Gilad Atzmon: Die Vergangenheit zu versiegeln
heißt, die Vision einer besseren Zukunft aufzugeben
(aus dem Englischen übersetzt)
Der Resolutionsentwurf der USA "verurteilt ohne Einschränkung jegliche Leugnung des Holocausts", doch er richtet seine Kritik nicht auf ein spezielles Land. Man braucht kein Genie zu sein, um zu bemerken, daß es Ahmadinejad ist, auf den es die Amerikaner abgesehen haben.
Klarerweise hat die neue amerikanische Initiative bei der UN, die darauf zielt, die Welt in eine "von Holocaustleugnung freie Zone" zu verwandeln, mit echter Suche nach Wahrheit oder glaubwürdigem Interesse an geschichtlicher Forschung wenig zu tun. Den Amerikanern geht es darum, uns alle den zukunftslosen Albtraum des harten Kapitalismus zu liefern. Sie glauben fälschlich, sie könnten das tun, solange sie unsere Sicht auf die Vergangenheit einschränken.
Um ehrlich zu sein - es sind nicht tatsächlich Abe Foxman und die ADL, um die es der Regierung Bush zu tun ist. Und es sollte offensichtlich sein, daß den amerikanischen Entscheidungsträgern die Vorstellung von der Geschichte oder die Wahrheit über den europäischen Judenmord so gleichgültig wie nur möglich ist.
Worum geht es es also? Amerika will Öl, und Ahmadinejad hat eine Menge davon. Damit will sich Amerika nicht begnügen und hat ganz oben auf seiner Liste stehen, den Iran aus dem Atomclub herauszuhalten, den die USA selbst anführen. Und doch ist es erheiternd, daß Amerika, mit all seinen Flotten, Flugzeugträgern, Lenkwaffen, der überragenden Luftwaffe und Atommacht den Holocaust braucht, um das zu gewinnen, was der nächste Krieg zu sein scheint.
Ich bin kein Holocaustgelehrter und auch kein Historiker. Mein Hauptinteresse ist nicht die Geschichte von Auschwitz und auch nicht die Vernichtung des europäischen Judentums. Doch ich bin sehr interessiert an Holocaustpolitik im Rahmen von Auseinander-setzungen, die Gebrauch von Auschwitz machen. Ich frage einfach danach, wie kommt Amerika, einst "Führungsmacht der Freien Welt", dazu, sich bei der "globalen Gedankenpolizei" wiederzufinden?
Es unterliegt keinem Zweifel, daß Amerikas Außenpolitik den Schub durch eine Popularitätsspritze benötigt. Die amerikanische ideologische Vorherrschaft ist im Zustand des vollkommenen Bankrotts. Bushs Regierung bittet innerhalb der Europäischen Gemeinschaft inständig um Unterstützung. Es ist kein Geheimnis, daß Kontinentaleuropa, das in sich selbst multiethnisch ist, sich nicht auf gleiche Weise der anglo-amerikanischen Vorstellung des kulturellen Zusammenpralls hingibt. Die Europäer haben sich bislang geweigert, in Blairs und Bushs Krieg gegen den Islam auf wirkliche, dynamische Weise einzutreten. Doch mit der neuen Entschließung zur Holocaustleugnung hofft Amerika einen Sinneswandel herbeizuführen.
Statt das immer wieder falsche Bild vom Gegensatz des Judenchristen gegen des Islam zu vermitteln, ist es diemal der "Holocaust" gegen seine "Leugner" . Eher zufällig brauchen die Holocaustgläubigen (also wir) Öl, die "Leugner" (sie) sind zufällig in dessen Besitz.
So närrisch es scheinen mag, Amerika ist im Begriff, in die Falle zu rutschen, die vom iranischen Präsidenten Ahmadinejad listig angelegt worden ist. Die amerikanische Regierung hat es unsinnigerweise fertiggebracht, zu bejahen, daß der Holocaust in der Tat die Grenzlinie zwischen Osten und Westen ist, zwischen sogenannten "Bösen" und "Guten". Doch die Beschreibung dieser Trennung kann als das gesehen werden, was zwischen dem "freidenkenden Westen" steht, der mit Begeisterung seine Vergangenheit in einem schwarzen Kasten einschweißt und dem "geistig offenen" Osten, der es wagt, Fragen über die Vergangenheit aufzuwerfen.
Die Entschließung bezüglich des Holocaust bezeichnet den künftigen Kampfplatz zwischen dem sich erhebenden Sklaven (von gestern) und dem Niedergang des Herren (von heute). Ahmadinejad hat den Würfel rollen lassen, und die Regierung Bush war dumm genug, ihn aufzunehmen. Sie hat bestätigt, daß der Holocaust ein neues Medium des Widerstandes ist.
Im Rahmen der neuen amerikanischen Holocaustresolution sind es "wir" - der Westen, diejenigen, welche die "Wahrheit" " wissen" und "sie" -die Völker , die in der herrschenden Gruppe nicht mitgezählt werden, die die Wahrheit nicht sehen. Und doch sind "wir" es, die unsere Vergangenheit zu einem Gräberfeld machen, und "sie" sind es, welche begreifen, daß es die dynamische Vergangenheit ist, was die Zukunft gestaltet.
Ohne mich in die Auseinandersetzung über die Wahrheit des Holocausts hineinzubegeben - das häßliche Antlitz der Holocaustpolitik kann nicht mehr versteckt werden. Der Holocaust wir jetzt zu einer ideologischen Waffe gegen den Islam und auch gegen arabischen Widerstand. Er ist dazu da, eine falsche westliche Identität zu errichten, die auf blinder Anpassung und Marginalisie-rung des anderen begründet ist.
Kurzfristig jedoch mag sich die neue amerikanische politische Holocaustinitiative als produktiv erweisen. Die Vorstellung von der Vernichtung des "europäischen Judentums" eint einige große politische Mächte. Sie eint die europäische parlamentarische Linke mit den konservativen Liberalen wie auch mit Amerikas radikalsten expansionistischen Kräften. Sie alle brauchen den Holocaust aus verschiedenen Gründen.
In Europa ist der Holocaust dazu da, die aufstrebende äußerste Rechte niederzureißen. In den germanischen Staaten ist der Holocaust der Kern der symbolischen Nachkriegsordnung. Für die Angloamerikaner dient der Holocaust dazu, die wirklich ethische Befassung mit Dresden, Hiroshima, Vietnam, Palästina und Irak zu verdrängen. Was das Wichtigste ist - die neue Entschließung zur Holocaustleugnung versieht die Amerikaner mit dem Vorwand für den nächsten Genozid. In anderen Worten: Der nächste Holocaust ist in der Tat eine Kollektivstrafe für Holocaustleugnung.
Ganz gleich, was die Wahrheit über den Holocaust ist und was seine Leugnung nach sich ziehen mag - die Vergangenheit zu versiegeln heißt, die Vision einer besseren Zukunft aufzugeben. Das Ende der Geschichte ist das Ende des Westens. Bushs Amerika dürfte uns eben dahin bringen wollen. Mit der sich auf 650 000 belaufenden Zahl der Todesopfer im Irak und 3 Millionen vertriebenen Flüchtlingen, mit Millionen von 40 Jahre lang in Konzentrationslager eingesperrten Palästinensern kann weder Bush noch Blair noch irgendein sonstiger westlicher Politiker uns eine verheißungsvolle Vision dessen bieten, was vor uns liegt. Stattdessen reden sie uns ein damit aufzuhören, in unsere Vergangenheit zu blicken.