültig, und Hanna ist durch diese kleine Notlüge gerettet.

Zwischen 1937 und 1939 stellt Hanna einen Streckenweltrekord von der Wasserkuppe nach Hamburg, einen Weltrekord im Zielflug mit Rückkehr zum Startplatz von Darmstadt zur Wasserkuppe und zurück auf. Daneben wird sie als einzige weibliche Teilnehmerin Sieger beim großen Zielstreckensegel- flugwettbewerb von Westerland auf Sylt nach Breslau. Und im Juli 1939 fliegt sie einen Weltrekord im Zielflug von Magdeburg nach Stettin.

Proben mit dem Lastensegler


Nach den Versuchen mit den Sturzflugbremsen geht das Institut nun daran, sich mit der Konstruktion eines Großsegelflugzeuges zu befassen. Die Idee des Lastenseglers wird geboren.

Das erste Großsegelflugzeug wird im Schleppflug hinter einer dreimotorigen Ju 52 erprobt. Hanna ist am Steuer. Es stellt sich heraus, daß der völlig geräuschlose Lastensegler sich auch im steilen Sturz bewährt. Da er in der Lage ist, Menschen und Material zu befördern, gewinnt er mit diesen Eigenschaften auch militärische Bedeutung. Die sich ergebenden vielseitigen Möglichkeiten erwecken das Interesse der deutschen Luftwaffenführung.

Bei der Vorführung vor der Generalität sind u.a. Udet, Kesselring, Ritter v. Greim und Milch zugegen. Mit einer kriegsmäßig ausgerüsteten Gruppe Infanterie läßt Hanna sich auf eine Höhe von 1,000 m schleppen. Dann stürzt sie im Steilflug nach unten, landet zwischen den Büschen hinter der Generalität, während die Soldaten aus dem Segler springen und sofort in Stellung gehen.

Die Generale sind hingerissen. Wie ein Mann bestehen sie darauf, diesen Sturzflug sofort zu wiederholen. Diesmal mit den hohen Herren daselbst als Besatzung! Hanna schlägt bei diesem Ansinnen und dieser Verantwortung das Herz zum Halse heraus. Doch ihre Einsprüche werden beiseite geschoben. Auch dieser zweite Flug klappt ohne Zwischenfälle. Nur die Fallschirmtruppe ist von der neuen Konkurrenz wenig begeistert. Bei einem "Wettbewerb" zwischen Lastenseglern und Fallschirmjägern, die beide ein bestimmtes Ziel anzusteuern haben, erweisen sich die Lastensegler als eindeutig überlegen. Sie landen genau am Ziel, und ihre Mannschaften sind im Nu einsatzbereit. Die Fallschirmjäger dagegen werden an diesem sehr windigen Tag teilweise weit vom Ziel abgetrieben.

Der erste Kriegseinsatz der Lastensegler erfolgte bekanntlich gleich zu Beginn des Frankreichfeldzugs. Mit ihrer Hilfe wurde das bis dahin als uneinnehmbar geltende belgische Fort Eben Emael ohne nennenswerte Verluste erstürmt.

Nur die besten Segelflieger werden als Piloten der Lastensegler ausgewählt. Ihr Gefreitendienstsgrad entspricht allerdings keineswegs ihren Fähigkeiten. Ihre Vorgesetzten können zwar auf ihren Rang pochen, haben aber so viel wie keine Ahnung vom Segelfliegen. Die Piloten sind tief deprimiert, weil ihre Forderung nach den notwendigen Übungsflügen für künftige Einsätze glatt abgewiesen wird. Sie wissen, daß dieses Versäumnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu katastrophalen Folgen führen wird.

In ihrer Verzweiflung wenden sie sich an Hanna Reitsch. Hanna zerbricht sich den Kopf darüber wie sie, eine Frau, in der militärischen Hierarchie etwas für ihre Kameraden bewirken kann. Ein Brief an General v. Richthofen bleibt erfolglos. Auch bei weiteren Vorstößen läuft sie wie gegen eine Mauer. Doch das drohende Schicksal ihrer Kameraden, die Gefahr von Fehlschlägen mit hohen Verlusten wegen ungenügender Vorbereitung, lassen sie nicht los. Endlich, sie hat schon fast die Hoffnung aufgegeben, gelingt durch einen Fürsprecher eine Besprechung mit General v. Greim. Er bewilligt einen großangelegten Probeeinsatz. Das befürchtete Ergebnis: Nur wenige Lastensegler erreichen das befohlene Ziel, und dazu noch um Stunden zu spät! In einem umfangreichen Trainingsprogramm, auch bei Nacht, können solche Pannen gerade noch rechtzeitig beseitigt werden.

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