Die politische Tat
(Eingesandt)
Das Problem der Widersprüche zwischen Theorie und Praxis
findet seine Lösung weniger auf dem weiten Gebiet des absoluten Moralismus
und der Rechtmäßigkeit als vielmehr mit der Beantwortung der
Frage: Was läßt sich heute durchsetzen? Und vor allem wie? Das
Wollen als Idealismus und das Können als Realismus müssen dabei
keine Gegensätze sein. Ihre Gemeinsamkeit liegt in der Arbeitsteilung
- revolutionärer Idealismus als Theorie und kühler Realismus
als Praxis. Leider hat sich die enge Verbindung von situationsangepaßter
und politisch langfristig individualistischer oder systemsprengender Haltung
durch strikte Trennung ihrer unterschiedlichen Anwendbarkeit im Lager des
europäischen Nationalismus noch nicht ganz durchgesetzt. Stattdessen
scheinen sich überall unnötige Fraktionsbildungen zu vollziehen,
die in dieser Schärfe keine Existenzberechtigung haben. Offensichtlich
ist die Ursache der Auseinandersetzungen im "rechten" Lager genau
dieses Problem: Was läßt sich wie heute durchsetzen?
Die politische Tat ist nur dann sinnvoll, wenn sie Signal ist für
nachfolgende Taten. So muß die erste Überlegung des politischen
Täters sein, ob Nachfolgetaten zu erwarten sind. Nicht zuletzt deshalb
bedarf es einer intensiven, generalstabsmäßigen Vorbereitung
einer Tat, die abklärt: Was tun? Wer soll es tun? Mit welchem Ziel
soll es getan werden? Welche Reaktion ist bei den Freunden zu erwarten?
Welche bei den Feinden? Welche bei den Unentschlossenen? Eine isolierte
Tat erreicht nichts oder das Gegenteil. Um das zu vermeiden, ist es notwendig,
die Praxis stärker als bisher zu theoretisieren und die Theorie praxisnäher
zu machen. Die politische Tat als Test der Möglichkeiten oder gar
schon als Versuch einer Verwirklichung der Ideale im Handeln hat zweifellos
eine eingliedernde Wirkung, nur muß das Verhalten des Täters
nach der Tat auch dem entsprechen, was die auf ihn blickende Gruppe oder
Masse erwartet; d.h. er muß seine Rolle weiterspielen und darf keine
Pause einlegen. Deshalb muß er auch die ideologischen Voraussetzungen
mitbringen, um die Anhänger und Sympathisanten zu binden. In unserem
Falle also muß er konsequenter Nationalist sein.
Der europäische Nationalismus, der sich zugleich nach innen als europäischer
Sozialismus versteht, ist eine herbeigewünschte Realität. Eine
Realität, die in den Köpfen einiger weniger als ein neues geopolitisches
und soziologisches Ordnungssystem existiert. Gewünschte Realitäten
aber werden gemeinhin als Utopien bezeichnet, und so kann es nicht ausbleiben,
daß die Propheten der jeweils aktuellen Realität auf politische
Situationen, Machtverhältnisse oder Verfassungen verweisen, um damit
den Staatsfeind in seine Schranken zu verweisen. Weltanschauung ist aber
nicht bloß eine "Zusammenfassung der Elemente des Weltbildes",
sondern eine Zusammenfassung der Idealvorstellungen und damit eine klare
Kampfansage an die bestehenden Herrschafts- und Ordnungsverhältnisse.
Politik schließlich ist nicht bloß eine "Kunst des Möglichen",
sondern die Kunst, das unmöglich erscheinende mit den Mitteln der
Theorie und Praxis möglich zu machen. Unsere Aufgabe ist es nicht,
ein Spiel mit vorhandenen Karten zu spielen, sondern die Herstellung eines
neuen Kartenspiels, da das alte gezinkt ist.
Realitäten sind nicht gottgegeben und sind keine Naturereignisse,
sondern sie sind von Menschen geschaffen und können ergo auch von
Menschen wieder beseitigt werden. Wer das verneint, ist kein politisch
Denkender und Handelnder, sondern bestenfalls ein Verwaltungsbeamter, einer,
der sich in einem gegebenen System bequem zurechtfindet. Die Veränderlichkeit
der Realitäten durch handelnde Menschen ist die eigentliche politische
Realität. Nur wer die Dynamik der Geschichte erkennt und anerkennt
ist Realist. Insofern ist der unbeugsame Idealist der wirkliche und einzige
Realist. Das nämlich ist das Problem vieler Konservativer: Sie sind
durch ihre "Bodenständigkeit" dazu verurteilt, stets in
angemessener Entfernung hinter der Entwicklung herzulaufen, skeptisch,
kritisch und ein wenig pessimistisch. Weil sie die Wandelbarkeit zwar spüren,
aber nicht selber Veränderungen wollen, nicht zu planen bereit sind,
den ersten Schritt ins Neuland stets und gern den Fortschrittlichen überlassen.
Den ersten Schritt müssen künftig wir tun.
Daß sich die historischen Konstellationen ändern und verschieben,
haben alle erkannt, die sich mit Geschichte und Politik eingehend beschäftigen.
Aber es geht nicht darum, sich andere Antworten für andere historische
Lagen auszudenken, sondern darum, neue historische Lagen zu schaffen -
nicht anpassen lassen, sondern anpassen, nicht dem Augenblick gemäß
handeln, sondern für die Überwindung des augenblicklichen Zustandes
arbeiten. So wird Politik gemacht und nicht anders. Das ändert natürlich
nichts daran, daß das Maß jeder Bewegung Gegenwart heißt
und Luftschlösser, vor allem im praktischen Bereich der Aktion, die
beste Garantie für einen harten Fall auf den Boden der Tatsachen sind.
Während die Theologen um gut und böse rätseln und die Verfassungsschützer
Brave und Ungezogene trennen, wird wohl die für den politischen Kampf
allein wichtige Frage nach richtig oder falsch zum Leidwesen der Demokratisierer
immer nur von jenen beantwortet werden können, bei denen ein hoher
Grad an Informiertheit mit natürlicher Intelligenz und analytischer
Befähigung zusammentrifft. Drastisch ausgedrückt heißt
das, daß nicht das Volk selbst regieren, sondern nur aus dem Volk
heraus regiert werden kann. Die Furcht vor der Technokratie ist deshalb
auch ziemlich zweifelhaft, weil ja gerade das aufsteigende Zeitalter der
Technik die Notwendigkeit einer im positiven Sinne elitären, wenngleich
notwendigerweise an der Basis abgesicherten Neuordnung signalisiert.
Das gilt erst recht für die nationalrevolutionären Aktivisten.
Schon in den zwanziger Jahren stellte sich dieses Problem besonders der
Gruppe um Ernst Jünger, Helmut Franke und Friedrich Hielscher mit
ihren Publikationen "Standarte", "Arminius" und "Der
Vormarsch", die sich als Kern eines damals schon so benannten "Neuen
Nationalismus" verstanden und daran scheiterten, daß sie sich
als unfähig erwiesen, die Idee eines modernen Nationalismus über
die Literatur in die Praxis hinauszutreiben. Die Ansätze ihrer Ideologie
sind von den unseren kaum zu unterscheiden, und man kann behaupten, daß
die Geschichte des heutigen "Neuen Nationalismus" Ende des Jahres
1925 begann, als die Gruppen um Jünger den Begriff des Nationalismus
für ihre nationalistische, soziale und konsequent revolutionäre
Weltanschauung "erfanden" und erstmals propagierten.
Obwohl die nationalrevolutionäre Bewegung damals an der Schwierigkeit
scheiterte, politisierende Intellektuelle zu organisieren, haben einige
Praktiker doch wesentliche Vorschläge zum politischen Handeln gemacht.
Kapitän Ehrhardt schrieb im "Vormarsch" vom Juni 1928 zum
Thema "Machtpolitik": "Die politische Entwicklung aber muß
weitergetrieben werden durch die freigewordenen revolutionären Kräfte.
Ihnen wird es nicht so schwer, wenn nötig, einen alten Rahmen aufzugeben
und sich neue Formen zu geben. Die Mitglieder der kleinen Kampfbünde
werden sich schneller um die ersten Zellen nationalrevolutionärer
Gemeinschaften im Lande sammeln bzw. selbst solche Zellen und Gemeinschaften
bilden. Die Aufgabe dieser Zellen ist die politische Eroberung der Dörfer
und Städte. Die Gemeinschaften müssen ihre Leute in alle politischen
Organisationen hineinschicken, in die Bauernschaften, Gewerkschaften, Studentenschaften
usw. Diese Gemeinschaften müssen alle vorhandenen nationalrevolutionären
Kräfte und vor allem Führerpersönlichkeiten im Lande aufspüren
und an sich ziehen. Es ist unmöglich, zu gleicher Zeit dem nationalrevolutionären
Gedanken und der bürgerlichen Ordnung zu dienen." Und Ernst Jünger
fügte im "Vormarsch" vom April 1929 unter der Überschrift
"Der unsichtbare Kern" hinzu: "Natürlich ist der Nationalismus
kein literarisches Späßchen, und ebensowenig vollzieht er sich
in der Zone der reinen Idee. Sowohl seinem Charakter sowie seinem Temperamente
nach zielt er auf die Aktion; er würde eine weltanschauliche Spielart
bleiben, wenn er sich nicht im Tatsächlichen vollenden würde."
Beide Zitate lassen die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis erkennen,
ebenso die unbedingte Verknüpfung von Nationalismus und der bestehenden
bürgerlichen Ordnung. Keine politische Bewegung kann sich auf Dauer
halten, kann auf lange Sicht die Massen überzeugen, wenn sie nicht
konsequent ist! Kein Politiker hat das Recht, eine Bewegung zu führen,
wenn er nicht bereit ist, konsequent zu handeln und entsprechend die Konsequenz
seines Handelns auf sich zu nehmen. Der Erfolg des Kampfes hängt davon
ab. Und nur so läßt es sich vermeiden, ständig von den
Herrschenden in die "esoterischen Zirkel" zurückgedrängt,
von der Öffentlichkeit noch vor dem Beginn der Meinungsbildung ausgespuckt
zu werden. Die Ideologie selbst kann in kleinen Kreisen und Zellen ausgearbeitet
werden; das ist ja bereits geschehen. Diese "Elite der Wissenden"
- die salbungsvolle Ausdrucksweise möge verziehen werden - hat sich
an den Kreis der Interessierten zu wenden, die überzeugten Interessierten
müssen sich dann an die Unbeteiligten wenden usw. Kreise ziehen, nicht
Sportpalast-Seelenmassage - das ist echte Untergrundarbeit.
Der Begriff der "Untergrundarbeit" widerspricht schon der "realistischen"
Forderung nach Rechtmäßigkeit. Nun ist es natürlich wieder
eine Frage, ob wir uns die Waffen unseres Kampfes von der herrschenden,
politisch benutzbaren Rechtsordnung vorschreiben lassen oder ob wir uns
diese Entscheidung selbst vorbehalten wollen. Der Unterschied liegt ausschließlich
im Grad des Risikos. Das Ergebnis jedoch ist eine sehr verschiedene Größenordnung
der Militanz. Das Beispiel Hitler als Beweis für erfolgversprechende
Rechtmäßigkeit anzuführen ist falsch. Die Zeiten ändern
sich! So schlapp ist dieser Staat nun auch wieder nicht.
Dieses Argument spricht allerdings auch gegen jene, die nun glauben, mit
Stahlhelm und Karabiner eine "revolutionäre Radikalkur"
verordnen zu müssen. In der Tat fehlen - abgesehen von der absonderlichen
Lächerlichkeit der militaristischen Don Quichotes und Sancho Pansas
- die wesentlichen Voraussetzungen für einen bewaffneten revolutionären
Kampf: Geographische Vorteile wie z.B. in lateinamerikanischen Ländern,
technisch quantitative oder qualitative Überlegenheit, Unterstützung
der Volksmassen, ökonomischer Anlaß, die Hilfe eines "großen
Bruders", der auch nach dem erfolgten Unternehmen eine Schutzfunktion
übernehmen könnte. Dennoch kann das beileibe kein Grund sein,
ab sofort die staatstragende Krawatte umzubinden und allen Ernstes zu erklären,
daß die Nationalen die besten aller denkbaren Bundesrepublikaner
seien. Eine rechte Wahlpartei hat das getan. Diese Methode ist nicht nur
taktisch zum Scheitern verurteilt, sondern sie hat auch eine entscheidende
Nebenwirkung, die doch gewiß nicht beabsichtigt sein kann: Sie trägt
zur Stabilisierung eines teilnationalen Bewußtseins bei, das den
gewollten Separatismus der Besatzungsdiener verhärtet und die Gräben
in unserem Volk vertieft.
Die Gesetzestreue ist im Grunde noch gefährlicher für den europäischen
Nationalismus als der Historismus. Diese beiden "Flügel"
des Konservatismus widersprechen sich aus prinzipiellen Gründen; denn
wenn alles Bestehende als rechtmäßig angesehen würde, könnte
es Geschichte, also Entwicklung, gar nicht geben. Überhaupt dürfte
wohl nichts so schwer sein, als eine Definition des politischen Begriffes
"Konservatismus" zu wagen. Die rückwärtsgewandten Träumereien
des Historismus jedenfalls, das lehrt z.B. die Geschichte der Burschenschaften,
können durchaus revolutionäre Impulse geben und die bestehende
Gesellschaft verändern; denn die Gegenwart an der Vergangenheit zu
messen, eröffnet mitunter erstaunliche Perspektiven. Die Gesetzestreue
aber fördert die Zaghaftigkeit, begünstigt die Hasenfüße,
weil sie die jeweilige staatliche Wirklichkeit als gegeben hinnimmt und
ihre Basis als die ihre betrachtet. Daraus folgen auch die "pragmatischen",
"realistischen" und "legalen" Einstellungen als Produkt
der Logik. Der dynamische Nationalismus der europäischen Jugend besinnt
sich jedoch auf die elementare Relativität staatlicher und rechtlicher
Ordnungen und leitet daraus eine Politik schöpferischer Gestaltung
ab, die eigene Normen setzt. Hier spätestens erweist sich der "Neue
Nationalismus" als revolutionär.
Zweifellos kann niemand behaupten, daß seine Theorie richtig sei
und allein zum Ziele führt, ebensowenig kann das Gegenteil behauptet
werden. Das Schicksal einer Theorie, und damit meist auch das Schicksal
eines Volkes, vollendet sich erst in der Praxis. Die politische Tat leitet
dabei die Beweisführung ein, während die Täter und die Betroffenen
dazu verdammt sind, die weitere Entwicklung hinzunehmen. Dieser Gang der
Dinge ist der Verlauf der europäischen Revolution. Sie beginnt im
Geistigen, setzt sich fort in aktivistischen Kadern und vollendet sich
im Aufstand des Freiheitswillens der Völker gegen Unterdrückung
und Ausbeutung durch die "Weltpolizisten". Aber diese Reihenfolge
muß eingehalten werden, Schritt für Schritt. Ausdauer und Rationalität
in der Planung, Einsatz des ganzen Herzens in der Durchführung, die
Hinnahme von Rückschlägen ohne Resignation und die besonnene
Wertung von Erfolgen werden die deutsche Sache und die der europäischen
Brudervölker voranbringen. Eine solidarische Kooperation ist dabei
unerläßlich.
Alles ist eine Frage der Definition. Nationalisten würden z.B. gerne
konservativ - und hier liegt vielleicht wirklich der Schlüssel zur
Gemeinsamkeit -, wenn Moeller van den Brucks Wort mehr Beachtung fände:
"Konservativ ist, Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt."
Diese Formel könnte den Gegensatz zwischen der Arbeit mit den vorhandenen
Möglichkeiten und dem Willen zur Schöpfung neuer Tatsachen einigermaßen
aufheben. Sie könnte den Widerspruch von Fortschritt und Bewahrung
zumindest vorläufig auflösen. Doch der Definition folgt die Auslegung,
und dabei haben es die Marxisten aller Schattierungen bekanntlich zu einer
wahren Meisterschaft gebracht. Deshalb sollte sich der europäische
Nationalismus frühzeitig davor hüten, zwei- oder dreideutige
Thesen aufzustellen, die wieder Fehlauslegungen nach sich ziehen. Ein klares
Wort, auch auf die Gefahr von Schwierigkeiten, dient der Sache am besten.
Das ist unsere Aufgabe, vor der wir uns nicht drücken werden.