Der Tübinger Revisionisten-Prozeß - Bericht eines Prozeßbeobachters
Nach der Verhandlung am 7.5.96 gegen den Koautor Arnuld Neumaier wegen
seiner Behauptung, bei Treblinka habe es sich um ein "vermeintliches"
Vernichtungslager gehandelt, und dessen Verurteilung zu DM 8000.- Geldstrafe
am ersten Verhandlungstag, dem 7.5.96, wird das Verfahren gegen Grabert
abgetrennt, ebenso die Verfahren gegen die nicht zum Termin erschienenen
Udo Walendy, Wieland Körner und Germar Scheerer/Rudolf. Gegen Scheerer/Rudolf
wird Haftbefehl erlassen.
Am 9.5.96, dem zweiten Verhandlungstag: Eröffnung Hauptverhandlung
gegen Grabert. Gleich zu Beginn Ablehnung des Richters durch den Verteidiger
wegen Befangenheit. Dem Antrag gibt das Gericht nicht statt. Sodann Antrag
der Verteidigung und Einstellung des Verfahrens wegen vermeintlicher Verfassungswidrigkeit
des Paragraphen gegen Volksverhetzung; wegen des Rechtsspruches der Bundesverfassungsrichter,
nach dem wissenschaftliche Erkenntnisse ihre Gewinnung und Vermittlung
nicht justiziabel seien; wegen Unfähigkeit der Richter, in Verfahren
im Zusammenhang mit dem vorliegenden Thema frei und unbeeinflußt
gemäß ihrem Auftrag Recht zu sprechen, da dem Druck der Medien
politischer Kreise und interessierter Gruppen erfahrungsgemäß
nicht standzuhalten sei; hierdurch würden Organe der Rechtssprechung
veranlaßt, über Methoden und Ergebnisse historischer und naturwissenschaftlicher
Forschung zu befinden, was bereits "zu orwellartigen Zuständen"
geführt habe.
Auch diesen Antrag weist das Gericht wegen Unerheblichkeit ab.
Bereits von der ersten Verhandlung an zeichnet sich ab, daß es in
diesem Verfahren naturgemäß um "Wissenschaftlichkeit",
"Pseudowissenschaftlichkeit" oder "Nichtwissenschaftlichkeit"
des beklagten Buches geht. Der Verteidiger bietet dem Gericht ein Gutachten
des ehemaligen Wissenschaftlichen Direktors des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes Freiburg/Potsdam, Dr. Joachim Hoffmann, an und beantragt
Vorlesung derselben. Statt dessen kommt es zur Zeugenladung Dr. Hoffmanns
am 28.5.96.
Am 20.5.96, dem dritten Verhandlungstag, steht dem Gericht als Zeuge der
Lektor beim Grabert--Verlag, Dr. Rolf Kosiek (Physiker, Chemiker mit historischem
Hintergrund) zur Verfügung.
Das Gericht ist zum Zustandekommen des Werks interessiert; an der Funktion
des Lektors, an dem Herausgeber und den Autoren; an Pseudonymen (und deren
Begründung) sowie an Identitäten. Der Zeuge erklärt und
rechtfertigt die Verwendung des Pseudonyms.
Wiederholt macht der Zeuge Ausführungen zu Ziel und Methode wissenschaftlicher
Arbeit. Er bezeichnet "Zweifel als Grundlage der Wissenschaft";
das Werk lasse alle Seiten zu Wort kommen, fälle keine Pauschalurteile,
sondern untersuche Einzelprobleme und lege alles dar, besser als die herrschende
Lehre. Sowohl Methode als auch Ergebnis seien wissenschaftlich einwandfrei.
Grabert sei die Problematik des Gegenstandes durchaus bewußt gewesen,
deshalb habe "Wissenschaftlichkeit" als vorherrschende Forderung
ganz im Vordergrund gestanden, denn nur dann würde das Werk dem Grundgesetze
zufolge nicht justiziabel sein.
Das Gericht nimmt mehrfach Anstoß an dem Ausdruck "vermeintlich"
oder "angeblich" in Verbindung mit Angaben von Historikern.
Der Vorsitzende kommt, wie schon wiederholt, auf die Entscheidungskompetenz
im Dritten Reich bezüglich der Judenvernichtung zu sprechen; er vermißt
die Behandlung dieser Frage in dem Buch. Der Zeuge weist darauf hin, daß
es eine Vollständigkeit nirgends gibt.
Der Richter hebt, wie schon früher, den starken Anteil von Germar
Scheeerer/Rudolf (auch als Ernst Gauss) an der Autorschaft des Buches hervor
und weist auf die Ursache dessen strafrechtlicher Verurteilung in Stuttgart
hin. Der Zeuge bezeichnet diese Entscheidung als Fehlurteil.
Der Richter zieht eine Wendung der Stellungnahme des Angeklagten, Wieland
Körner, bei, der sich von Grabert vor Bezug des Buches versichern
ließ, daß es sich bei dem Herausgeber Autor um den Gleichen
wie bei dem Buch "Vorlesung zur Zeitgeschichte" handele (gegen
den juristisch nicht vorgegangen ist), und daß nach entsprechender
Prüfung keine rechtlichen Bedenken beständen.
Juristische Prüfung vom Generalbundesanwalt hatte Rudolf erbeten,
der in seiner Antwort die Lektüre ablehnte, das Buch aber ein "übles
Machwerk" nannte. (Hierzu erlaubt sich der Zeuge die Äußerung
"hanebüchen").
Die Staatsanwältin fragt nach sonstiger Prüfung durch Juristen.
Kosiek führt Professor Schwinge, Marburg und einen weiteren Hochschullehrer
an, den er nicht nennen kann, zu dessen Preisgabe er anschließend
aber vom Gericht gezwungen wird, die beide bestätigt haben, daß
"wissenschaftliche Freiheit gilt". Der Richter: "Einschränkungen
gelien!" Kosiek: Die "Offenkundigkeit' wurde besprochen.
Auf Befragen des Verteidigers nach seinem fachlichen Werdegang nennt der
Zeuge 5 1/2 Jahre als Assistant und Instituts-Chef, Betreuer von Diplomanden
und Doktoranten, Autorenschaft von 15 Voröffentlichungen, 5 Jahre
Mitarbeit am "Lexicon zur Physik" und Lehrbücher Mathematik,
Fachhochschule Nürtingen, Wertstoffinstitut München; ab 1981
Lektor bei Grabert, ab 1984 für dessen Gesamtprogramm.
Im Zusammenhang mit der Position des "Herausgebers" eines Werkes
vom Verteidiger befragt, stellt der Zeuge diese als "unterschiedlich"
dar. Die "Grundlagen" tragen weitgehend den Charakter des Naturwissenschaftlichen
mit relativ wenig Polemik (was bisher auf diesem Gebiet gefehlt habe).
Auf die Verteidigerfrage, ob es auch Differenzen hierüber zwischen
ihm und Grabert gegeben habe: "gegen Kosiek's Empfehlung habe Grabert
zuviel durchgelassen, deshalb nicht immer ganz einig."
Der Verteidiger fragt den Zeugen nach der Behandlung des Buches "Vorlesungen
zur Zeitgeschichte" durch die Staatsorgane. - Es habe kein Verfahren
auf sich gezogen. Dann Frage nach den Anforderungen des Verlegers Grabert
an das Buch. Kosiek: Offener Dialog, keine Pauschalaussagen, Zweifel als
Grundlage der Wissenschaft.
Von Waldstein bittet um einen Vergleich des "Blauen" (Grundlagen)
mit dem "Roten" Buch (Vorlesungen). Kosiek bezeichnet das Blaue
Buch als wissenschaftlicher exakter.
Der Verteidger fordert einen "Ausweis" der Verfasser: "Wer
schreibt da?"
Zeuge: Faurisson war Professor an der Universituat Lyon, jetzt an einer
Pariser Universität; Scheerer/Rudolf Diplomchemiker am Max Planck
Institut, Doktorand mit abeschlossener Dr.-Arbeit, kein Opportunist, Wahrheitssucher,
Liberaler Mann, dessen Intentionen anders seien. als im Stuttgarter Urteil
dargestellt. Seine Dr.-Arbeit am Max Planck sei sehr gut beurteilt, frei
von Kritik, beste Zeugnisse: Dr. Claus Jordan, Diplomkaufmann. Ingrid Weckert:
Ausbildung in Geschichte und Theologie. Udo Walendy: Diplompolitologe;
Carlos Mattagno, Deana; John Ball: Luftbildexperte.
Zu F. P. Berg folgte ein kleiner Diskurs wegen dessen Identität, die
nicht zu klären war.
Verteidiger: Also nicht Leugnung der Judenvernichtung und des Holocausts
und das Antisemitismus im Dritten Reich im Buch "Grundlagen"
- das waren Grundforderungen des Verlegers?
Zeuge: Ja. Man kann das schon im Vorwort erkennen.
Verteidiger: Beim Verlag Piper erschien 1993 "Die Krematorien von
Auschwitz" von Jean Claude Pressac in deutscher Sprache und fand viel
öffentliche Beachtung.
Kosiek weist hierzu auf die "Antwort an J. C. Pressac" von Faurisson
sowie auf das "Blaue Buch" insgesamt. Pressac (zuerst Mitarbeiter
Faurissons!) sei bemerkenswert, weil er als erster (angeblicher) "Exterminationist"
naturwissenschaftliche Methoden anwendet, wobei er vielfach zu gleichen
Ergebnissen kommt wie Rudolf. Es gebe bei Pressac wissenschaftliche Mankos,
jedoch komme es zu keiner Indizierung seiner Schrift, obwohl sie klar revisionistisch
sei.
Der Richter kommt auf Punkt 8 der Anklageschrift zu sprechen (zu S. 357
des Blauen Buches, Autor Neumaier), worin es sich um das angebliche Fehlen
einer Planung und Systematik der Vernichtung und die Vermutung einer verschlüsselten
Geheimsprache zur Steuerung handelt.
Zeuge Kosiek: Es gibt auch innerhalb der etablierten Holocaustforschung
einen wissenschaftlichen Streit der "Intentionalisten" und der
"Funktionalisten"; es werden gegensätzliche Thesen aufgestellt
und untersucht; das sei normal.
Die Staatsanwältin fragt, ob Kosiek auch beim Hohenrain-Verlag als
Lektor tätig sei. Der Zeuge bejaht - seit Bestehen dieses Verlages
1985; dort noch keine rechtlichen Beanstandungen. Bei Grabert wurde die
Schrift von Saeger eingezogen; Berg wurde beschlagnahmt; ebenso "Feuerzeichen"
von Weckert.
Die Staatsanwältin äußert, das Buch "Verlesungen"
sei an Juristen zur Prüfung gegeben worden. "Grundlagen"
nicht. Der Zeuge merkt an, daß z.B. Walendys Buch selbst nach juristischer
Prüfung beschlagnahmt worden sei.
Das Gericht forscht bei dem Zeugen nach dem Hintergrund der Autorennamen
Rademacher, Köhler und Herbert Tiedemann.
Der Zeuge wird vom Gericht gezwungen, neben Prof. Erich Schwinge auch den
Namen des zweiten Rechtsexperten preiszugeben, der die staatsrechtliche
Unangreifbarkeit des Blauen Buches bestätigt hat. Es erfolgte eine
erneute Erklärung der Wissenschaftlichkeit dieses Werkes und Verweis
auf die Beurteilung durch den ausgewiesenen Geschichtsprofessor Ernst Nolte,
der Rudolf und Mattagno als kompetente Diskussionspartner bezeichnete;
dagegen ein Hinweis des Richters auf das Stuttgarter Urteil gegen Scheerer/Rudolf.
Es findet am 21.5. die Vernehmung des als Zeugen erschienen, in dem laufenden
Verfahren unter Anklage stehenden Verlegers Wieland Körner aus Bremen
statt.
Am 28.5. 1996 kann der geladene Zeuge Dr. Hoffmann wegen Urlaubs nicht
erscheinen.
Der Richter nimmt auf Textstellen von Manfred Köhler im "Blauen
Buch" ab S. 61 Bezug; insbesondere "Schlußfolgerungen"
ab S. 95, wo Aussagen von Augenzeugen des Holocausts aufgezählt sind,
und verliest diese.
Der Anwalt verlangt, daß hierzu auch das zugehörige umfangreiche
Fußnotenwerk verlesen werde, das zur Bewertung des Beitrags unverzichtbar
sei. Der Richter zieht sich auf eine Bekanntheit der Fußnoten zurück
und stellt den Antrag des Anwalts zurück.
Der Anwalt bezieht sich auf die im Verhandlungsverlauf wiederholt aufgetauchten
Verweise des Gerichts auf die Termini "angeblich", "vermeintlich",
"sogenannt" im Zusammenhang mit Gegenständen und Vorgängen
der Holocaust-Geschichtsschreibung. Diese, so von Waldstein, haben keinen
leugnerischen Inhalt, sondern drücken vielmehr Distanz von der gegnerischen
Position aus, d. h. man unterwirft sich nicht der Diktion des Gegners;
die Formulierung gibt dem Ehrgeiz des Verfassers in der Behauptung seines
Standpunkts Ausdruck. Alle Beispiele und Zitate in dem betreffenden Text
sind mit Fußnoten belegt; "sie müssen also dazu verlesen
werden".
Der Richter antwortet, von Waldstein und dem Angeklagten ab- und der Staatsanwältin
zugewandt, "das Gericht wird in diesem Verfahren nicht laut denken".
Der Verteidiger stellt Antrag auf Einholung eines Gutachtens zu der Bedeutung
des Gebrauchs der Wendungen "vermeintlich" usw., findet damit
aber wiederum nicht die Billigung des Gerichts.
Der Verteidiger stellt Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
unter Beziehungen des Protokollwerkes über das Verfahren des IMT Nürnberg
gegen Dr. Hans Frank, wo von dessen "angeblichen Verbrechen"
die Rede ist.
Staatsanwältin: Das Gericht kann das selbst prüfen; die Aufgabe
ist es, zu prüfen, ob das Werk den Holocaust leugnet.
(Fortsetzung folgt)