Armin Preuß
(Im Interesse einer Geschichte, die Vergangenes vergegenwärtigen
will, stilistisch nachempfunden)
Im Mai des Jahres 1995 fand im Bergischen Land einer jener dunklen Anschläge
statt, die sich wie ein roter Faden durch das Chaos unserer Nachkriegsgeschichte
ziehen. Die am 29. Januar des gleichen Jahres in der Gedenkstätte
des Deutschen Ostens auf Schloß Burg an der Wupper, an seinem 135.
Todestage enthüllte Büste Ernst Moritz Arndts, wurde in einer
Nacht- und Nebelaktion von Unbekannten gestohlen und laut Bekennerschreiben
dieser "Aktionsfront" in der Wupper versenkt.
Warum ein solch primitives Verbrechen am Ruf eines Mannes, der zwar von
Theodor Heuß in seiner Nachkriegssammlung der "Großen
Deutschen" ausgegrenzt, jedoch von Gustav Sichelschmidt als der populärste
deutsche Volksmann nach Luther bezeichnet wurde? Der Haßausbruch
von Randgruppen, die Mangel an Intelligenz und Geschichtskenntnissen durch
feige Gewalttaten zu kompensieren versuchen, sollte auf Arndts angeblichen
"Antisemitismus" zurückzuführen sein. Da man beim besten
Willen eine solche Einstellung in seinen Schriften vergeblich zu finden
versucht, darf getrost angenommen werden, daß die Täter nicht
eine einzige Zeile Arndts selbst gelesen hatten - es sei denn, jemand hätte
sie mit einem Wort gereizt, das man Arndts Leben als beständiges Motto
voranstellen könnte und das allein ausreichen dürfte, ihn zum
geschworenen Gegner der Unterwelt zu erklären:
Gott wohnt nur in stolzen Herzen, und für einen niedrigen Sinn ist
der Himmel zu hoch!
Ernst Moritz Arndt wurde 1769 als zweites von zehn Kindern einer Bauernfamilie
geboren, im gleichen Jahr, in dem auch sein späterer großer
Widersacher, Napoleon Bonaparte, das Licht der Welt erblickte. Er sagt
von sich selbst: "Ich bin geboren aus dem kleinen Volk, dicht an der
Erde", damit gleichzeitig seine Verbundenheit mit der Natur und bäuerlich-volkstümlichem
Wesen betonend. Aber auch die Kühnheit des Seefahrers liegt ihm im
Blute, "die herbe, ungebrochene Kraft der See, ihre stürmische
Freiheit, ihr Ernst und ihr männlicher Trotz in Wind und Wetter des
Geschicks, und nicht zuletzt eine starke Unbändigkeit und Rauheit"
wie sie in der Gewalt des Meeres leben, in dessen Nähe er geboren
wurde.
Wie ganz Vorpommern gehörte Rügen, die Insel seiner Geburt, zu
jener Zeit noch zu Schweden. Arndt ist somit nicht nur formell als schwedischer
Staatsbürger geboren, sondern er fühlt sich mit der schwedischen
Nation auch geistig zeitlebens besonders verbunden.
Arndts Vater, dessen Tüchtigkeit der Familie zu sozialem und wirtschaftlichem
Aufstieg verhilft, rückte vom Leibeigenen zum Gutsverwalter des Grafen
von Putbus auf. Er galt als freundlich, lebhaft, zuweilen auch als heftig.
Die geistig bewegliche Mutter sorgte dafür, daß die Kinder mehr
Anregungen erhielten als sonst auf dem Lande üblich. Ihre christlichen
Lehren wurden erweitert durch viele Sagen und Märchen, aber auch den
damals noch weitläufigen Aberglauben, in dem manch untergründiges
Heidentum fortlebte.
Die Erziehung von zehn Kindern in einem Bauernhaus ließ wenig Raum
zum Verwöhnen. "Jedwede Weichlichkeit war durchaus verpönt.
Reiten, Schwimmen, Laufen und Abhärtungen aller Art mußten reichlich
geübt werden." Das "mens sana in corpore sano" der
Römer hat Arndt schon seit frühester Jugend kennen und schätzen
gelernt. Diese einfache und natürliche Lebensweise verhilft ihm zu
einer robusten Gesundheit, die über das 90. Lebensjahr hin währt.
Trotzdem wird er nie zu einem prüden Asketen. Von seiner ersten größeren
Europareise schreibt er seinem Vater einmal aus Ungarn, er habe in diesem
Land "keinen Tropfen Wasser getrunken".
Ihre schulischen Grundlagen erhalten die Arndtschen Kinder von Privatlehrern
im Elternhause. Zur weiteren Schulausbildung schickt Vater Arndt den begabten
17-Jährigen Ernst Moritz in das nahe Stralsund. Er läßt
ihn in der einfachen ländlichen Kleidung wie einen "rechten Bauerntölpel"
ankommen. Arndt schreibt dazu später: "Man kann denken, mit welcher
Gier die zierlichen Stadtpfauen über die so aufgeputzte Landkrähe
herfuhren... Da mich einige etwas unsanft anzutasten wagten, fühlte
ich mein ungeduldiges Arndtblut aufsieden, und bald lagen ein paar Burschen
zusammengeknickt zu meinen Füßen".
Der junge Arndt beweist schon bald die in ihm schlummernden Talente. Seine
Eltern und wohlwollende Freunde raten ihm zum damals "für einen
nicht unfrommen Sohn eines Landmanns" natürlichen Studium der
Theologie. 1791 läßt er sich an der Universität Greifswald
einschreiben, wo er sich neben der Theologie mit Naturwissenschaften, Erdkunde,
Sprachen, Literaturgeschichte und vor allem der Antike beschäftigt.
Im Frühjahr des Jahres 1793 geht er von dort nach Jena, wo er bis
zum Herbst 1794 verbleibt. Im Herbst 1796 legt er, wieder zurück in
Greifswald, sein theologisches Examen ab.
Das schon im Jünglingsalter erkennbare eigenwillige Denken Arndts
verleitet ihn zu wenig schmeichelhaften Kommentaren über die Philosophen,
mit denen er sich beschäftigen muß. Die Philosophie habe "manchen
trockenen Kopf verrückt gemacht", und er habe wenig "Scharfes
und Spitzes" daraus gewinnen können. Seiner Meinung nach wird
den Deutschen durch ihr vieles Philosophieren "das Gesicht für
die Erde zu blöd, für den Himmel nicht hell genug." Er spricht
von den "hohlen Formen, den leeren Systemen, worin man keine Mücken,
geschweige denn Menschen fangen könnte." Sie (die Philosophen)
"waren Ideenjäger und haben es nicht verstanden, das große
Geheimnis der Erde zu erkennen."
Arndt verkennt keineswegs die Gewalt von Ideen, die "reißende
Feuerkraft des Geistes". Aber er warnt vor weltfremder "Ideenbuhlerei"
als "dem schlimmsten Gift für das gestaltige Leben." "Denn
solches Ideengut, wie wir es getrieben haben und noch treiben, ist einer
verzehrenden Flamme gleich, welche die Welt und uns selbst ausdörrt."
Darin hat Arndt die tiefste Tragik deutschen Wesens erkannt und angeprangert.
"Könnten Ideen allein die Welt bilden und beherrschen, so müßten
wir im Himmel und auf Erden die Ersten sein... aber mit Wehmut müssen
wir gestehen, daß dieser himmlische Reichtum uns irdisch arm gemacht
hat, und daß andere unsere Erde zu besitzen gekommen, während
wir für sie den Himmel erobern... . Solches, fährt er anklagend
gegen erdentrückte deutsche Phantastereien fort, "ist nirgends
so in Europa zu sehen wie bei uns... daher unsere politische Erbärmlichkeit
und Hilflosigkeit, das Unnationale und Trauriggleichgültige des Volkes."
Hauptverantwortlich für diese Weltabgewandtheit hält er unsere
Gelehrten, für die er nicht gerade freundliche Worte findet. "Hexenmeister
und Gaukler auf dem Katheder und unter unseren Folianten" nennt er
sie. "Ja ich sage es kühn," schreibt er an anderer Stelle,
"daß die meisten unserer sogenannten Gelehrten dümmer sind
als der Bauer, der seinen Katechismus nicht lesen kann. Dieser weiß
doch Bescheid, mit dem was er tut." Der Geist hat nach seiner Meinung
"die Natur auf den Kopf gestellt und was unten war zu oben gemacht."
Wie wenig als ein Jahrhundert später Nietzsche, gelangt Arndt schon
jetzt zu einer Lobpreisung des gesunden Instinkts "als des schöpferischen
Spürsinn des Leibes". Wie Hans Kern schreibt, "verkündet
Arndt mit tiefer Begeisterung die frohe Botschaft vom lebendigen Leibe
und verwirft mit Schärfe jede asketische Beargwöhnung und Bekämpfung
des Leibes, die nach seiner Meinung weiter nichts erzielt als eine ungesunde
Aufstachelung oder Verwirrung der Triebe." M.a.W., Arndt verwirft
den vom Christentum vertretenen "Dualismus", Leib und Seele nicht
als Einheit, sondern als Gegensatz zu begreifen und zu beargwöhnen.
Arndts Gottesglauben ist frei von "Schwarmgeisterei" und frei
vom Zwang kirchlicher oder jedweder Dogmen. Sein Christentum ist lebensnahe
und lebensbejahend, und wie sein Vater fühlt er sich Gott näher
in der freien Natur als in kirchlichen Gewölben. Auch in diesem Punkte
steht Arndt seinem späteren Schirmherrn, dem preußischen Minister
Frh. vom Stein, nahe, der "lieber im Abendrot oder Garten auf Gottes
Stimme lauschen wollte" und einmal nach einer langweiligen Predigt
äusserte: "Im Himmel wird's frischer und lustiger sein."
Sein Ideal der Konfessionen wird später eine nationale Kirche, weil
sie die politische Einigung Deutschlands erleichtern und alle Deutschen
umfassen würde. Theologe ist er nicht geworden, seine Berufung wurde:
GOTT UND VATERLAND.
Als Arndt 28 Jahre alt ist, wird er der Bücher und Studierstuben überdrüssig.
Sein Bauern- oder vielleicht mehr noch das Entdeckerblut des Seefahrers
regt sich. "Eine große Sehnsucht lockte mich, die Welt zu sehen,"
schreibt er. Diese Entscheidung, die die Unterstützung seines Vaters
findet, wird für ihn zum einschneidenden Erlebnis seines Lebens.
Bis zum Herbst 1799 reist er 1 Jahre lang "in manchen Abenteuern"
zu Fuß, zu Wagen und per Schiff durch Teile Deutschlands, Ungarns,
Italiens und Frankreichs. "Ich habe diese Reise fast wie Bruder Sorgenlos
gemacht," berichtet er darüber. "Indessen bin ich später
gewahr geworden, daß in mir ein dunkles Ziel lag, das ich damals
nicht gewahrte. Ich habe die Dinge, Menschen und Völker dieser Welt
doch sehen und erkennen gelernt."
Abgehärtet, wie er durch seine Erziehung ist, reist er spartanisch.
Oft übernachtet er im Freien. Mehr noch als seinen Körper nimmt
er jedoch seinen Geist in Anspruch, so daß er stets mit wachen Sinnen
in sich aufnimmt, was dem üblichen Reisenden nicht zum Bewußtsein
kommt. Vor allem entwickelt er "einen erstaunlichen Sinn für
den besonderen Zusammenhang von Natur und Menschenarbeit, Boden und Besiedlung,
Landwirtschaft, Handel und Gewerbe." Zusätzlich bildet sich bei
ihm jene erstaunliche Menschenkenntnis, die sich bei seiner späteren
politischen und völkerkundlichen Arbeit von unschätzbarem Wert
erweisen soll.
In Frankreich ist er tief beeindruckt vom stolzen Freiheitssinn der Franzosen,
obwohl er den reißerischen Schlagworten der revolutionären Phrasendrescher
gegenüber eine kühle Distanz bewahrt, "zumal wenn diese
sich moralisch gebärdeten". Den in Paris vorherrschenden Glauben
an den "Endsieg der Vernunft" lehnt er mit den Worten ab: "Solange
die Erde mit ihren Elementen bleibt wie sie ist, wird auch das Gute und
Böse ewig wechseln, und die Notwendigkeit wird fortregieren, wie sie
ewig das Regiment gehabt hat. Wir werden endlich gestehen müssen,
daß wir in die Politik zu viel Moral gemischt haben, die nie in ihrer
Ausübung gelegen hat."
Daß er durchaus objektiv über unsere Nachbarvölker, auch
die Franzosen, zu urteilen vermag, beweisen seine wohlwollenden Worte über
die Soldaten Frankreichs: "Sie haben allgemein den Ruhm und das Ansehen
ordentlicher und wackerer Menschen... an den Offizieren gefällt die
Feinheit und Gewandtheit der Nation."
Den französischen Freiheitsbegriff von 1789 zeichnet er jedoch mit
skeptischer Ironie: "Nach einem neuen System des Völkerrechts
plünderte man Nationen, um sie frei zu machen, und machte sie frei,
um sie zu plündern."
Andererseits würdigt er die Kräfte, die die Revolution in Frankreich
geweckt hatte: "Das eine Wort, jeder Bürger ist ein geborener
Soldat seines Vaterlandes und muß fechten, wann es nötig ist,
macht eine Nation von 20-30 Mill. mobil." Schon jetzt fasziniert ihn
diese Idee der allgemeinen Wehrpflicht. Hätten Österreich und
Preußen dieses System - genau wie die Franzosen - in ihren jeweiligen
Ländern zur rechten Zeit eingeführt, so bemerkt Arndt später,
hätte Napoleon niemals seinen Siegeszug quer durch Europa antreten
können.
Der Unterschied zwischen dem neuen "Volksgeist" der Franzosen
und den Verhältnissen in deutschen Landen bedrückt ihn. Er fragt,
warum Engländer für ihr Land zu kämpfen bereit sind, und
antwortet: "Um ein Volk zu bleiben und ihren uralten Nebenbuhlern
nicht unter die Füße zu fallen." Wodurch wurden die Schweden
groß und gefürchtet? "Weil sie den Stolz und den Sinn eines
Volkes haben."
Dagegen die Deutschen! "Wie mancher Deutsche an der Ostsee und Nordsee
liest es als eine gleichgültige Neuigkeit, daß die Fremden Süddeutschland
mit verheerenden Waffen durchziehen." Seine Antwort, die leider nicht
viel von ihrer Gültigkeit verloren hat: "Weil der Nationalgeist
fehlt, ist ein Volk von 3o Mill. Menschen der Spott Europas geworden."
Gegen Ende seiner großen Europareise lernt Arndt die Franzosen allerdings
als Besatzungsherren am deutschen Rhein von einer Seite kennen, die den
Zorn in ihm aufschwellen läßt: "Ich habe in Frankreich
die meisten Franzosen beklagt," schreibt er rückblickend, "viele
geschätzt und einige geliebt; hier lerne ich sie hassen als Feinde
und Verderber meines Volkes. Und diese predigen uns das Gesetz und Freiheit
und Gleichheit."
Zornig schreibt er über die immer und überall erkennbare geduldige
Langmut der Deutschen: "Wenn solches alles eine Nation ohne Murren
leiden kann und ohne endlich fürchterlich auszuschlagen, so hat sie
den Namen und die Ehre eines Volkes verwirkt." "Die Franzosen
in ihrem Lande: Ja! Als Eroberer und Herrscher am Rhein, an der Elbe, an
der Donau: Nein, Nein und abermals Nein!"
1801 heiratet Arndt Charlotte Quistorn, die natürliche Tochter eines
Greifswalder Professors und gründet in Greifswald einen Hausstand.
Als Privatdozent für "Historie und Philologie" hat er das
Recht erlangt, Vorlesungen an der Universität zu halten. Doch noch
im gleichen Jahr entreißt der Tod ihm seine junge Frau nach der Geburt
eines Sohnes.
Schon in seiner Habilitationsschrift erweist sich der Arndtsche Mut. Er
wagt es, an dem in großer Mode stehenden Rousseau Kritik zu üben,
zu der Zeit nahezu eine Gotteslästerung! Der Predigt Rousseaus von
der Gleichheit aller Menschen tritt Arndt mit seiner auf Beobachtung und
Erfahrung gegründeten eigenen Erkenntnis entgegen, nämlich der
auffälligen Unterschiede, der verschiedenen Gebräuche, Denkungsarten
und Zielsetzungen der Menschen. Schon jetzt beginnt bei ihm der Gedanke
zu keimen, daß jedes Volk sich in seinem eigenen Volkstum entwickeln
soll.
In Preußen schon von Friedrich dem Großen abgeschafft, gilt
um diese Zeit im schwedischen Vorpommern und auf Rügen noch immer
die Leibeigenschaft. Für einen jungen Professor nicht gerade klug
und keineswegs karrierefördernd, wagt Arndt sich trotzdem an dieses
heiße Eisen, und Ende 1803 erscheint sein "Versuch einer Geschichte
der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen." "Bauern werden
verkauft mit dem Gut, wozu sie gehören... Wer von Leibeigenen geboren,...
ist leibeigen", heißt es u.a. darin. Besonders übel wird
ihm vermerkt, daß er in seiner Schrift auch vor dem schwedischen
Königshaus nicht Halt macht, dort wo es eine Schuld trifft.
Sein Gerechtigkeitssinn läßt ihn bedenkenlos seine eigene Stellung
aufs Spiel setzen. Wohlwollen und Vorrechte der Gutsbesitzer beiseiteschiebend,
schreibt er: "Wer ist das Mark und Gebein des Staates, wer muß
den Pflug in der Not und das Schwert in der Gefahr führen? Es ist
der Bauer, der Handwerker, der größte und ehrwürdigste
Teil einer Nation."
An den Schluß seines Buches setzt er das für seinen persönlichen
Mut und sein Verantwortungsbewußtsein bezeichnende Bekenntnis: "Man
wird versuchen, mich zu verschreien, mir schlimme Dinge beimessen, weil
ich schlimme Dinge offenbart habe. Aber wer für seine Wahrheit im
schlimmsten Falle nicht auch das Schlimmste leiden kann, der ist nicht
wert, daß ihm je eine Wahrheit aufgehe."
Die adligen Gutsbesitzer verklagen Arndt als "Leuteverderber"
und "Bauernaufhetzer" beim König. Aber Arndt zeigt sich
der Lage gewachsen. Sein ihm vom Gouverneur Hans Henrik Graf von Essen
(26.09.1755-28.06.1824) vorgehaltenes, mit roten Unterstreichungen versehenes
Buch, unterstreicht er selbst noch mal mit Rotstift an den für ihn
kritischen Stellen. Mit der Bemerkung "schicken Sie das an Seine Majestät
zurück!" überreicht er von Essen die ketzerische Schrift.
Der König Gustav III. von Schweden (24.01.1746 - 29.03.1792) antwortet,
nachdem er Arndts Unterstreichungen gelesen hat, "wenn dem so ist,
dann hat der Mann recht." Ein Jahr danach wird die Leibeigenschaft
in Vorpommern und Rügen aufgehoben.
Im Herbst 1803 erhält Arndt Urlaub von seiner Universität und
reist nach Stockholm. Es reizt ihn, das Land kennen zu lernen, dessen Staatsangehörigkeit
er besitzt. Hinzu kommt wohl auch die ihm im Blute liegende Nordlandsehnsucht,
die in nicht wenigen Deutschen lebt.
"Frei ist hier der Bauer wie der Edelmann," stellt er in Schweden
fest. Je mehr er sich mit den Problemen der Bauern in seiner Heimat befaßt
hatte, um so kritischer war er gegen Theologen, Philosophen und alles Kathederhafte
geworden. "Am Beispiel der schwedischen Großmacht glaubt er
zu erkennen", so Johannes Paul, "bis zu welcher Höhe ein
Volk aufsteigen kann, bei dem sich die alte Bauernfreiheit erhalten hat."
Manchmal ist er sogar geneigt, ganz in Schweden zu bleiben. "So ist
der Mensch hier ganz in seiner Natur," stellt er bewundernd fest.
Und dazu, für einen jungen Witwer nur zu begreiflich, haben es ihm
besonders die blonden, blauäugigen schwedischen Frauen angetan. Doch
so verlockend ihm die Vorstellung des Lebens auf einem schwedischen Bauernhof
an der Seite einer nordischen Schönheit zuweilen ist, ein Feuergeist
wie Arndt hätte sich schwerlich auf die Dauer in die Stille und Abgeschiedenheit
des Landlebens einfügen können.
Immer mehr bewegt ihn im geliebten Norden die Frage nach seiner eigentlichen
politischen Heimat. Es erfüllt ihn mit Stolz, dem gleichen Volke wie
die Geistesgrößen Goethe, Schiller, Herder, Novalis und zahlreiche
andere große Deutsche anzugehören. Aber ebenso ist ihm schmerzlich
bewußt, daß der deutschen Weltgeltung im Reich des Geistes
kein deutsches Staatsgefühl entspricht, weil es schon lange einen
wirklichen Staat aller Deutschen nicht mehr gibt. Ein Franzose konnte stolz
auf sein Land als Heimat aller Franzosen sein, und das gleiche galt für
andere Nationalstaaten. Nur im deutschen Sprachraum gibt es statt eines
einzigen machtvollen Staates einige hundert "klitzekleine Gebilde".
Und nur als Untertan eines solchen Zwergstaates fühlen sich die meisten
Deutschen.
In Schweden kann Arndt erleben und bewundern, wonach seine Sehnsucht geht
und was er in Deutschland so sehr vermißt: "Ein Volk, dem kulturelle
und staatliche Einheit eine Selbstverständlichkeit war." In diesem
Umfeld beginnt sein späteres, ihn berühmt machendes Werk "Geist
der Zeit" zu reifen. "Hier bin ich nun recht in meiner politischen
Ansicht bestärkt worden," schreibt er, "daß der Einwurf
gegen eine deutsche Monarchie, welche ich bei unserer elenden und hilflosen
Zersplitterung schon früh zu träumen gewagt habe, nicht stichhaltig
ist und hier auf das glänzendste durch die Erfahrung widerlegt wird."
Hart geht er mit den deutschen Fürsten ins Gericht. Desgleichen mit
den Geistlichen, "die selbst nicht glauben, was sie verkünden",
und mit allen, die "zu klug für die Erde, zu feige für den
Himmel" sind.
Bei solchen Gedankengängen wird er sich gerade im Umgang mit den Schweden
seines Deutschtums bewußt. Zornige Worte fließen aus seiner
Feder: "Ich fühle es von Tag zu Tag mehr, es ist nichts kümmerlicheres
in der Welt als dieses elendige deutsche Ding, was wir Gutmütigkeit,
auch wohl Milde und Menschlichkeit nennen, was im Grunde aber weder Ja
noch Nein zu sagen wagt und eitel Schwächlichkeit ist . . .
...was wollen wir unsere zerrissene deutsche Erbärmlichkeit, unser
sogenanntes Humanes, wodurch unser Vaterland ebenso nichtig und den Fremden
so verächtlich geworden ist, noch länger als eine höhere
erklommene Menschlichkeit loben!"
Fortsetzung hier . . .