Betrachtet man die Geschichte der Ideologien aus dialektischer Sicht,
so wird es offensichtlich, ja unvermeidlich, daß das herrschende
materialistische Weltbild mit seinen beiden Äußerungsformen
Kommunismus und Kapitalismus durch etwas neues ersetzt werden muß.
Die Dialektik ist ein menschlicher Denkprozeß:, wonach etwas,
das als schlecht erkannt wurde, am besten durch sein Gegenteil, das dann
ja gut sein sollte, ersetzt werden muß. So trat an die Stelle des
Hauptprinzips Geist, das durch die Kirche vor der Französischen Revolution
repräsentiert wurde, die Materie. Diesseitiges Denken ersetzte jenseitiges
Denken. Die Weltabgewandtheit, die Vergeistigung des ganzen Lebens, die
totale Bindung der Menschen wurde durch ihr genaues Gegenteil abgelöst.
Weltbejahung, die Naturwissenschaften, Bindungslosigkeit waren die grundlegenden
Stichworte des neu auftretenden Materialismus.
Dieser erreichte einen ersten Höhepunkt im Früh- oder Manchesterkapitalismus. Die Widersprüche, das tiefe menschliche, vor allem materielle Elend, das diese Form des Kapitalismus auslöste, versuchte Marx dadurch aufzuheben, indem er die eine Form des Materialismus, den Kapitalismus durch eine andere Form des Materialismus, den Kommunismus ersetzte. Dabei orientierte er sich an der Hauptwiderspruchslinie Arbeit/Kapital, die er im Sinne der Arbeit aufzulösen versuchte. Da der Kapitalismus das Elend verursachte, mußte sein Gegenprinzip, eben der später nach ihm benannte Marxismus das Elend der Menschen verhindern. Und genau das trat nicht ein. Woraus zu schlußfolgern ist, daß sowohl Kommunismus als auch Kapitalismus falsche Wege sein müssen. Beide Ideologien lösten nicht die entscheidenden Probleme der Menschheit. Sowohl auf materiellem Gebiet als auch noch viel mehr auf geistigem Gebiet.
Konsequent weitergedacht bedeutet das, daß nur ein Dritter Weg
jenseits von Kapitalismus und Kommunismus und jenseits von einseitiger
Orientierung an Materialismus und Geist/Spiritualismus die Probleme der
Zukunft lösen kann. In den Begriffen These/Antithese und Synthese
gedacht bedeutet dies, daß der Dritte Weg die Synthese aus
der These Französische Revolution und ihrer Antithese Feudalismus
sein muß. Gleichzeitig muß der Dritte Weg, verengt man
den Begriff auf die rein materielle Seite, die Synthese aus der These Kapitalismus
und ihrer Antithese Kommunismus sein. Der Widerspruch Arbeit/Kapital muß
so aufgelöst werden, daß keine der beiden Seiten unterdrückt
wird. In diesem Zusammenhang ist es schwer zu leugnen, daß die betont
soziale Form der Marktwirtschaft obigen Widerspruch zwar nicht aufgelöst,
ihn aber, zumindest was die am höchsten entwickelten Länder betrifft,
zu einem Nebenwiderspruch heruntergestuft hat. Der Hauptwiderspruch
wird sich daher an dem Widerpsruchspaar Materie/Geist orientieren.
Was hat das freilich mit Revolution zu tun? Der offensichtliche Niedergang
des Marxismus-Leninismus und der scheinbare Endsieg des Liberalkapitalismus
bedeutet, daß der Widerspruch Arbeit/Kapital zunächst im Sinne
des Kapitals - trotz aller sozialer Begleitmaßnahmen - prinzipiell
aufgelöst wurde. Gleichzeitig zeigt die alltägliche Realität,
daß der Kapitalismus niemals in der Lage ist, alle menschlichen
Probleme, geistig oder materiell zu beseitigen. Das kann er ja auch
nicht, da er nur die eine Seite der Medaille, die eine Seite des Widerspruchspaares,
nur die These einer Antithese, mithin lediglich ein kleineres Übel
ist. Aber er ist eben ein Übel, das nur durch eine neue Synthese,
eben den Dritten Weg ersetzt werden kann.
Zusammengefaßt können wir sagen, daß der Dritte Weg in der Hauptsache die Synthese aus Geist/Materie, in der Nebensache die Synthese aus Arbeit/Kapital, unvermeidlich und revolutionär sein wird. Derjenige wird an der vordersten Front der zukünftigen Entwickling stehen, der das als erster begreift und die richtige Synthese definiert. Es ist daher völlig absurd, den Dritten Weg als "links" oder "rechts", als "antikommunistisch" bzw. "prokommunistisch" usw. einzuordnen. Der Dritte Weg liegt nicht zwischen, sondern jenseits all solcher Einordnungsversuche.
Diese These schließt sich logisch und konsequent an die erste These an. Der in den am höchsten entwickelten kapitalistischen Staaten erreichte materielle Wohlstand hat es, trotz aller sozialer Ungerechtigkeiten und unbestreitbarer Armut breiter Bevölkerungsschichten, dazu gebracht, daß der seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts existierende Hauptwiderspruch Arbeit/Kapital zum Nebenwiderspruch geworden ist. Niemand in den besprochenen Ländern muß verhungern, die absolute, "zum Himmel schreiende" Armut ist, nimmt man eine Handvoll Asozialer aus, die es in jeder Gesellschaft unter allen denkbaren Umständen geben wird, eine Erscheinung der Vergangenheit. Niemand, der seine fünf Sinne halbwegs zusammen hat, ist in der Gefahr, tagtäglich um sein blankes Überleben kämpfen zu müssen. Das heißt natürlich nicht, daß es keine sehr Armen gibt - man denke nur an die Empfänger von Mindestrenten oder berufslose, alleinerziehende Mütter. Aber nochmal, selbst diese Personenkreise sind sozial so abgesichert, daß sie zu keiner Zeit um ihr nacktes Leben fürchten müssen, zumindest aus rein materieller Sicht nicht. Bilder von verhungernden Kindern, verkrüppelten Jammergestalten, deren Bett die Straße ist, beschränken sich auf die Dritte Welt. Das ist natürlich ein gewisser Erfolg des Kapitalismus, und es wäre unrealistisch, dies zu leugnen und davon zu faseln, die Arbeiterklasse habe nichts außer ihren Ketten zu verlieren. Sie hat eben schon etwas zu verlieren, nämlich einen wenn auch noch so bescheidenen Wohlstand.
Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein! Diese uralte Erkenntnis des Menschen gilt immer dann, wenn das Individuum nicht all seine Energien, seine Kraft und seine Intelligenz in die bloße Nahrungsbeschaffung stecken muß. Wenn also Platz bleibt, über Sinn und Zweck des Lebens, über den Unterschied zum nur instinktiv handelnden Tier nachzudenken, wenn also die Frage nach der eigenen Identität gestellt wird. Es ist schlichtweg unbestreitbar, daß praktisch alle Menschen in den erwähnten Ländern diese Frage stellen können. Es geht um Bereiche wie Heimat, Geborgenheit in der Familie, der Dorfgemeinschaft oder des Stadtviertels. Es gehört dazu das Zugehörigkeitsgefühl zu einem größeren Kollektiv, dem eigenen Berufsstand, dem Stamm und dem Volk und schließlich der Rasse. Aber auch die Geborgenheit in einem jenseitigen Ganzen, einer Religion, also die Orientierung an metaphysischen, überirdischen Mächten gehört dazu. Verkürzt könnte man dies als die geistige Identität des Menschen definieren. Identität bedeutet Heimat, es ist der Platz des Dazugehörens, der Bindung, der Verankerung. Der Sinn des Lebens wird erfahrbar, Geborgenheit erlebbar, das nennt man Menschsein, die Möglichkeit vollendetes Glück zu empfinden. Begriffe wie Liebe und Haß, Mut, Würde und Ehre, Feigheit und Opportunismus werden mit konkretem Leben erfüllt. Wer keine Identität besitzt, liebt alle Menschen (bzw. haßt alle Menschen), was aber in der Realität nur bedeutet, daß er niemand liebt, daß ihn niemand liebt. Nirgends wächst er über sich hinaus, er riskiert nichts, er lebt freudlos in den Tag hinein. Er flüchtet sich in die Ersatzwelt der Drogen, des Alkohols, des künstlichen Nervenkitzels (Filme, Videos, exotische Reisen usw.) synthetischer Stimmulantien (Musik aus der Konserve, Gaumenkitzel, Sexismus usw.). Der identitätslose Mensch lebt wie derjenige, der ständig unter dem Einfluß von Psychopharmaka steht: Alle Emotionen sind weggefiltert bzw. müssen künstlich aufbereitet werden.
Der Entfremdete kann sich nicht über die Geburt eines Kindes freuen, weil ihm der seelische Bezug fehlt. Er kapiert nicht, daß das Ansehen innerhalb seiner Gemeinschaft, das er durch eine mutige Tat erreichen würde, tausendmal schöner wäre und viel länger anhalten würde als die Freude über noch so viel Geld. Der Krieger, der das Überleben seines Stammes, seiner Familie sichert, empfindet unendlich mehr Stolz und Glück als der Söldner, der um materieller Vorteile willen, ihm unbekannte Menschen umbringt, die für ihn ohne Bezug sind. Der Weise, der durch einen geschickten Schachzug sein Volk aus der Umklammerung des Feindes löst, der durch eine geniale Erfindung ein Dorf vor der Überschwemmung oder einen Landstrich vor einer Seuche rettet, dieser Weise hat es nicht nötig, daß ihm die Macht per Abstimmung oder durch bombastische Titel bestätigt wird. Nein, dieser Weise wird zum Träger der Macht, ohne sie angestrebt zu haben. Sie fällt ihm zu wegen seiner Taten, seiner Weisheit, seiner Gerechtigkeit. Seine Macht ist gut, sie ist natürlich, denn sie ist Produkt hohen Ansehens, das er beim Volk genießt. Nie wird er diese Macht mißbrauchen oder gewaltsam verteidigen, denn seine Macht ist so natürlich wie der Wechsel der Jahreszeiten und keiner, dem Ehre und Würde etwas bedeuten, würde sie in Zweifel ziehen. Der Handwerker zieht Befriedigung aus der Schönheit seiner Produkte und dem Lob der Käufer, das Geld dient ihm lediglich zum materiellen Überleben. Denn eine Gesellschaft in der Harmonie funktioniert natürlich nur dann, wenn niemand in materieller Not leben muß. Askese und mönchische Weltabgewandtheit sind ebenso Irrwege und Kennzeichen einer gestörten persönlichen Identität. Der Asket ist ständig auf der Suche danach, während derjenige, der den Widerspruch Identität/Entfremdung zugunsten der Identität aufgelöst hat, dieses Menschsein, das vornehmste Ziel des Lebens, selbst lebt.
Wer am Beispiel des Kriegers/Söldners, des Weisen/Politikers oder des Handwerkers/Fließbandarbeiters gesehen hat, wie weit wir vom Ideal eines selbstbestimmten Lebens entfernt sind, der ist in der Lage, aus der materialistischen Raserei aufzuwachen und überhaupt zu erkennen, daß es diesen Widerspruch gibt. Und diese Entfremdung, diese Entgeistigung der Menschen droht uns mit Riesenschritten in Richtung des Welteinheitsstaates, der Welteinheitsreligion zu drängen. Und damit in die endgültige Katastrophe, in die Apokalypse. Wo immaterielle Werte fehlen, öffnet man der Raserei und dem Wahnsinn Tür und Tor.
Gegenwärtig beobachten wir zwei gegenläufige Entwicklungen, eine für vorrevolutionäre Situationen charakteristische Erscheinung. Einerseits greift die Entfremdung immer weiter um sich, werden mehr und mehr Menschen zu Nirgendwomenschen bzw. Weltbürgern, die überall und zugleich nirgends zuhause sind. Die multikulturelle Gesellschaft, dieser Kampfbegriff zur Entwurzelung, zur Entortung der Menschen wird von den Herrschenden, die an einer identitätslosen Einheitsmasse und -rasse von Konsumidioten größtes Interesse haben, mit wachsendem Fanatismus eingesetzt. Andersdenkende, die sich ihr Anderssein, ihre Eigenheit, ihre Identität bewahren wollen, werden einem massiven Psychoterror durch die allgegenwärtigen Massenmedien und einer Erziehung, deren Ziel gleichgeschaltete Hirne sind, ausgesetzt. Abweichendes soziales, politisches und kulturelles Verhalten wird kriminalisiert. Dissidenten werden ausgegrenzt und an die Ränder der Gesellschaft gedrängt. Der uniformierte Welteinheitsmensch befindet sich auf dem Vormarsch.
Dennoch ist das unstillbare Verlangen nach Identität, Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit nach wie vor vorhanden. Hatte sich dieses menschliche Urbedürfnis früher in dem Bekenntnis zur eigenen Herkunft, also zum jeweiligen Volk und/oder in der Ausübung religiöser Überzeugungen manifestiert, so wird heute auf religiöse Sekten, Esoterik oder künstlich geschaffene Gemeinschaften (vor allem im teilweise hysterische Dimensionen annehmendem Spitzensport) abgehoben. Da traditionell identitätstiftende Bereiche kriminalisiert werden bzw. sich selbst durch völliges Aufgehen im individualistischen Materialismus (hier vor allem die christlichen Amtskirchen liquidiert haben, sucht der verzweifelte Mensch nach Auswegen, um sein Urbedürfnis nach Geborgenheit und Lebenssinn zu befriedigen. Das Scheitern politischer Utopien als Identitätsersatz führt wiederum zu einer breiten Annahme des Nationalismus als einem Zentrum menschlicher Sinngebung. Nach unserer Einschätzung sind der Nationalismus und die Religion die zentralen Fixpunkte einer spirituellen, also geistigen Lebensauffassung, die im Gegensatz zum Materialismus steht.
Da auf geistigem Gebiet zur Zeit ein verheerendes Vakuum existiert, die Menschen die spirituelle Lebensweise völlig verlernt haben, weshalb sie trotz materiellem Wohlstandes traurig, apathisch und freudlos sind, sind Übertreibungen und Auswüchse im Zeichen spiritueller Renaissance unvermeidlich. Fanatisierte Sektierer, vom positiven Nationalismus zum zerstörerischen Chauvinismus übergehende Völker werden in der Zukunft verstärkt in Erscheinung treten. Irrationalität und Emotionen werden den vermeintlich rationalen Materialismus ablösen. Ein zentraler Begriff des Dritten Weges ist die Vorstellung der Ausgeglichenheit. Ausgeglichenheit zwischen Geist und Materie, zwischen Rationalität und Emotion, zwischen Leidenschaft und Vernunft ist unser Ziel. Da aber im Zuge völliger Entfremdung die Menschen riesige geistige Defizite haben bzw. die geistige Dimension des Lebens gänzlich vergessen und verlernt haben, sind selbst Übertreibungen und Auswüchse der oben beschriebenen Art grundsätzlich begrüßenswert, da sie nicht zuletzt die Sterbestunde des reinen Materialismus einleiten werden. Denn trotz entgegenlautender Sprüche, der Materialismus, egal ob als kapitalistische oder kommunistische Variante, ist, da er nur einen Teil der menschlichen Wirklichkeit widerspiegelt, selbst gänzlich irrational. Der primitive Materialismus ist auf dem besten Weg, die Menschheit ganz rational in die Apokalypse zu stürzen: Bevölkerungsexplosion, globale Umweltkatastrophen, riesige Flüchtlingsströme, Verschwendung der natürlichen Ressourcen, letztlich die Zerstörung aller Lebensgrundlagen.
Auf die Frage, wann denn alle Menschen als glücklich anzusehen seien, antwortete ein katholischer (!) Geistlicher in vollem Ernst: "Wenn es ihnen materiell so gut geht wie uns in Mitteleuropa." Abgesehen davon, daß diese Aussage die katholische Lehre exakt in ihr Gegenteil verkehrt, spricht aus diesen Worten eine größenwahnsinnige Arroganz. Der materielle Wohlstand der Mehrheitsbevölkerung in den am höchsten entwickelten Ländern ist also das Maß aller Dinge! Der entfremdete Nirgendwomensch, der in steigender Hysterie materiellen Vergnügungen nachgiert, der immer neue Nerven- und Gaumenkitzel benötigt, um sich und sein Bewußtsein zu betäuben, der der Verursacher obiger Katastrophen ist, wird zum Idealtypus des Menschseins erhoben. Und alle Menschen unserer Erde müssen so werden wie er, ungeachtet ihrer jahrtausendealten Kulturen, Traditionen, ihrer Lebenserfahrungen. Dieser sich hier zeigende messianische Liberalismus, dieser wahnwitzige fanatische Materialismus, dieses vollständige Leugnen aller bisherigen kulturellen und zivilisatorischen Leistungen aller Völker, Religionen und Rassen und deren Ersatz durch den gleichgeschalteten Konsumidioten, der sich in Kalkutta genauso wohl fühlt (falls er sich überhaupt noch wohl fühlen kann!) wie in New York ist die kranke Utopie einer geistesgestörten parasitären Klasse. Zugleich markiert diese Wahnvorstellung den Untergang der menschlichen Art, das Ende aller Zeiten.
Erst die entschlossene, kompromißlose Wiederbesinnung aller denkfähig
gebliebenen Menschen auf ihre Einzigartigkeit, ihr Anderssein, ihre Identität
(national und religiös), die sich im fundamentalistischen Kampf gegen
alle One-World-Phantasten äußert, garantiert den Menschen auf
unserem blauen Planeten eine Zukunft als Menschen. Deshalb ist es die vornehmste
Aufgabe aller, die sich an dem Dritten Weg orientieren, den Menschen
die Wiedergewinnung der persönlichen und kollektiven Identität
zu ermöglichen. Erst selbstbewußte, stolze, mutige und würdige
Menschen besitzen die innere, die geistige Stärke, um den Kräften
der weltweiten Arroganz und des Größenwahns entscheidend und
letztlich siegreich zu widerstehen. Deshalb ist für uns der Widerspruch
Identität/Entfremdung bzw. Geist/Materie zur entscheidenden Herausforderung
des ausgehenden 20.Jahrhunderts.